Die Altheimer Kultur: Ein faszinierender Blick in das späte Jungneolithikum... ca. 3.800 – 3.300 v.Chr

Altheimer Gruppe

Die Altheimer Kultur, auch unter der Bezeichnung Altheimer Gruppe bekannt, repräsentiert eine bedeutende Kulturerscheinung des späten Jungneolithikums, deren Zeitrahmen auf etwa 3800 v. Chr. bis 3400/3300 v. Chr. datiert wird. Bereits 1915 prägte der angesehene Prähistoriker Paul Reinecke diesen Terminus – inspiriert von dem 1911 entdeckten und 1914 sorgfältig ausgegrabenen Erdwerk in Altheim, gelegen in Essenbach bei Landshut (Niederbayern). Im Zentrum dieser archäologischen Periode steht ein weitreichendes Verbreitungsgebiet, das vornehmlich Niederbayern sowie die südliche Oberpfalz umfasst und sich im Westen bis zum Lech sowie im Osten bis zum Inn erstreckt. Hervorzuheben ist dabei auch die exzellente Erhaltung zahlreicher Fundstätten, die heute als lebendige Zeugen prähistorischer Siedlungsstrukturen gelten. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel liefert die prähistorische Siedlung Pestenacker in der Gemeinde Weil, deren außergewöhnliche Konservierung einen tiefen Einblick in die Lebenswelten und Organisation der damaligen Gemeinschaften ermöglicht.

Altheimer Gruppe

Technologische Raffinessen und interkulturelle Verbindungen der Altheimer Kultur

Einblicke in Keramikgestaltung, Werkzeugherstellung und Bestattungsrituale

Ein Merkmal der Altheimer Gruppe, das im gesamten Neolithikum dominiert, ist ohne Zweifel die Keramik. Unverzierte Gefäße, veredelt mit zarten Fingertupfen- und Arkadenrandleisten sowie einem markanten Schlickauftrag, zeugen von einer handwerklichen Präzision und ästhetischen Raffinesse, die ihresgleichen sucht. Außergewöhnlich ist auch die Herstellung der Silexgeräte. Statt auf Abschlagsmethoden zurückzugreifen, werden diese Werkzeuge direkt als Kerngeräte aus dem Silexrohstoff gefertigt. Besonders innovativ zeigt sich dabei die Technik, die bei der Ernte zum Einsatz kam: Große Sichelklingen aus Plattenhornstein, gewonnen im Abbaugebiet bei Baiersdorf – einem Ortsteil von Riedenburg – stellten eine technische Neuerung dar und revolutionierten die herkömmlich genutzten Kompositsicheln.

Altheimer Kultur
Altheimer Gruppe - Keramiken
Skizze typischer Altheimer Keramik
Bestattungen

Bestattungspraktiken

Die Bestattungspraktiken der Altheimer Gruppe bleiben weitgehend im Dunkeln, da zahlreiche Grabstätten bislang nicht aufgefunden wurden. Es wird vermutet, dass ein Großteil der Bevölkerung auf eine Weise bestattet wurde, die heute archäologisch nicht mehr erkennbar ist. Dennoch liefern einzelne Funde wertvolle Hinweise: In der Ergolding-Fischergasse wurde das Hockergrab eines Mannes entdeckt, während in Stephansposching zwei Hocker- sowie eine Brandbestattung ans Licht kamen.

Kulturtransfer (1)

Austausch - Handelsnetz

Ein weiterer faszinierender Aspekt dieser Kultur liegt in ihrem regen Austausch mit benachbarten Regionen. Während in der vorangegangenen Münchshöfener Kultur vereinzelte Kupferartefakte noch als Importe aus der Lengyel-Kultur galten, knüpfte die Altheimer Kultur enge Verbindungen zu nordalpinen Kupferhütten der Mondseekultur. Dieses reziproke Handelsnetz lässt sich unter anderem durch den Nachweis von Baiersdorfer Plattensilex in Fundplätzen der Mondseekultur belegen. Zudem unterstreicht die Entdeckung eines seltenen Beils aus alpinem Kupfer in Altheim den weitreichenden interkulturellen Austausch und die Bedeutung dieser Region als Schnittstelle prähistorischer Handelswege.

Siedlungswesen und Grabenanlagen der Altheimer Kultur

Ein faszinierender Einblick in neolithische Lebensräume und Verteidigungsstrukturen

Altheimer Gruppe
Modell eines Erdwerk in Altheim
Altheimer Kultur
Erdwerk in Altheim 1911, 1914

Innerhalb der über 200 bekannten Fundstellen manifestiert sich das Siedlungswesen der Altheimer Kultur vorwiegend auf mineralischen Böden, die stabile Grundlagen für das damalige Leben boten. Zahlreiche dieser Siedlungsplätze weisen darüber hinaus komplexe Erdwerke auf, die häufig als imposante Grabenanlagen realisiert wurden. Im gesamten Jungneolithikum waren derartige Grabenanlagen weit verbreitet und bildeten oftmals das Herzstück einer Siedlungsgemeinschaft, womöglich als zentrale Versammlungs- oder Verteidigungszone dienten. Häufig wurden diese Erdwerke an strategisch günstigen Standorten errichtet – an Terrassen oder entlang von Hangkanten –, um die natürliche Topografie optimal zu nutzen. Dabei grenzen bis zu drei Gräben ein Areal ein, das meist eine trapez- bis rechteckige Form aufweist, während die Hangseite in der Regel grabenlos bleibt. Obgleich diese eindrucksvollen Strukturen auf eine wohlüberlegte Planung und soziale Organisation hinweisen, bleibt ihre exakte Funktion weiterhin Gegenstand intensiver archäologischer Diskussionen. Die Deutung der Grabenanlagen der Altheimer Kultur eröffnet somit spannende Perspektiven auf das Zusammenspiel von Siedlungsbau, Gemeinschaftsorganisation und Verteidigungsstrategien im späten Jungneolithikum.

Mineralbodensiedlungen

Auf stabilen mineralischen Böden fanden zahlreiche Gemeinschaften ihren Platz. So besticht etwa die Lößterrasse des mittleren Isartals bei Landshut durch das eindrucksvolle Erdwerk in Altdorf, Essenbach-Altheim – einem Fundort, der auch als Altheim-Holzen bekannt ist. In Niederbayern wurden weitere Erdwerke an strategisch gewählten Standorten entdeckt, darunter in Bad Abbach-Alkofen (Landkreis Kelheim), in Bruck und Nindorf (Landkreis Deggendorf), ebenso wie in Oberschneiding, Osterhofen-Linzing, Osterhofen-Neu-Wisselsing, Aiterhofen-Ödmühle, Pilsting-Trieching und Straßkirchen. Ein weiteres herausragendes Zeugnis dieser Siedlungsform liefert die Grubenhütte von Sengkofen im Landkreis Regensburg, Oberpfalz, die das reiche archäologische Erbe dieser Region eindrucksvoll illustriert.

Feuchtbodensiedlungen

Gleichzeitig eröffnen die an Seeufern, Inseln und in Mooren gelegenen Feuchtbodensiedlungen faszinierende Perspektiven auf alternative Besiedlungsstrategien. In der unmittelbaren Umgebung von Landshut wurden die Siedlungen von Ergolding-Fischergasse und Essenbach-Koislhof entdeckt, während das Loosbachtal – auch als Tal des verlorenen Baches bezeichnet – eine konzentrierte Ansammlung neolithischer Siedlungsplätze bietet. Auf einer Strecke von lediglich drei Kilometern reihen sich hier drei Talauesiedlungen an: Pestenacker-Nord, Pestenacker in der Gemeinde Weil sowie Unfriedshausen bei Walleshausen in der Gemeinde Geltendorf. Weiter nördlich, etwa zwölf Kilometer entfernt, wurde mit Merching-Stummenacker eine weitere ehemals feucht situierte Siedlung identifiziert. Hinzu kommt die Inselsiedlung von Kempfenhausen im Starnberger See, die als eindrucksvolles Beispiel für die Nutzung von Wasserlandschaften gilt. Die besondere Lage in Feuchtgebieten begünstigte zudem die außergewöhnliche Erhaltung organischer Materialien. So konnten neben Bauholz, kunstvoll gearbeiteten Bohlenwegen und filigranen Flechtwerkzäunen sogar textile Überreste, wie beispielsweise ein Spitzhut in Pestenacker, geborgen werden.

Rekonstruktion eines neolithischen Spitzhutes aus der Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. Das Original wurde in Pestenacker gefunden und zählt zu den ältesten bekannten Textilien Bayerns. Es war aus Leinen geflochten, mit wasserabweisenden Streifen aus Eichenbast besetzt und an der Spitze mit Leder zusammengefasst.
Siedlungsstruckturen (1)

Architektur des Neolithikums
Baukunst und Wohnkultur der Altheimer Gruppe

Von flüchtigen Erdkellern bis zu präzise konstruierten Feuchtbodenhäusern

Während die auf Mineralböden errichteten Behausungen der Altheimer Gruppe kaum bleibende Bauspuren hinterlassen, bieten die gefundenen Gruben faszinierende Hinweise auf die Nutzung als Erdkeller. Diese unterirdischen Strukturen, die vermutlich als Lager oder kühle Rückzugsorte dienten, lassen auf eine temporäre oder gar bewusst abbaubare Bauweise schließen, die im Laufe der Jahrtausende nahezu vollständig verschwunden ist. Im Gegensatz dazu eröffnen die Funde aus den Feuchtbodensiedlungen einen eindrucksvollen Einblick in die bauliche Raffinesse neolithischer Häuser. Besonders herausragend sind die gut erhaltenen Bauten aus Unfriedshausen und Pestenacker, die im Durchschnitt etwa 4 Meter in der Breite und 8 Meter in der Länge messen. Diese Häuser offenbaren ein durchdachtes Fundamentsystem: Im vorderen Bereich wurden robuste Holzbalken verwendet, während der hintere Teil mit einer kunstvollen Mischung aus Birkenästen, Strohhäcksel und Mist stabilisiert wurde. Auf dieser soliden Unterlage kam dann ein Lehmestrich als Fußboden zum Einsatz, der nicht nur den praktischen Anforderungen des Alltags, sondern auch den gestalterischen Vorstellungen der Zeit gerecht wurde. Diese archäologischen Befunde ermöglichen es uns, die vielseitigen Ansätze des Hausbaus innerhalb der Altheimer Kultur zu rekonstruieren und werfen zugleich ein Licht auf den Einfluss unterschiedlicher Umweltbedingungen – von trockenen Mineralböden bis hin zu feuchten Siedlungsarealen – auf die baulichen Techniken im späten Jungneolithikum.

Altheimer kultur
Haus 1 in einer Übersichtsaufnahme von Westen während der Ausgrabungen in Pestenacker. Rechts des Steges ist das Fundament des Wohnbereiches zu sehen. Links des Steges markieren Mist- und Astlagen den Stallbereich des Wohnstallhauses.
Jagd und Fischfang

Nahrungsgrundlagen der Altheimer Kultur
Tierhaltung und Ergänzende Wildbeute

Architektonische Besonderheiten und Grubenfundtypen

Altheimer Gruppe Nahrungsgrundlagen Illustration © OpticalArtInc

In Pestenacker liefert die archäologische Evidenz spannende Einblicke in die Ernährungsweise der neolithischen Gemeinschaft. Neben der Haltung domestizierter Tiere – so sind Überreste von Rind, Schaf/Ziege, Schwein und Hund nachgewiesen worden – spielt die Ergänzung durch Wildfang eine entscheidende Rolle. Lange galt die hohe Anzahl an Pferdeknochen als Hinweis auf eine frühe Domestikation dieser Tiere. Neuere Untersuchungen konnten jedoch nachweisen, dass es sich hierbei um verhältnismäßig kleine Wildpferde handelt, was den bisherigen Interpretationen widerspricht. Darüber hinaus wurde das Nahrungsspektrum deutlich erweitert: Neben den großen Huftieren wie Rothirsch und Wildschwein wurden auch verschiedene Vogel– und Fischarten aktiv bejagt. Die umfassende Jagdstrategie schloss zudem andere Wildtiere ein – von Bären und Bibern bis hin zu Schildkröten – und unterstreicht die Anpassungsfähigkeit der Gemeinschaft in der Nutzung regionaler Ressourcen. Diese vielfältige Nahrungsgrundlage zeugt von einem ausgeklügelten Zusammenspiel aus Haustierhaltung und strategischem Wildfang, das den Bewohnern eine stabile und abwechslungsreiche Ernährung sicherte.

Literatur

Literatur

  • Jürgen DriehausDie Altheimer Gruppe und das Jungneolithikum in Mitteleuropa, Römisch-Germanisches Zentralmuseum zu Mainz, 1960.
  • Alexander BinsteinerDie Lagerstätten und der Abbau bayerischer Jurahornsteine sowie deren Distribution im Neolithikum Mittel- und Osteuropas, Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz, 52, 2005, 43-155.

spätes Jungneolithikum

STECKBRIEF

01

Name

Altheimer Gruppe oder  Kultur

02

Alter

Ca. 3800 v. Chr. – 3400/3300 v. Chr.

03

Entstehung und Benennung

  • Begriff 1915 von Prähistoriker Paul Reinecke geprägt
  • Namensgebender Fundort: Erdwerk in Altheim (Essenbach bei Landshut, Niederbayern), entdeckt 1911 und ausgegraben 1914
  •  

04

Geografische Verbreitung

  • Hauptsächlich in Niederbayern und der südlichen Oberpfalz
  • Ausdehnung bis zum Lech im Westen und bis zum Inn im Osten
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05

Kulturelle Merkmale

  • Keramik:
      • Unverzierte Gefäße mit Fingertupfen- bzw. Arkadenrandleisten und Schlickauftrag
  • Werkzeugherstellung
      • Silexgeräte werden als Kerngeräte aus Rohstoffen gefertigt
      • Verwendung großer Sichelklingen aus Plattenhornstein (Baiersdorf) als innovative Technik zur Ernte

06

Bestattungsrituale

  • Kaum direkt nachweisbare Gräber, vermutlich überwiegend auf Weisen bestattet, die heute nicht mehr rekonstruierbar sind
  • Bekannte Funde: Hockergrab in der Ergolding-Fischergasse; Hocker- und Brandbestattungen in Stephansposching
  •  

07

Handels- und Austauschbeziehungen

  • Intensive Vernetzung mit nordalpinen Kupferhütten der Mondseekultur
  • Nachweis von Baiersdorfer Plattensilex in Fundplätzen der Mondseekultur
  • Fund eines seltenen alpinen Kupferbeils in Altheim als Zeugnis des interkulturellen Austauschs
  •  

08

Siedlungswesen

  • Über 200 bekannte Fundstellen, errichtet sowohl auf Mineralböden als auch in Feuchtgebieten
  • Mineralbodensiedlungen:
      • Beispiel: Lößterrasse des mittleren Isartals bei Landshut (Altdorf, Essenbach-Altheim) sowie Erdwerke in Bad Abbach-Alkofen, Bruck, Nindorf, etc.
      • Grubenhütte von Sengkofen (Landkreis Regensburg, Oberpfalz)
  • Feuchtbodensiedlungen:
      • An Seeufern, Inseln und Mooren, z. B. in Ergolding-Fischergasse, Pestenacker, Unfriedshausen, Merching-Stummenacker und Kempfenhausen (Starnberger See)
      • Hervorragend erhaltene organische Reste wie Bauholz, Bohlenwege, Flechtwerkzäune und sogar Textilien (z. B. ein Spitzhut)

09

Hausbau

  • Auf Mineralböden kaum erhaltene Häuser, lediglich Gruben (interpretiert als Erdkeller) nachgewiesen
  • Feuchtbodensiedlungen bieten bauliche Einblicke:
      • Häuser ca. 4 m breit und 8 m lang
      • Fundamentsystem: Vorderer Bereich aus Holzbalken, hinterer Bereich mit Birkenästen, Strohhäcksel und Mist; darüber Lehmestrich als Fußboden

10

Ernährungsgrundlagen

  • Domestizierte Tiere: Rind, Schaf/Ziege, Schwein und Hund
  • Ergänzende Wildbeute:
      • Lange vermutete Domestikation der Pferde revidiert – es handelt sich um kleine Wildpferde
      • Weitere Beutetiere: Rothirsch, Wildschwein, diverse Vogel- und Fischarten, Bär, Biber und sogar Schildkröten

Archäologische Kulturen des Jungneolithikums in Mitteleuropa

MÜNCHSHÖFENER KULTUR
ca. 4.500 – 3.800 v.Chr

MICHELSBERGER KULTUR
ca. 4.400 – 3.500 v.Chr

GARTERSLEBENER KULTUR
ca. 4.300 – 3.900 v.Chr

JORDANSMÜHLER KULTUR
ca. 4.300 – 3.900 v.Chr

SCHUSSENRIEDER GRUPPE
ca. 4.200 – 3.700 v.Chr

TRICHTERBECHERKULTUR
ca. 4.200 – 2.800 v.Chr

PFYNER KULTUR
ca. 4.000 – 3.500 v.Chr

BAALBERGER KULTUR
ca. 4.000 – 3.150 v.Chr

MONDSEEKULTUR
ca. 3.800 – 3.300 v.Chr

Altheimer Gruppe

ALTHEIMER GRUPPE
ca. 3.800 – 3.300 v.Chr

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