Die prähistorische Evolution... ca. 2,5 bis 1,9 Mio. Jahre vor heute
Homo rudolfensis
Homo rudolfensis gehört zu den ausgestorbenen Arten der Gattung Homo und wird als eine der frühesten bekannten Arten dieser Gattung betrachtet. Die Fossilien, die als Homo rudolfensis identifiziert wurden, sind etwa zwei Millionen Jahre alt und wurden in Ostafrika entdeckt.
Die Gattung Homo leitet sich vom lateinischen „hŏmō“ ab, was „Mensch“ bedeutet. Das Epitheton „rudolfensis“ bezieht sich auf den Fundort am Rudolfsee, heute bekannt als Turkana-See, in Kenia. Somit bedeutet Homo rudolfensis wörtlich „Mensch vom Rudolfsee“. Aufgrund der begrenzten Anzahl von Funden und ihrer zeitlichen sowie morphologischen Nähe zu den Australopithecinen wurde auch die Bezeichnung Australopithecus rudolfensis vorgeschlagen. Zusätzlich wurden alternative Bezeichnungen wie Kenyanthropus rudolfensis aufgrund möglicherweise extrem flacher Gesichtsschädel und Pithecanthropus rudolfensis in Anlehnung an Haeckels hypothetischen Urmenschen Pithecanthropus primigenius diskutiert. Trotz der unvollständigen Funde besteht jedoch kaum ein Zweifel daran, dass Homo rudolfensis zur Abstammungslinie des Menschen gehört.
Erstbeschreibung von Homo rudolfensis
Meilenstein in der Paläoanthropologie
Der Holotypus von Homo rudolfensis ist ein stark abgeschabter und zahnloser Schädel mit teilweise erhaltenem Oberkiefer, aber ohne Unterkiefer, der 1972 unter der Leitung von Richard Leakey von Bernard Ngeneo bei Koobi Fora gefunden wurde. Dieser Schädel trägt die Sammlungsnummer KNM-ER 1470 . Richard Leakey beschrieb den Schädel erstmals 1973 wissenschaftlich, ordnete ihn jedoch zunächst keiner spezifischen Art, sondern lediglich der Gattung Homo zu. 1976 vermutete Leakey, der Schädel könne zu Homo habilis gehören. Erst 1986 wurde der Schädel schließlich von Valerii Alexeev in einem Buch als Homo rudolfensis benannt. 1992 wurde postuliert, dass diese Art an der Basis einer Entwicklungslinie steht, die zum anatomisch modernen Menschen führt.
Im Jahr 2001 wurde in Erwägung gezogen, den Schädel KNM-ER 1470 der neu beschriebenen Art Kenyanthropus platyops zuzuordnen. Eine Besonderheit der Erstbeschreibung ist, dass der Schädel KNM-ER 1470 als Holotypus benannt wurde, ohne dass Alexeev das originale Fossil mit anderen Fossilien verglichen hatte. Zudem verwendete Alexeev in seinem 1986 veröffentlichten Buch eine veraltete Terminologie, die vor 1950 in der Fachliteratur üblich war. So bezeichnete er Homo heidelbergensis als „Pithecanthropus heidelbergensis“, Homo soloensis als „Pithecanthropus soloensis“ und den Schädel KNM-ER 1470 als „Pithecanthropus rudolfensis„, obwohl die Gattung Pithecanthropus seit mehr als 30 Jahren als veraltetes Synonym für die Gattung Homo galt. Erst seit Bernard Wood 1991 in einem Forschungsbericht die Bezeichnung Homo rudolfensis verwendete, ist diese Bezeichnung weitgehend anerkannt. Die Funde werden im Kenianischen Nationalmuseum in Nairobi aufbewahrt; KNM steht für das Museum, ER für East-Rudolf, das Ostufer des Turkana-Sees.
Weitere Funde von Homo rudolfensis...
Es blieb lange unklar, ob die Merkmale des Fossils KNM-ER 1470 für die gesamte Population charakteristisch oder lediglich eine spezielle Ausprägung innerhalb einer formenreichen Art waren. Erst die 2012 veröffentlichten Funde des Oberkiefers KNM-ER 62000 und des teilweise bezahnten Unterkiefers KNM-ER 60000 brachten Klarheit, indem sie belegten, dass mehrere sehr ähnliche Individuen existierten. Weitere Funde, die Homo rudolfensis zugeschrieben werden, wurden in unmittelbarer Nähe zum Typusexemplar gemacht, darunter der Unterkiefer KNM-ER 1802, sowie in Äthiopien im Omo-Gebiet und in Malawi. Eine bahnbrechende Entdeckung ereignete sich im August 1991, als der renommierte Paläoanthropologe Friedemann Schrenk und sein Team bei einer Ausgrabung in Malawi auf den bezahnten Unterkiefer UR 501, eines rund 2,4 Millionen Jahre alten Hominiden stießen. Dieses bedeutende Fossil wurde später in der Fachwelt als „Homo rudolfensis“ identifiziert.
Friedemann Schrenk unterstrich die Wichtigkeit dieses Fundes, indem er betonte, dass Homo rudolfensis als erster Vertreter der Gattung Mensch angesehen werden könnte. Er hob besonders das Alter des Fundes hervor: „Das Besondere war damals eigentlich das Alter dieses Fundes. Denn bis dahin war die Gattung ‚Homo‘ vielleicht zwei Millionen Jahre alt. Dann wurde sie plötzlich eine halbe Million Jahre älter. Und dieser Erst-Angehörige der Gattung Mensch hat bereits Werkzeuge benutzt. Das ist eigentlich in der Definition der Gattung ‚Homo‘ eingeschlossen.“ Darüber hinaus entdeckte Friedemann Schrenk in Malawi im Jahr 1991 den Unterkiefer UR 501, der auf ein Alter von 2,5 Millionen Jahren datiert wurde. Diese Datierung legt nahe, dass Homo rudolfensis möglicherweise als der älteste Vertreter der Gattung Homo betrachtet werden könnte.
Merkmale von Homo rudolfensis
Ein Blick auf die Besonderheiten dieser frühen Hominidenart
Das Gehirnvolumen von Homo rudolfensis beläuft sich in etwa auf 750 cm³. Die Anordnung der Zähne in Ober– und Unterkiefer sowie die Form beider Kiefer ähneln in vielerlei Hinsicht derjenigen von Paranthropus. Anfangs gab es Unsicherheiten über die Ausrichtung des recht langen Gesichts und des Unterkiefers von Homo rudolfensis – ob sie prognath (nach vorn ragend) oder eher orthognath (senkrecht) waren. Ein Überaugenwulst ist nicht vorhanden. Jedoch bestätigte der gut erhaltene Oberkiefer KNM-ER 62000 die ausgeprägte Orthognathie und zeigt auffallende Ähnlichkeiten mit dem Fossil KNM-ER 1470. Im Gegensatz dazu sind die Funde, die Homo habilis zugeschrieben werden, deutlich prognath.
Ein gut erhaltener Unterkiefer, KNM-ER 60000, stammt von einem anderen Individuum, passt jedoch grundsätzlich zum Fossil KNM-ER 1470 aufgrund seiner Bogenform und wurde daher der gleichen Art zugeschrieben. Bisher sind keine vollständigen Skelettfunde von Homo rudolfensis bekannt, daher ist sein Körperbau unterhalb des Kopfes ungewiss. Jedoch wurden in den gleichen Fundschichten einzelne Extremitätenknochen sowie ein Becken entdeckt, die sich von Australopithecus-Funden unterscheiden und eher denen moderner Menschen ähneln. Es ist wahrscheinlich, dass diese Funde zu Homo rudolfensis gehören, da bisher keine anderen Zahn- oder Schädelfunde aus diesen Schichten bekannt sind, die zu einer parallel existierenden Spezies der Gattung Homo gehören könnten. Die Körpergröße von KNM-ER 1472 und KNM-ER 1481 wird auf knapp 150 cm geschätzt, mit einem Körpergewicht von etwa 50 kg. Die Rekonstruktion des kompletten Individuums aus dem Oberschenkelknochen KNM-ER 3728 ergibt eine Körpergröße von 145 cm und ein Gewicht von 45 kg. Bisher wurden keine Steinwerkzeuge in unmittelbarem Zusammenhang mit Fossilien von Homo rudolfensis entdeckt, jedoch in etwas jüngeren Fundhorizonten am westlichen Turkana-See. Es wird angenommen, aber nicht bestätigt, dass Homo rudolfensis möglicherweise der erste Hominine war, der Steingeräte nutzte.
Zahnuntersuchungen legen nahe, dass Homo rudolfensis hauptsächlich Pflanzenfresser war. Begleitfunde, darunter Verwandte von Gazellen, Elefanten, Schakalen, aber auch Flusspferden und Pavianen, deuten darauf hin, dass der Lebensraum von Homo rudolfensis eine Mischung aus offenen, savannenartigen Graslandschaften und Galeriewäldern mit dichtem Unterholz war. Eine klare Abgrenzung von Homo rudolfensis und Homo habilis ist derzeit nicht möglich, da dies auf einem Vergleich der Typusexemplare beider Arten basieren würde. Ein solcher Vergleich ist jedoch nicht möglich, da der Typus von Homo rudolfensis ein Schädel mit unbezahntem Oberkiefer ist, während der Typus von Homo habilis ein bezahnter Unterkiefer ist.
Ernährung von Homo rudolfensis
Eine Analyse der Nahrungsquellen dieser Frühmenschen
Nach Millionen von Jahren kann die Ernährungsgewohnheit eines Individuums durch die Analyse der Kohlenstoff– und Sauerstoff-Isotopenzusammensetzung im Zahnschmelz rekonstruiert werden. Insbesondere ermöglichen geochemische Analysen die Unterscheidung zwischen den Anteilen von C3-Pflanzen und C4-Pflanzen, die konsumiert wurden. Laut einer 2018 veröffentlichten Studie ernährte sich Homo rudolfensis zu 60 bis 70 Prozent von C3-Pflanzen. Diese bestanden vermutlich hauptsächlich aus Teilen von Bäumen, wie Früchten, Blättern und Knollen. Es wurde vergleichsweise weniger Nahrung von Pflanzen verzehrt, die heute in offenen afrikanischen Savannen vorherrschen.
Homo rudolfensis
STECKBRIEF
01
Name
Homo rudolfensis
02
Alter
Circa 2,5 bis 1,9 Mio. Jahre vor heute
03
Entdeckungsjahr
1972
04
Erstbeschreibung
1973 von Richard Leakey und Kollegen
05
Typusfund
Schädel KNM-ER 1470
06
Fundorte
Koobi Fora, Kenia, Malawi
07
Weitere wichtige Funde
Unterkiefer KNM-ER 1802 (aus derselben Fundregion wie der Typusfund), Unterkiefer UR 501 (entdeckt von Friedemann Schrenk 1991 in Malawi)
08
Ernährungsgewohnheiten
Hauptsächlich Pflanzenfresser, basierend auf Kohlenstoff- und Sauerstoff-Isotopenanalysen
09
Besondere Merkmale
Relativ großes Gehirnvolumen (ca. 750 cm³), orthognather Unterkiefer, ähnlichkeiten zu Paranthropus