Schussenrieder Gruppe

Die Schussenrieder Gruppe – Ein Blick in die jungneolithische Vergangenheit... ca. 4200 und 3700 v. Chr.

Schussenrieder Gruppe

Die Schussenrieder Gruppe, gelegentlich auch als Schussenrieder Kultur bezeichnet, prägte den Südwesten Deutschlands während des Jungneolithikums etwa zwischen 4200 und 3700 v. Chr. Diese Kulturstufe zeichnete sich durch ihre charakteristischen Siedlungsweisen, handwerklichen Fertigkeiten und soziale Organisation aus. Ihren Namen verdankt die Schussenrieder Gruppe dem bedeutenden Fundort im Hochmoor Riedschachen nahe Bad Schussenried im Federseegebiet. Die Entdeckung erfolgte im Jahr 1960 durch den Archäologen Jürgen Driehaus, der anhand der Funde wesentliche Merkmale dieser Kultur definierte. Die feuchten Moorböden bewahrten zahlreiche organische Überreste, die wertvolle Einblicke in das Alltagsleben dieser frühen Gesellschaft ermöglichen.

Leben am Wasser – Die Wohnbauten der
Schussenrieder Gruppe

Architektur, Siedlungsstruktur und bemerkenswerte Fundstätten

Die Schussenrieder Gruppe bevorzugte für ihre Siedlungen strategisch günstige Plätze an Seen und Flussufern, wo Wasser und fruchtbare Böden eine nachhaltige Lebensweise ermöglichten. Ihre Wohnhäuser waren meist ein- bis zweiräumig und bestanden aus robusten Holzbalken, die mit Lehmestrich als Fußbodenbelag versehen waren. Außenwände wurden entweder aus gespaltenem Holz oder als Flechtwände mit Lehmbewurf konstruiert, was Schutz vor Witterungseinflüssen bot. Zentral in jedem Haus befanden sich eine Feuerstelle und ein Backofen, die nicht nur zum Kochen dienten, sondern auch Wärme spendeten. Einige Dörfer dieser Kultur waren über einen Zeitraum von bis zu 200 Jahren bewohnt, was auf eine stabile Siedlungsstruktur hindeutet. Ein herausragender Fundort dieser Epoche ist das jungsteinzeitliche Dorf bei Ehrenstein. Archäologische Ausgrabungen brachten hier die Überreste von 40 Gebäuden zutage, die jeweils etwa sechs Meter lang und vier Meter breit waren. Diese Entdeckung liefert wertvolle Erkenntnisse über die Siedlungsweise und den Alltag der Schussenrieder Gruppe.

Schussenrieder Kultur
Schussenrieder Gruppe-Nach dem Vorbild der Ausgrabungen in Riedschachen rekonstruierte Häuser im Pfahlbaumuseum Unteruhldingen
Ackerbau

Ernährung und Wirtschaft – Die Lebensgrundlage der
Schussenrieder Gruppe

Ackerbau, Viehzucht und nachhaltige Ressourcennutzung

Lebensweiße Illustration © OpticalArtInc

Die Menschen der Schussenrieder Gruppe sicherten ihre Existenz vor allem durch Ackerbau und Viehzucht. Archäologische Funde von Pflanzenresten und Tierknochen belegen, dass sie eine vielfältige Landwirtschaft betrieben. Hauptsächlich bauten sie Getreide wie Emmer, Einkorn und Gerste an, während Hülsenfrüchte und andere Nutzpflanzen das Nahrungsangebot ergänzten.

Die Tierhaltung spielte eine zentrale Rolle in ihrer Wirtschaftsweise. Vor allem Rinder und Schweine wurden gezüchtet, aber auch Schafe und Ziegen gehörten zum Viehbestand. Neben der Landwirtschaft nutzten die Siedler die reichhaltigen Gewässer in ihrer Umgebung zum Fischfang, der einen wichtigen Beitrag zur Ernährung leistete. Auffällig ist, dass die Jagd offenbar nur eine untergeordnete Bedeutung hatte. Im Gegensatz zu früheren Kulturen, die stärker auf Wildtiere angewiesen waren, konzentrierten sich die Schussenrieder auf nachhaltige, planbare Nahrungsquellen und entwickelten so eine stabile Lebensgrundlage.

Keramik

Kunstvolle Keramik – Handwerk und Stil der
Schussenrieder Gruppe

Wulsttechnik, verzierte Henkelkrüge und regionale Verbreitung

Die Keramikherstellung war ein zentrales Handwerk der Schussenrieder Gruppe und zeichnete sich durch eine spezielle Fertigungstechnik aus: die sogenannte Wulsttechnik. Dabei wurden Tonwülste spiralförmig aufeinandergesetzt und anschließend geglättet, um stabile Gefäße zu formen. Besonders charakteristisch waren verzierte Henkelkrüge, die kunstvoll mit eingeritzten Dreiecken und Bandmustern geschmückt wurden. Diese Muster wurden häufig mit einer weißen Inkrustierung versehen, die die Verzierungen optisch hervorhob und den Gefäßen eine dekorative Note verlieh. Neben diesen kunstvollen Stücken existierte auch schlichtere, unverzierte Keramik. Die Brenntemperaturen waren vergleichsweise niedrig, wodurch die Keramik porös blieb und nicht völlig wasserdicht war. Dennoch verbreiteten sich Schussenrieder Krüge weit über das eigentliche Siedlungsgebiet hinaus und wurden nicht nur in Südwestdeutschland, sondern auch in West-Österreich und Böhmen gefunden – ein Hinweis auf überregionale Kontakte und kulturellen Austausch.

Schussenrieder Gruppe
Henkelkrug mit der typischen Verzierung aus Kreuzschraffur gefüllten Dreiecken. Der Krug ist in der Schausammlung "LegendäreMeisterWerke" im Alten Schloss ausgestellt.[Quelle: Landesmuseum Württemberg]
Der reichverzierte Keramiktopf aus Hochdorf stammt aus einer jungsteinzeitlichen Siedlung. H. 15,4 cm, Durchm. 19,3 cm
Doppelgefäß (Kultgefäß?) Neolithikum (Jungsteinzeit), Undatiert, 4100 - 3800 v. Chr.
Scmuck Künstlerische darstellungen

Werkzeuge und Schmuck – Handwerkskunst der
Schussenrieder Gruppe

Alltagsgeräte, Fernhandel und kunstvolle Verzierungen

Schussenrieder Gruppe
Die dreireihig rekonstruierte Halskette, bestehend aus mehr als 500 Stein- und Gagatperlen, ist in der Schausammlung "LegendäreMeisterWerke" im Alten Schloss ausgestellt. Dieser Fund, der Ende des 19. Jahrhunderts mitten in einem frühmittelalterlichen Gräberfeld im Egartenhof bei Sachsenheim zutage kam, stammt vermutlich von einer kurz nach 4000 v. Chr. angelegten Bestattung der Schussenrieder Kultur. Einige wenige Vergleichsfunde aus dem Mittleren Neckarraum sprechen für diese zeitliche und kulturelle Einordnung.
Schussenrieder Gruppe
Die Halskette aus Gagat (fossiles Holz), Kalkstein und drei Anhängern aus Marmor wurde 1887 in einem Frauengrab am Seelberg in Bad Cannstatt entdeckt. Der für die jungsteinzeitliche Schussenrieder Kultur typische Schmuck zeichnet sich durch den gekonnten Kontrast zwischen schwarzen und weißen Materialien aus. Diese Kultur, die vor etwa 6000 Jahren am Neckar und in Oberschwaben beheimatet war, erhielt ihren wissenschaftlichen Namen von einem Fundort im Hochmoor des Federseebeckens auf der Gemarkung Bad Schussenried.

Die Schussenrieder Gruppe verfügte über eine breite Palette an Werkzeugen, die vor allem aus Stein, Knochen und Geweih gefertigt wurden. Archäologische Funde belegen den Gebrauch von Steinbeilen, Äxten, Klopf- und Reibesteinen sowie Mahlsteinen, die für die Bearbeitung von Holz, Nahrung und anderen Materialien unerlässlich waren. Pfeilspitzen und Sicheln aus Feuerstein deuten zudem auf eine ausgeprägte Landwirtschaft sowie auf Jagd- und Verteidigungstechniken hin. Besonders bemerkenswert ist der Fernhandel mit Rohstoffen: Feuerstein für Werkzeuge wurde teilweise aus weit entfernten Regionen, bis hin zu den Niederlanden, importiert. Dies unterstreicht nicht nur den überregionalen Austausch, sondern auch die hohe Wertschätzung bestimmter Materialien. Neben funktionalen Objekten fertigten die Menschen der Schussenrieder Gruppe auch Schmuck. Anhänger aus Kalkstein sowie Zähne von Wölfen und Schweinen dienten als persönliche Zierde oder möglicherweise als Statussymbole. Diese kunstvollen Accessoires geben einen faszinierenden Einblick in das ästhetische Empfinden und die sozialen Strukturen dieser frühen Kultur.

Schussenrieder Gruppe
Die abgebildete Zierscheibe hat eine sorgfältig geglättete Oberseite mit Strichbündel-Verzierungen am Rand. In der Mitte befinden sich zwei bikonische Löcher, wahrscheinlich mit einem Feuersteinbohrer erstellt, die durch eine tiefe Rinne verbunden sind, die von einer Schnur oder einem Riemen stammt. Gebrauchsspuren und die ausgearbeitete Schauseite deuten darauf hin, dass sie als Kleidungsschmuck, möglicherweise an einem Gürtel, getragen wurde. Das Steinzeitdorf Ehrenstein ist seit 2011 als Teil der "Prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen" UNESCO Weltkulturerbe.
Literatur

Literatur

  • Erwin KeeferHochdorf. 2: Eine jungsteinzeitliche Siedlung der Schussenrieder Kultur (= Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg. 27). Theiss, Stuttgart 1988, ISBN 3-8062-0798-4.
  • Jens LüningHartwig ZürnDie Schussenrieder Siedlung im „Schlößlesfeld“. Markung Ludwigsburg (= Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg. 8). Müller und Gräff, Stuttgart 1977, ISBN 3-87532-066-2.
  • Jens Lüning: Schussenried und Jordansmühl. In: Hermann Schwabedissen (Hrsg.): Die Anfänge des Neolithikums vom Orient bis Nordeuropa. 5: Westliches Mitteleuropa. b (= Fundamenta. Reihe A: Archäologische Beiträge. 3). Böhlau, Köln u. a. 1976, ISBN 3-412-02075-3, S. 122–187.
  • Michael Strobel: Die Schussenrieder Siedlung Taubried I, (Bad Buchau, Kr. Biberach). Ein Beitrag zu den Siedlungsstrukturen und zur Chronologie des frühen und mittleren Jungneolithikums in Oberschwaben. Theiss, Stuttgart 2000, ISBN 3-8062-1494-8 (Zugleich: Marburg, Universität, Dissertation, 1998).

Frühneolithikum

STECKBRIEF

01

Name

Schussenrieder Gruppe

02

Alter

ca. 4200 – 3700 v. Chr.

03

Region

Südwestdeutschland, Teile West-Österreichs und Böhmens

04

Namensgebung

Benannt nach dem Fundort im Hochmoor Riedschachen bei Bad Schussenried (Federseegebiet), entdeckt 1960 durch Jürgen Driehaus

05

Siedlungsweise

  • Bevorzugt an Ufern von Seen und Flüssen
  • Ein- bis zweiräumige Holzhäuser mit Lehmböden und Flechtwandkonstruktionen
  • Feuerstellen und Backöfen in den Wohnhäusern
  • Dauerhaft bewohnte Dörfer mit bis zu 200-jähriger Nutzung
  • Höhlen als kurzfristige Behausungen

06

Wirtschaft

  • Ackerbau mit Getreide wie Emmer, Einkorn und Gerste
  • Viehzucht mit Schwerpunkt auf Rindern und Schweinen
  • Fischfang als zusätzliche Nahrungsquelle
  • Jagd spielte nur eine untergeordnete Rolle

07

Keramik

  • Hergestellt in Wulsttechnik
  • Charakteristisch verzierte Henkelkrüge mit eingeritzten Dreiecken und Bandmustern, oft weiß inkrustiert
  • Auch unverzierte, schlichte Ware vorhanden
  • Niedrige Brenntemperaturen führten zu poröser Keramik
  • Verbreitung der Keramik bis nach West-Österreich und Böhmen

08

Werkzeuge

  • Steinbeile, Äxte, Klopf- und Reibesteine, Mahlsteine, Sicheln und Pfeilspitzen aus Feuerstein
  • Material teils aus großer Entfernung importiert (z. B. Feuerstein aus den Niederlanden)
  • Werkzeuge auch aus Knochen und Geweih gefertigt

09

Schmuck

  • Anhänger aus Kalkstein
  • Schmuckstücke aus Wolf- und Schweinezähnen

10

Bedeutende Fundorte

  • Jungsteinzeitliches Dorf bei Ehrenstein mit Überresten von 40 Gebäuden
  • Hochmoor Riedschachen bei Bad Schussenried als namensgebender Fundort

Archäologische Kulturen des Jungneolithikums in Mitteleuropa

MÜNCHSHÖFENER KULTUR
ca. 4.500 – 3.800 v.Chr

MICHELSBERGER KULTUR
ca. 4.400 – 3.500 v.Chr

GARTERSLEBENER KULTUR
ca. 4.300 – 3.900 v.Chr

JORDANSMÜHLER KULTUR
ca. 4.300 – 3.900 v.Chr

Keramikkrug der Schussenrieder Kultur

SCHUSSENRIEDER GRUPPE
ca. 4.200 – 3.700 v.Chr

TRICHTERBECHERKULTUR
ca. 4.200 – 2.800 v.Chr

PFYNER KULTUR
ca. 4.000 – 3.500 v.Chr

BAALBERGER KULTUR
ca. 4.000 – 3.150 v.Chr

MONDSEEKULTUR
ca. 3.800 – 3.300 v.Chr

ALTHEIMER GRUPPE
ca. 3.800 – 3.300 v.Chr

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