Die Pfyner Kultur – Ein Fenster zur Kupfersteinzeit... ca. 4000 bis 3500 v. Chr.
Pfyner Kultur
Die Pfyner Kultur, benannt nach dem Fundort Pfyn im Kanton Thurgau, repräsentiert eine herausragende jungneolithische Epoche, die das Alpenvorland von etwa 4000 bis 3500 v. Chr. prägte. Bereits in jener Zeit wurden bahnbrechende technologische Fortschritte erzielt: Kupfer diente nicht nur als edles Material für kunstvolle Schmuckstücke, sondern fand ebenso Anwendung bei der Fertigung funktionaler Werkzeuge wie Beilklingen. Diese vielseitige Nutzung des Metalls unterstreicht die Innovationskraft und den praktischen Erfindungsreichtum der damaligen Gemeinschaften. Zudem bietet das berühmte Beil von Ötzi – ein Symbol für frühe Handwerkskunst – faszinierende Parallelen zu den Artefakten der Pfyner Kultur, was auf einen weitreichenden Austausch von Wissen und Techniken hindeutet. Fundstücke aus Pfyn liefern darüber hinaus wichtige Hinweise auf die sozialen Strukturen und wirtschaftlichen Verflechtungen jener Zeit, wobei der Umgang mit natürlichen Ressourcen stets im Mittelpunkt stand. Insgesamt veranschaulichen die archäologischen Erkenntnisse der Pfyner Kultur eindrucksvoll, wie eng kultureller Ausdruck und technologische Entwicklung im Jungneolithikum miteinander verflochten waren. Die Funde aus dieser Periode zeugen von einer bemerkenswerten Fähigkeit zur Anpassung und Innovation, die den Grundstein für die weiteren kulturellen und technologischen Fortschritte der Menschheitsgeschichte legte.
Die Pfyner Kultur
Ein dynamischer Wandel im Früh-Alpenraum
Von den Anfängen an den Rändern der Michelsberger Kultur bis zu östlichen Einflüssen in der Bodenseeregion
Die Pfyner Kultur entstand als evolutionärer Übergang am Südrand der späten Michelsberger Kultur und trat unmittelbar nach der Hornstaader Gruppe in Erscheinung. Bereits ab etwa 3870 v. Chr. finden sich in der Bodenseeregion die ältesten Bauten der Pfyner Gruppe, was den Beginn einer neuen, intensiven Siedlungsphase markiert – ein Befund, der durch dendrochronologische Untersuchungen untermauert wird. Schon um ca. 3700 v. Chr. erreichte die Kultur am Bodensee ihre volle Blüte, wobei sie sich über die ursprünglichen Siedlungsräume hinaus in das Schweizerische Mittelland, bis nach Schaffhausen und an den Zürichsee ausdehnte. In diesen Gebieten löste die Pfyner Kultur allmählich die bisher vorherrschende Cortaillod-Kultur ab und deutet damit auf einen tiefgreifenden kulturellen Umbruch hin. Im Vergleich zu den mobileren Hornstaader Gruppen zeichnete sich das mittlere Pfyn durch eine deutlich geringere Mobilität aus – ein Aspekt, der sich auch in der limitierten Anzahl an Importen aus entfernten Regionen widerspiegelt.
Zwar waren die einzelnen Siedlungen oftmals nur von kurzer Dauer, dennoch wurden altbekannte Standorte immer wieder neu besiedelt, was auf ein ausgeprägtes Bewusstsein für bewährte Siedlungsräume hindeutet. Das letzte datierbare Ereignis der Pfyner Gruppe wird mit etwa 3507 v. Chr. verortet; ein Hiatus am Bodensee, der möglicherweise auch mit den aktuellen Forschungsständen zusammenhängt. Parallel dazu bildete in Oberschwaben die Pfyn-Altheimer Gruppe den entscheidenden Übergang zur späteren Altheimer Gruppe im südlichen Bayern. Nach 3500 v. Chr. bleibt der Nachhall der Pfyner Kultur nahezu ausschließlich an der Fundstelle Arbon-Bleiche 3 erhalten, die auf den Zeitraum von 3384 bis 3370 v. Chr. datiert wird. An diesem Ort kristallisieren sich bereits Einflüsse der Boleráz-Phase der Badener Kultur heraus, während die Keramik zugleich erste Kennzeichen der folgenden Horgener Kultur zeigt. Insbesondere die differenzierten Wirtschaftsweisen in den zwei Dorfhälften von Arbon legen nahe, dass hier Einwanderer aus Regionen wie Niederösterreich, der Slowakei und Westungarn angesiedelt wurden. Dieser östliche Einfluss liefert eine plausible Erklärung für einige charakteristische Merkmale, die später in der Horgener Kultur sichtbar wurden.
Pfyner Kultur
Feuchtbodensiedlungen und kunstvolle Keramik
Zwischen innovativer Architektur und symbolträchtigen Dekorationen der Neolithik
Die Pfyner Kultur zählt zu den faszinierenden Beispielen prähistorischer Feuchtbodensiedlungen – oft als Pfahlbauten bekannt. Während an großen Gewässern wie dem Bodensee die Rekonstruktionen häufig erhöhte, abgelegene Gebäude zeigen, findet man an kleineren Seen mit geringen Wasserstandsschwankungen ebenerdige Häuser mit erhaltenen Fundamenten. Am Bodensee ordneten sich die Bauten in dicht aneinander gereihten Reihen, zumeist umgeben von einer lockeren Palisade, was auf eine ausgeprägte gemeinschaftliche Planung hindeutet. In Moor-Siedlungen sind zudem häufig Bohlenwege zu entdecken, die den kooperativen Charakter der Siedlungsorganisation weiter unterstreichen.
Auch die Keramik der Pfyner Kultur offenbart spannende Details. Charakteristisch sind flachbodige, nahezu schlichte Gefäße, deren Oberflächen entweder absichtlich aufgeraut oder mit Schlick überzogen wurden. Die Ränder zierten häufig kunstvolle Elemente wie sogenannte Arkaden, Fingerkniffe, Leisten oder Knubben – dekorative Feinheiten, die je nach Region leichte Variationen aufweisen und den Austausch mit benachbarten Keramikgruppen belegen.
Besonders bemerkenswert ist, dass diese Kultur als erste in der Schweiz Kupferobjekte einführte – ein technisches Wissen, das in späteren Horgener Phasen offenbar wieder in Vergessenheit geriet. Darüber hinaus liefern archäologische Funde ungewöhnliche Einblicke in den symbolischen Ausdruck der Pfyner Kultur. An Stellen wie Ludwigshafen-Seehalde und Reute-Schorrenried wurden mit Lehm geformte Brüste entdeckt, die vermutlich als dekorative Elemente an den Hauswänden angebracht wurden. Ein herausragendes Beispiel bildet ein Gebäude in Reute-Schorrenried, das durch gynäkomorphe Darstellungen besticht und sich sowohl in seiner Größe als auch in der Ausrichtung deutlich von den umliegenden Wohnstrukturen abhebt. Diese Funde illustrieren nicht nur die technische und ästhetische Vielfalt der Pfyner Kultur, sondern auch ihren innovativen und gemeinschaftlich geprägten Lebensraum.
Pfyn-Breitenloo und archäologische Echos
Von ehrenamtlicher Entdeckung bis zu ikonischen Fundstätten
Die namensgebende Fundstelle, Pfyn-Breitenloo, wurde 1944 unter der Federführung des engagierten Thurgauer Kantonsarchäologen Karl Keller-Tarnuzzer ausgegraben – ein Projekt, das er gemeinsam mit polnischen Internierten, meist erfahrenen Handwerkern, realisierte. Bemerkenswert ist, dass Soldaten, die am 19.–20. Juni 1940 von der Westfront in Frankreich in die Schweiz einreisten, diese Episode lebhaft in Erinnerung behielten und so eine faszinierende Verbindung zwischen militärischen Schicksalen und archäologischer Forschung herstellten. Aufgrund limitierter Kapazitäten konnte Keller-Tarnuzzer seine Funde zunächst nur vorläufig beschreiben; eine umfassende und systematische Auswertung erfolgte erst Ende des 20. Jahrhunderts. Einer der am besten erforschten Orte der Pfyner Kultur ist die Siedlung Niederwil, vergleichbar mit Pfyn im Raum Frauenfeld. Auch in Baden-Württemberg erlangt die Moorsiedlung Reute-Schorrenried besondere Bedeutung: Diese Feuchtbodensiedlung aus dem 38. Jahrhundert v. Chr. im Ortsteil Reute des Bad Waldsees wurde vor allem durch den Fund eines Kupferdolches berühmt – ein Fund, der nicht nur die technische Versiertheit der damaligen Bevölkerung, sondern auch den kulturellen Austausch jener Zeit eindrucksvoll dokumentiert.
Übersicht der Fundstellen der Pfyner Kultur
Architektonische Besonderheiten und Grubenfundtypen
Die archäologischen Stätten der Pfyner Kultur belegen eine beeindruckende Verbreitung und Vielfalt der neolithischen Siedlungen in der Schweiz und angrenzenden Regionen. Diese Fundstellen liefern wertvolle Einblicke in die Siedlungsstrukturen, kulturellen Einflüsse und technologischen Entwicklungen der Zeit. Im Folgenden eine übersichtliche Liste der bedeutendsten Fundorte:
- Gachnang-Niederwil (TG)
- Pfyn-Breitenloo (TG)
- Hornstaad-Hörnle (DE)
- Reute-Schorrenried
- Arbon-Bleiche 3 (TG)
- Lenzburg-Goffersberg (AG)
- Eschen-Lützengüetle (FL)
- Schaffhausen-Schweizersbild (SH)
- Thayngen-Weier (SH)
- Feldmeilen-Vorderfeld (ZH)
- Diverse Fundstellen am Zürichsee
Diese Standorte, die von isolierten Pfahlbau-Siedlungen bis zu ausgedehnten Moorsiedlungen reichen, sind nicht nur Zeugen einer innovativen Baukunst, sondern auch Ausdruck einer tiefgreifenden kulturellen Dynamik, die den Wandel von frühen Handwerks- und Handelsnetzen widerspiegelt.
Literatur
- Annick de Capitani, Sabine Deschler-Erb, Urs Leuzinger, Elisabeth Marti-Grädel, Jörg Schibler: Die jungsteinzeitliche Seeufersiedlung Arbon, Bleiche 3: Funde (= Archäologie im Thurgau. Band 11). Amt für Archäologie, Frauenfeld 2002, ISBN 3-905405-10-5 (PDF-Download).
- Albin Hasenfratz und Daan C. M. Raemaekers (Hrsg.): Niederwil, eine Siedlung der Pfyner Kultur. Teilband 5: Anorganische Funde, Palynologie und Synthese (= Archäologie im Thurgau. Band 13). Amt für Archäologie, Frauenfeld 2006, ISBN 3-905405-15-6 (PDF-Download).
- Stefanie Jacomet, Urs Leuzinger, Jörg Schibler (Hrsg.): Die jungsteinzeitliche Seeufersiedlung Arbon, Bleiche 3: Umwelt und Wirtschaft (= Archäologie im Thurgau. Band 12). Amt für Archäologie, Frauenfeld 2004, ISBN 3-905405-12-1 (PDF-Download).
- Urs Leuzinger: Die jungsteinzeitliche Seeufersiedlung Arbon, Bleiche 3: Befunde (= Archäologie im Thurgau. Band 9). Amt für Archäologie, Frauenfeld 2000, ISBN 3-905405-08-3 (zugleich: Dissertation, Universität Bern 1999; PDF-Download).
- Urs Leuzinger: Pfyn-Breitenloo. Die jungsteinzeitliche Pfahlbausiedlung (= Archäologie im Thurgau. Band 14). Amt für Archäologie, Frauenfeld 2007, ISBN 978-3-905405-16-3 (PDF-Download).
- Helmut Schlichtherle, Rolf Rottländer: Gußtiegel der Pfyner Kultur in Südwestdeutschland. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg. Band 7, 1982, ISSN 0071-9897, S. 59–71 (online).
- Robin Peters: Demographisch-kulturelle Zyklen im Neolithikum. Die Bandkeramik im Rheinland und die Pfyner Kultur am Bodensee. In: Archäologische Informationen. Band 35, 2012, S. 327–335 (online).
- Guntram Schönfeld: Im Tal des Verlorenen Baches: Siedlungen der Jungsteinzeit in feuchten Talauen Bayerns. In: Helmut Schlichtherle (Hrsg.): Pfahlbauten rund um die Alpen (= Archäologie in Deutschland. Sonderheft. 1997). Theiss, Stuttgart 1997, ISBN 3-8062-1146-9, S. 81–87.
- Harm T. Waterbolk, Willem van Zeist (Hrsg.): Niederwil, eine Siedlung der Pfyner Kultur. Teilbände 1–4 (= Academica Helvetica. Band 1). Paul Haupt, Bern/Stuttgart 1978–1991 (Digitalisate als PDF: Band 1; Band 2; Band 3; Band 4).
- René Wyss: Die Pfyner Kultur (= Aus dem Schweizerischen Landesmuseum. Band 26, ZDB-ID 1190122-6). Paul Haupt, Bern 1970.
- Josef Winiger: Feldmeilen-Vorderfeld. Der Übergang von der Pfyner zur Horgener Kultur (= Antiqua. Band 8, ZDB-ID 194744-8). Huber, Frauenfeld 1981.
- Josef Winiger: Das Fundmaterial von Thayngen-Weier im Rahmen der Pfyner Kultur (= Monographien zur Ur- und Frühgeschichte der Schweiz. Band 18). Birkhäuser, Basel 1971, ISBN 3-7643-0579-7 (zugleich: Dissertation, Universität Zürich 1971).
Jungneolithikum
STECKBRIEF
01
Name
Pfyner Kultur
02
Alter
- Ca. 4000 bis 3500 v. Chr.
- Frühe Bauten bereits ab 3870 v. Chr.; voll entwickelte Siedlungsstrukturen ab ca. 3700 v. Chr.
- Letztes datierbares Ereignis um 3507 v. Chr., später noch Arbon-Bleiche 3 (3384–3370 v. Chr.)
03
Geographische Verbreitung
- Ursprünglich im Alpenvorland und der Bodenseeregion
- Erweiterung ins Schweizerische Mittelland, nach Schaffhausen und an den Zürichsee
- Übergangsregionen: Oberschwaben (Pfyn-Altheimer Gruppe in Süd-Bayern)
- Bedeutende Fundstellen auch in angrenzenden Regionen (z. B. Baden-Württemberg, Deutschland)
04
Entdeckung
Die Entdeckung von Homo floresiensis wurde im Jahr 2003 von einem Team internationaler Wissenschaftler unter der Leitung von Mike Morwood bekannt gegeben.
05
Archäologische Fundstellen
- Gachnang-Niederwil (TG)
- Pfyn-Breitenloo (TG)
- Hornstaad-Hörnle (DE)
- Reute-Schorrenried (Moorsiedlung in Baden-Württemberg)
- Arbon-Bleiche 3 (TG)
- Lenzburg-Goffersberg (AG)
- Eschen-Lützengüetle (FL)
- Schaffhausen-Schweizersbild (SH)
- Thayngen-Weier (SH)
- Feldmeilen-Vorderfeld (ZH)
- Diverse Fundstellen am Zürichsee
06
Siedlungsbau und Architektur
- Typisch sind Feuchtbodensiedlungen (Pfahlbauten) und auch ebenerdige Häuser bei kleineren Seen
- An großen Seen wie dem Bodensee: Dicht aneinander gereihte Bauten, oft umgeben von lockeren Palisaden
- In Moor-Siedlungen sind häufig Bohlenwege anzutreffen, was auf eine gemeinschaftliche Planung hindeutet
07
Materielle Kultur
- Keramik: Flachbödige, kaum verzierte Gefäße mit Oberflächen, die aufgeraut oder mit Schlick überzogen sein können; dekorative Elemente an den Rändern (Arkaden, Fingerkniffe, Leisten, Knubben)
- Metallverwendung: Einführung von Kupferobjekten (Schmuck, Werkzeuge wie Beilklingen), erste Kultur in der Schweiz mit dieser Technologie (Kupfersteinzeit)
- Symbolische Darstellungen: Lehmgeformte Brüste an Hauswänden (z. B. Ludwigshafen-Seehalde, Reute-Schorrenried) und gynäkomorphe Darstellungen in speziellen Gebäuden
08
Soziale und kulturelle Aspekte
- Entstehung am Südrand der späten Michelsberger Kultur und Anschluss an die Hornstaader Gruppe
- Wiederkehrende Nutzung bewährter Siedlungsplätze trotz relativ kurzlebiger Bauten
- Geringere Mobilität im Vergleich zu benachbarten Gruppen, mit wenigen Importen aus fernen Regionen
- Übergang und Einflüsse: Ablösung der Cortaillod-Kultur, Übergang zu Horgener und Altheimer Gruppen; Hinweise auf Einwanderungen aus östlichen Regionen (Niederösterreich/Slowakei/Westungarn)
09
Archäologische Entdeckungen
- Namensgebende Fundstelle Pfyn-Breitenloo wurde 1944 von Karl Keller-Tarnuzzer mit polnischen Internierten ausgegraben
- Führende Stätten wie Niederwil und Reute-Schorrenried haben maßgeblich zur Erforschung der Kultur beigetragen
- Erste systematische Auswertungen der Funde erfolgten erst Ende des 20. Jahrhunderts
Die Pfyner Kultur steht exemplarisch für einen innovativen und dynamischen Lebensraum im jungneolithischen Alpenvorland, der durch eine enge Verzahnung von technologischem Fortschritt, kulturellem Austausch und gemeinschaftlicher Planung geprägt war.