Die prähistorische Evolution... Ca. 10. – 7. Jahrtausend v. Chr.

Çayönü

Die archäologische Stätte Çayönü, gelegen in Anatolien, spielt eine zentrale Rolle für unser Verständnis der frühen menschlichen Zivilisation. Sie befindet sich am Nordufer des Boğazçay, einem Nebenfluss des Tigris, und liegt am Fuße des imposanten Taurusgebirges. Das heutige Dorf Sesverenpınar, ehemals Hilar genannt, liegt in unmittelbarer Nähe. Nur sieben Kilometer trennen die Fundstätte von der Stadt Ergani, während die Provinzhauptstadt Diyarbakır etwa 40 Kilometer südöstlich liegt. Diese prähistorische Siedlung bietet uns wertvolle Einblicke in das Leben der Menschen während des Übergangs von Jäger- und Sammlerkulturen zu sesshaften Gesellschaften.

Çayönü

Die archäologische Entdeckung von Çayönü fand im Jahr 1963 statt, was den Beginn umfangreicher Forschungsarbeiten markierte. Von 1964 bis 1991 widmeten sich die Archäologen Robert John Braidwood, Halet Çambel und Mehmet Özdoğan der intensiven Untersuchung dieser bedeutenden prähistorischen Stätte. Während dieser Grabungen deckten sie zahlreiche Artefakte und Siedlungsstrukturen auf, die tiefgreifende Einblicke in das frühe Leben der menschlichen Zivilisation in Anatolien ermöglichen.

Die zeitliche Entwicklung von Çayönü

Vom 10. bis ins 7. Jahrtausend v. Chr.

Erste Spuren der Besiedlung datieren ins 10. Jahrtausend v. Chr., als sich hier eine Gemeinschaft von frühen Ackerbauern niederließ, die in einfachen Rundbauten lebten.

Die Siedlung von Çayönü bietet eine faszinierende zeitliche Abfolge, die die Entwicklung der frühen menschlichen Gemeinschaften eindrucksvoll nachzeichnet. Erste Spuren der Besiedlung datieren ins 10. Jahrtausend v. Chr., als sich hier eine Gemeinschaft von frühen Ackerbauern niederließ, die in einfachen Rundbauten lebten. Im Laufe der Jahrtausende wuchs die Siedlung kontinuierlich und entwickelte sich zu einer größeren Gemeinschaft mit komplexer, differenzierter Architektur. Diese Veränderung ist besonders im 9. und 8. Jahrtausend v. Chr. deutlich, als sich erste rechteckige Gebäude und strukturell klarer gegliederte Wohnbereiche herausbildeten. Diese Entwicklung setzte sich bis ins frühe 7. Jahrtausend v. Chr. fort, was Çayönü zu einer Schlüsselstätte macht, um den Übergang vom einfachen, sesshaften Leben zu einer organisierten und architektonisch ausgefeilten Gesellschaft zu verstehen.

Siedlungsgeschichte von Çayönü

Evolution einer frühen neolithischen Gemeinschaft

Die Besiedlungsgeschichte von Çayönü bietet ein außergewöhnliches Beispiel für die evolutionäre Entwicklung früher neolithischer Gesellschaften. Die ältesten Siedlungsschichten stammen aus der akeramischen Phase des Neolithikums A (PPN A) und datieren ins 10. bis 9. Jahrtausend v. Chr. Diese frühesten Bauten waren runde, leicht eingetiefte Hütten mit einem Durchmesser von 4 bis 5 Metern, deren Oberbau aus Lehmflechtwerk bestand. Diese einfachen Strukturen boten den Bewohnern Schutz und markierten den Beginn einer sesshaften Lebensweise. In der darauf folgenden Phase des frühen PPN B (ca. 9. bis 8. Jahrtausend v. Chr.) wird eine bedeutende bauliche Weiterentwicklung sichtbar, die als „Grillplanphase“ bekannt ist. Die Bauten dieser Zeit sind langrechteckig, etwa 5,5 mal 11 Meter groß und strikt nach Norden-Süden ausgerichtet. Diese Häuser bestanden aus drei klar definierten Bereichen: Der südliche Teil gliederte sich in drei kleine Zellen, der zentrale Raum war gepflastert und enthielt eine Herdstelle, während der nördliche Bereich durch parallele, grillrostähnliche Mauerstreifen geprägt war, deren genaue Funktion noch immer Rätsel aufgibt – sie könnten zum Schutz vor Feuchtigkeit oder zur Klimatisierung gedient haben. Ein bemerkenswertes Bauwerk aus dieser Phase ist das sogenannte „Kalkplattengebäude“, ein Sonderbau mit kultischer oder sozialer Bedeutung. In seinem Inneren befanden sich zwei freistehende, stelenartige Steinplatten auf einem Fußboden aus Kalksteinplatten.

Çayönü Siedlung Hausfundamente der Grillplanphase
Çayönü das Schädelgebäude, in dem mehrere Hundert menschliche Überreste, hauptsächlich Schädel, gefunden wurden.

Während der Grillplanphase ernährten sich die Bewohner hauptsächlich von Wildtieren wie Wildschweinen, Hirschen, Wildschafen und Wildziegen. Rinder wurden mit der Zeit immer wichtiger, und die Funde deuten auf erste Ansätze der Schweinedomestikation hin. Zudem ist in dieser Phase das Sammeln von Wildgetreide nachgewiesen, was auf frühe landwirtschaftliche Aktivitäten hinweist. Ab etwa 8500 v. Chr. setzte die sogenannte „Kanalplanphase“ ein. In dieser Phase wurden die Stein- oder Lehmwände der Häuser auf Plattformen errichtet, die von Kanälen durchzogen und von steinernen Veranden umgeben waren. Neben den Wohn- und Werkstätten sticht ein weiteres Sondergebäude hervor, das „Schädelgebäude“, in dem mehrere Hundert menschliche Überreste, hauptsächlich Schädel, gefunden wurden. Diese Überreste waren in steinbedeckten Kammern gelagert, und es wird angenommen, dass einige Schädel früher in Regalen aufbewahrt wurden. Das Gebäude selbst enthielt eine altarartige Steinplatte, und die Umgebung war von menhirartigen Steinsetzungen geprägt. Ein Wandel in der Ernährungsweise ist in dieser Phase ebenfalls zu beobachten, da Schweineknochen seltener wurden.

Mit der „Zellplanphase“ (spätes PPN B, ab 7500 v. Chr.) kam es zu weiteren Veränderungen. Die Häuser waren nun in zahlreiche Kammern unterteilt und zweigeschossig gebaut. Auf einem mehrkammerigen Steinfundament ruhte ein Obergeschoss aus Lehmziegeln. Lehmmodelle zeigen, dass die Dächer flach waren und von Brüstungen umgeben wurden. In dieser Zeit entstand ein großer, gepflasterter Platz im östlichen Teil der Siedlung, auf dem bis zu zwei Meter hohe Steine standen. Ein besonders hervorstechendes Bauwerk dieser Phase ist das „Terrazzogebäude“, dessen Fußboden aus geglätteten Schichten von rotem und weißem Kalkstein bestand. Wie im Schädelgebäude wurde auch hier eine altarartige Steinplatte gefunden, die mit einem Hochrelief eines menschlichen Gesichts verziert war. In dieser Phase setzte die Domestikation von Schafen und Ziegen ein, während die Jagd auf etwa ein Zehntel der Ernährung zurückging. Zusätzlich zu ihrer Ernährung durch landwirtschaftliche Experimente mit Einkornweizen nutzten die Bewohner auch Ressourcen wie Schnecken, Muscheln und Fische aus dem Fluss. Die letzte Phase, die sogenannte „Großraumphase“ (ab ca. 7000 v. Chr.), war von einräumigen Gebäuden geprägt. Die zuvor wichtigen Sonderbauten und Plätze, die rituellen oder gemeinschaftlichen Zwecken dienten, verschwanden. Diese Phase markiert offenbar einen tiefgreifenden Wandel sowohl in der rituellen Praxis als auch in den Ernährungsgewohnheiten der Menschen von Çayönü.

Çayönü Hausfundamente der Zellplanphase. Die Häuser waren nun in zahlreiche Kammern unterteilt und zweigeschossig gebaut
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Skulpturen und Kleinkunst in Çayönü

Ausdruck von Kreativität und frühem Handwerk

Çayönü lebensgroße menschliche Gesicht als Hochrelief - Illustration © OpticalArtInc

Die Funde von Skulpturen und Kleinkunst in Çayönü bieten einen faszinierenden Einblick in das künstlerische Schaffen der damaligen Bewohner, auch wenn die Stätte keine Monumentalkunst aufweist wie Nevalı Çori oder Göbekli Tepe. Besonders erwähnenswert ist das nahezu lebensgroße menschliche Gesicht, das in Hochrelief in einer altarartigen Steinplatte des Terrazzogebäudes eingearbeitet wurde – ein seltenes Beispiel figürlicher Kunst an diesem Ort. Neben diesem Relief wurden mehr als 400 Lehmfiguren entdeckt, die Menschen und Tiere darstellen. Diese kleinen Figuren spiegeln möglicherweise religiöse oder alltägliche Vorstellungen wider und zeigen, dass die Herstellung von figürlichen Darstellungen eine wichtige Rolle im Leben der Gemeinschaft spielte. Darüber hinaus fanden die Archäologen Steingefäße, die darauf hindeuten, dass die Bewohner eine bemerkenswerte Fähigkeit in der Steinbearbeitung entwickelten. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass sie in dieser Zeit bereits Tongefäße nutzten, was in späteren neolithischen Kulturen häufiger vorkommt. Interessanterweise verarbeiteten die Bewohner von Çayönü auch gediegenes Kupfer, das sie aus etwa 20 Kilometer Entfernung beschafften. Aus diesem Metall stellten sie Schmuckstücke und andere Gegenstände her. Trotz dieser frühen Nutzung von Kupfer fanden sich jedoch keine Belege dafür, dass sie bereits metallurgische Pyrotechnik beherrschten, wie etwa das Schmelzen von Erzen. Sie nutzten das Kupfer also in seiner natürlichen, rohen Form, was darauf hinweist, dass die metallurgischen Techniken erst später in der Entwicklung der Menschheit aufkamen.

Präkeramisches Neolithikum B

STECKBRIEF

01

Name

Çayönü 

02

Zeitraum der Besiedlung

Ca. 10. – 7. Jahrtausend v. Chr.

03

Lage

Anatolien, Türkei, am nördlichen Ufer des Boğazçay, nahe dem Dorf Sesverenpınar (ehemals Hilar), 7 km südwestlich von Ergani und etwa 40 km nordwestlich von Diyarbakır.

04

Entdeckung

1963

05

Grabungen

Von 1964 bis 1991 unter Leitung von Robert John Braidwood, Halet Çambel und Mehmet Özdoğan.

06

Siedlungsphasen

  • Frühes Neolithikum (PPN A): Rundbauten aus Lehmflechtwerk.
  • Grillplanphase (PPN B): Langrechteckige Gebäude mit charakteristischen grillrostähnlichen Mauerstreifen.
  • Kanalplanphase: Häuser auf Plattformen mit Kanälen, besonderes Schädelgebäude.
  • Zellplanphase: Mehrkammerige, zweigeschossige Gebäude, Terrazzogebäude mit kunstvollem Boden.
  • Großraumphase: Einräumige Gebäude, kein ritueller oder besonderer Platz.

07

Kunst und Kleinfunde

  • Über 400 Lehmfiguren von Menschen und Tieren.
  • Steingefäße, aber keine Tongefäße.
  • Kupferverarbeitung (ohne Pyrotechnik), Fund von Schmuckstücken.
  • Hochrelief eines lebensgroßen menschlichen Gesichts im Terrazzogebäude.

08

Wirtschaft und Ernährung

  • Jagd auf Wildtiere (Wildschweine, Hirsche, Wildschafe, Wildziegen), später Domestikation von Rind, Schaf und Ziege.
  • Sammeln von Wildgetreide und erste landwirtschaftliche Experimente mit Einkornweizen.
  • Verzehr von Schnecken, Muscheln und Fischen aus dem Fluss.

09

Besondere Gebäude

  • Kalkplattengebäude: Kultisches Gebäude mit Kalksteinboden.
  • Schädelgebäude: Enthält die Überreste von Hunderten Individuen und eine altarartige Steinplatte.
  • Terrazzogebäude: Gebäude mit kunstvoll gepflastertem Boden und Hochrelief eines menschlichen Gesichts.

10

Bedeutung

Çayönü ist eine der bedeutendsten archäologischen Stätten des präkeramischen Neolithikums und liefert wertvolle Erkenntnisse über die Entwicklung von Jäger- und Sammlerkulturen hin zu sesshaften Gesellschaften mit ersten landwirtschaftlichen Aktivitäten.

Präkeramisches Neolithikum B (PPNB)
Wichtige Fundorte

JERICHO
ca. 11.000 v.Chr 

MUREYBET 
ca. 10.200 – 8.000 v.Chr

ÇAYÖNÜ
ca. 10.000 – 7.000 v.Chr

NEVALI ÇORI
ca. 8.800 – 7.000  v.Chr

BOUQRAS
ca. 7.400 – 6.200 v.Chr

ʿAIN GHAZAL
ca. 7.300 – 5.000 v.Chr

ÇATALHÖYÜK
ca. 7.100 – 5.700 v.Chr

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