Die prähistorische Evolution... ca. 5800–5260 v.Chr.
Hassuna-Kultur
Die Hassuna-Kultur repräsentiert eine bedeutende archäologische Kultur des keramischen Neolithikums, die sich im nördlichen Mesopotamien, auf dem Gebiet des heutigen Irak und Syriens, entwickelte. Ihre charakteristische Keramik wurde erstmals bei den Ausgrabungen eines Tiefschnitts in Ninive entdeckt, und zwar in der untersten archäologischen Schicht. Diese bedeutende Entdeckung legte den Grundstein für eine intensivere Untersuchung, doch erst die Ausgrabungen des Irakischen Nationalmuseums in Bagdad auf dem Tell Hassuna zwischen 1943 und 1945 führten dazu, dass diese Kultur als eigenständige archäologische Einheit anerkannt wurde. Der Tell Hassuna, ein bedeutender Fundort, gab der Kultur schließlich ihren Namen und bot entscheidende Einblicke in ihre Lebensweise.
Die Erforschung der Hassuna-Kultur erlebte jedoch einen weiteren Höhepunkt in den 1960er und 1970er Jahren, als sowjetische Archäologen den Fundort Yarim Tepe I untersuchten. Diese umfangreichen Untersuchungen lieferten detaillierte Informationen über das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben dieser frühen sesshaften Gemeinschaften. Anhand der Funde konnte nachgewiesen werden, dass die Menschen der Hassuna-Kultur bereits komplexe soziale Strukturen entwickelt hatten, die sich in der Architektur und in der Organisation ihrer Siedlungen widerspiegelten. Ein spannender Diskussionspunkt innerhalb der Archäologie ist die mögliche Verbindung der Hassuna-Kultur mit der zeitlich und räumlich überlappenden Samarra-Kultur. Diese Beziehung wird seit Jahrzehnten kontrovers debattiert, da beide Kulturen nicht nur ähnliche Keramikstile aufweisen, sondern auch eine vergleichbare Siedlungsorganisation und Subsistenzstrategie vermuten lassen. Trotz intensiver Forschung bleibt die Frage nach einer möglichen kulturellen Interaktion oder Koexistenz offen, was Raum für weitere wissenschaftliche Untersuchungen bietet. Die Bedeutung der Hassuna-Kultur geht weit über ihre Keramik hinaus. Sie stellt einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung der frühen neolithischen Gesellschaften Mesopotamiens dar, die durch technische Innovationen, soziale Differenzierungen und kulturellen Austausch geprägt war.
Zeitliche und geographische Verortung der
Hassuna-Kultur
Einblick in die prähistorische Besiedlung in Mesopotamien
Die Hassuna-Kultur wird allgemein in den Zeitraum von etwa 6400 bis 5800 v. Chr. datiert, wobei verschiedene Angaben von Fachleuten existieren. Einige Forscher veranschlagen ihre Blütezeit auf 6500 bis 5500 v. Chr., während andere Zeitspannen wie 6300 bis 5800 v. Chr. diskutieren. Diese Differenzen in der zeitlichen Einordnung sind typisch für archäologische Kulturen, die sich über Jahrhunderte hinweg entwickelten. Eine definitive Datierung fehlt, da bisher lediglich eine einzige radiokohlenstoffbasierte Altersbestimmung durchgeführt wurde. Diese Methode datierte Schicht V des namensgebenden Fundorts Tell Hassuna auf 5090 ± 200 v. Chr. (unkalibriert). Angesichts dieser Unsicherheiten bleibt die präzise zeitliche Eingrenzung eine Herausforderung für die Forschung.
Geographische Ausdehnung und Unsicherheiten
Die Keramikfunde, die charakteristisch für die Hassuna-Kultur sind, deuten darauf hin, dass ihr Einflussgebiet große Teile des nördlichen Mesopotamiens umfasste. Allerdings bleibt die geographische Ausdehnung aufgrund fehlender Publikationen zu vielen Keramikfunden spekulativ. Das Kerngebiet der Hassuna-Kultur befindet sich am mittleren Tigris, wobei der Große Zab als südöstliche Grenze gilt. Archäologische Untersuchungen zeigen, dass in Siedlungen jenseits dieser natürlichen Grenze eine Vermischung mit der Samarra-Kultur stattfand. Solche Überlagerungen und Übergangsphänomene illustrieren die Dynamik kultureller Interaktionen in dieser Region während des Neolithikums. Die Kombination aus begrenzter Datierung und unvollständiger Veröffentlichung von Fundmaterial erschwert es, ein vollständig konsistentes Bild der Hassuna-Kultur zu zeichnen. Dennoch ist klar, dass ihre materiellen Hinterlassenschaften wichtige Hinweise auf die Lebensweise und den kulturellen Austausch dieser Epoche bieten.
Die Keramik der Hassuna-Kultur:
Vielfalt und Funktion
Materielle Hinterlassenschaften
Die Keramik der Hassuna-Kultur lässt sich in zwei Hauptgruppen unterteilen, die deutliche Unterschiede in Herstellungstechnik, Gestaltung und Verwendung aufweisen: die archaische Hassuna-Ware und die Standard-Hassuna-Ware.
Archaische Hassuna-Ware
Diese frühe Form der Keramik steht in enger Verbindung zur älteren Umm Dabaghiyah-Kultur und zeigt eine Übergangsphase in der keramischen Tradition. Die Gefäße dieser Gruppe sind handgefertigt, relativ grob, und wurden bei niedrigen Temperaturen gebrannt, was ihre Festigkeit begrenzte. Typisch ist auch die Verwendung von rotem Ton, aus dem dünnwandige Gefäße gefertigt wurden. Diese waren oft mit schwarzen Oberflächen versehen, die durch das Polieren einen glänzenden Effekt erhielten. Ihre Oberflächen wurden mit Ritzverzierungen geschmückt, was sie zu kunstvollen, aber dennoch funktionalen Alltagsgegenständen machte.
Standard-Hassuna-Ware
Im Vergleich dazu zeigt die Standard-Hassuna-Ware eine höhere gestalterische Vielfalt und technische Raffinesse. Sie ist heller, häufig bemalt und mit eingeritzten Schraffuren versehen, jedoch im Gegensatz zur archaischen Ware nicht poliert. Besonders charakteristisch sind kugelförmige Gefäße mit niedrigen Hälsen, die meist im oberen Bereich mit markanten Mustern verziert wurden. Beliebte Dekore umfassen Fischgräten-, Dreiecks-, Halbmond- und Punktmuster, die oft symbolische oder ästhetische Bedeutungen hatten. Ein weiteres bemerkenswertes Objekt dieser Gruppe sind die flachen Schalen mit gerilltem Boden, auch bekannt als husking trays. Diese Schalen wurden wahrscheinlich beim Schälen von Hülsenfrüchten eingesetzt, was auf die enge Verbindung der Keramik mit der alltäglichen Nahrungszubereitung hinweist.
Kulturelle Vermischung und Einfluss
In Siedlungen der Hassuna-Kultur tritt parallel zur Standard-Hassuna-Ware oft auch die Samarra-Ware auf. Dies deutet auf eine kulturelle Interaktion und möglicherweise auf Handelsbeziehungen oder Migration hin. Umgekehrt finden sich Elemente der Hassuna-Keramik auch in Fundorten, die der Samarra-Kultur zugeordnet werden. Diese Überschneidungen machen deutlich, dass die Kulturen Nordmesopotamiens in dieser Zeit nicht isoliert voneinander existierten, sondern Teil eines dynamischen Netzwerks von Austausch und Einfluss waren. Die Keramik der Hassuna-Kultur, von einfachen Gebrauchsgegenständen bis hin zu kunstvoll verzierten Gefäßen, ist ein Schlüssel zur Rekonstruktion der Lebenswelt und kulturellen Entwicklung im frühen Neolithikum Mesopotamiens.
Architektur der Hassuna-Kultur:
Entwicklung und Vielfalt
Materielle Hinterlassenschaften
Die Architektur der Hassuna-Kultur zeigt eine bemerkenswerte Entwicklung von einfachen Strukturen hin zu komplexeren und funktionaleren Gebäuden. Diese Bauwerke liefern wertvolle Einblicke in die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen einer der frühesten neolithischen Kulturen Mesopotamiens.
Frühe Phasen: Fehlen fester Gebäude
In den ältesten Schichten der Hassuna-Kultur fehlen feste Gebäude vollständig. Stattdessen wurden lediglich Öfen und große Aushöhlungen entdeckt, die mit Erde und Schutt verfüllt waren. Archäologen vermuten, dass diese Schichten die erste Phase der Bautätigkeit widerspiegeln, in der Baumaterial gewonnen wurde. Solche Hinweise auf vorbereitende Tätigkeiten unterstreichen die Bedeutung der Umweltanpassung und Materialbeschaffung in dieser frühen Zeit.
Übergang von Rundbauten
Rundbauten, die typischerweise mit dem Akeramischen Neolithikum assoziiert werden, treten auch in frühen Schichten der Hassuna-Kultur auf. Diese Gebäude hatten in Yarim Tepe I Durchmesser von 2,5 bis 3 Metern und enthielten häufig Tierknochen, Schmuck und Keramik. Unter ihren Böden wurden menschliche Skelette gefunden, was auf eine mögliche rituelle oder symbolische Nutzung hinweist. In Hassuna waren Rundbauten größer, mit Durchmessern von bis zu 5 Metern, und zeigten durch innere Wände eine Unterteilung in mehrere Räume. Funde wie Keramik, Öfen, Werkzeuge und Abfälle deuten auf eine Wohnfunktion dieser größeren Rundbauten hin.
Rechteckige Gebäudekomplexe
Mit der Zeit traten rechteckige Bauten an die Stelle der Rundhäuser, was eine Veränderung der Bauweise und möglicherweise der sozialen Organisation widerspiegelt. Diese Gebäude bestanden aus mehreren quadratischen Räumen mit einer Fläche von bis zu 4 m² und Wänden mit einer Dicke von bis zu 35 cm. Anfangs bildeten 3 bis 5 Räume einen Gebäudekomplex, dessen genaue Funktion unklar bleibt. Später nahm die Zahl der Räume pro Schicht kontinuierlich zu, was auf ein Wachstum der Siedlungen und eine zunehmende Spezialisierung hinweist. Reihen niedriger, paralleler Wände könnten die Basis von Lagergebäuden oder Anlagen zum Trocknen von Getreide gewesen sein. Diese Entwicklungen zeigen die wachsende Bedeutung von Landwirtschaft und Vorratshaltung für die Hassuna-Kultur.
Fortschrittliche Architektur und funktionale Planung
Mit dem Auftreten der Standard-Hassuna-Ware und der parallelen Samarra-Ware erlangte die Architektur einen höheren Grad an Raffinesse. Die rechteckigen Häuser der oberen Schichten bestanden aus mehreren Räumen, an die kleinere Zellen angefügt waren. Diese Zellen dienten vermutlich als Lagerräume und waren über die Dächer zugänglich. Die Dächer selbst wurden aus Ton und Schilfmatten gefertigt, mit Holzpfosten verstärkt, und möglicherweise als Arbeitsbereiche genutzt. Die Häuser waren oft mit Gips verputzt, und unter den Böden fanden sich Unterbauten aus Schotter oder Schilfmatten. Durchgänge waren mit Tonschwellen und Angelsteinen für Türen versehen, und die Innenräume enthielten häufig Bänke aus Ton sowie große Reibschalen. Fast jedes Gebäude verfügte über einen Ofen, wobei in höheren Schichten auch große, zweistufige Brennöfen auftraten.
Nutzung und Gesellschaft
Diese Entwicklungen in der Architektur spiegeln die zunehmende Spezialisierung und Organisation der Gesellschaft wider. Die Kombination aus Wohn- und Lagerbereichen, fortschrittlicher Bauweise und integrierten Arbeitsplätzen zeigt, wie sich die Siedlungen der Hassuna-Kultur an die Herausforderungen einer agrarischen Lebensweise anpassten. Die Bauwerke sind ein eindrucksvolles Zeugnis für die Innovationskraft dieser frühen neolithischen Gemeinschaften.
Bestattungsrituale der Hassuna-Kultur
Einblicke in spirituelle und gesellschaftliche Praktiken
Die Bestattungssitten der Hassuna-Kultur bieten faszinierende Einblicke in den Umgang mit Tod und Jenseitsvorstellungen einer der frühesten neolithischen Gesellschaften Mesopotamiens. Obwohl die Funde begrenzt sind, lassen sie Rückschlüsse auf soziale Strukturen, Rituale und die symbolische Bedeutung von Gräbern innerhalb der Siedlungen zu. Ein Großteil der in Hassuna-Siedlungen entdeckten Skelette gehört zu Kindern. Diese wurden häufig in Tongefäßen bestattet, die anschließend unter Fußböden, aber auch unter Wänden oder Türschwellen der Häuser vergraben wurden. Die Platzierung der Kindergräber innerhalb der Wohnbereiche könnte auf eine starke symbolische Verbindung zwischen den Lebenden und verstorbenen hinweisen, möglicherweise im Rahmen eines Ahnenkults oder als Schutzsymbol für das Haus.
Erwachsenenbestattungen sind im archäologischen Befund deutlich seltener und oft in einem chaotischen Zustand vorgefunden worden. Die Überreste wurden gelegentlich in Kornbehältern, unter Fußböden oder in wenigen Fällen in Mauervertiefungen innerhalb der Gebäude entdeckt. Zwei solcher Fälle deuten darauf hin, dass diese Praktiken nur in Ausnahmefällen oder unter besonderen Umständen angewandt wurden. Es wird angenommen, dass der Großteil der erwachsenen Verstorbenen außerhalb der Siedlungen beigesetzt wurde. Diese Annahme stützt sich auf die vergleichsweise geringe Zahl von Erwachsenenskeletten in den untersuchten Hassuna-Siedlungen. Eine klare Trennung zwischen dem Bereich der Lebenden und den Begräbnisorten der Erwachsenen könnte soziale, hygienische oder rituelle Gründe gehabt haben.
Ausrichtung und Grabbeigaben
Im Gegensatz zu späteren Epochen, in denen die Ausrichtung der Gräber an Himmelsrichtungen oft eine kultische Bedeutung hatte, zeigen die Gräber der Hassuna-Kultur keine einheitliche Orientierung. Dies könnte auf eine weniger entwickelte oder andere spirituelle Vorstellung von Raum und Jenseits hindeuten. Grabbeigaben waren selten und beschränkten sich auf einfache Gegenstände wie Keramikgefäße, Tierknochen und in einem Fall ein Halsband. Der geringe Umfang und die Bescheidenheit der Beigaben könnten auf eine pragmatische Einstellung zum Tod hinweisen oder aber eine Gesellschaft reflektieren, in der die symbolische Bedeutung von Reichtum im Grab noch keine zentrale Rolle spielte.
Deutung und Bedeutung
Die Bestattungspraktiken der Hassuna-Kultur zeigen eine enge Verbindung zwischen den Verstorbenen und den Wohnbereichen der Lebenden, insbesondere bei Kindergräbern. Diese Nähe könnte eine spirituelle Bedeutung gehabt haben, etwa als Form der Ahnenverehrung oder als Teil eines Schutzrituals für die Gemeinschaft. Die Behandlung der erwachsenen Toten bleibt jedoch rätselhaft und wirft Fragen über mögliche Unterschiede in der Bestattung nach Alter, Status oder rituellen Praktiken auf. Insgesamt geben die Funde wertvolle Hinweise auf die symbolische und soziale Bedeutung von Bestattungen und den Umgang mit dem Tod in einer der ältesten neolithischen Kulturen Nordmesopotamiens.
Kleinfunde der Hassuna-Kultur
Einblicke in Alltagsleben und Symbolik
Die Kleinfunde der Hassuna-Kultur zeichnen ein vielfältiges Bild der materiellen Kultur, das von Alltagsgegenständen über Werkzeuge bis hin zu symbolischen und künstlerischen Objekten reicht. Diese Funde spiegeln sowohl die praktischen Bedürfnisse als auch die kreativen und rituellen Aspekte des Lebens wider.
Steingeräte
Steinwerkzeuge waren ein zentraler Bestandteil des Alltags, wenn auch ihre Anzahl in den Fundschichten relativ gering ist. In den Schichten mit archaischer Hassuna-Ware dominierten Werkzeuge aus Flint deutlich gegenüber Obsidian. In späteren Phasen kehrte sich dieses Verhältnis um, was auf veränderte Rohstoffquellen oder eine zunehmende Spezialisierung hinweisen könnte.
Zu den gebräuchlichsten Steingeräten zählten:
- Schaber und Bohrer für Bearbeitungsarbeiten,
- Äxte oder Hacken für landwirtschaftliche Tätigkeiten,
- Sichelklingen, die in der Ernte eine wichtige Rolle spielten.
Pfeilspitzen waren vergleichsweise selten, was möglicherweise auf eine geringere Bedeutung von Jagdwaffen im Vergleich zu Werkzeugen für die Landwirtschaft und das Handwerk hindeutet. Ergänzt wurde das Spektrum durch Klingen, Keulenköpfe, Schalen, Mahlsteine sowie Perlen aus Materialien wie Serpentin, Karneol und Türkis, die vermutlich als Schmuck oder rituelle Objekte dienten.
Werkzeuge aus Knochen
Knochen boten eine wichtige Ressource für die Herstellung feinerer Werkzeuge. Typische Artefakte waren:
- Ahlen und Nadeln, wahrscheinlich für die Textil- oder Lederverarbeitung,
- Schleifgeräte für die Bearbeitung von Oberflächen.
Besonders bemerkenswert ist ein Rinderschulterblatt aus Yarim Tepe I, das mit Ritzungen versehen ist. Diese Ritzungen werden als Rechenoperationen interpretiert, was auf frühe Formen von Buchführung oder Zähltechniken hinweist.
Tonobjekte
Ton war ein äußerst vielseitiges Material in der Hassuna-Kultur. Neben Spinnwirteln und Schleudersteinen, die praktische Anwendungen in der Textilproduktion und Jagd hatten, wurden auch Gegenstände mit Zick-Zack-Mustern entdeckt. Diese Objekte könnten frühe Stempelsiegel darstellen und auf erste Ansätze administrativer Kontrolle hinweisen. Eine besondere Kategorie bilden kleine Tonpropfen mit verdickten Enden, deren Funktion nicht endgültig geklärt ist. Eine Hypothese besagt, dass sie als Lippenpflöcke verwendet wurden, was auf kulturelle oder ästhetische Praktiken hinweisen könnte.
Figurinen und symbolische Objekte
Eine Reihe weiblicher Tonfigurinen aus Schicht V von Yarim Tepe I, die vermutlich aufrecht standen, gibt einen Einblick in die symbolischen oder kultischen Praktiken der Hassuna-Kultur. Die Figurinen tragen hohe, konische Kopfbedeckungen und sind im unteren Bereich mit Bändern verziert, was auf eine stilisierte Darstellung von Kleidung oder Schmuck hindeuten könnte. Vergleichbare Figurinen wurden auch in Hassuna gefunden. Aus derselben Schicht stammt eine bemalte Tonflöte, die möglicherweise für rituelle oder musikalische Zwecke genutzt wurde. Dieses Objekt belegt die Bedeutung von Klang und Musik in der Gemeinschaft. Die Kleinfunde der Hassuna-Kultur bieten ein faszinierendes Fenster in die Vielseitigkeit des Lebens dieser frühen Gesellschaft. Sie zeigen nicht nur technologische Fähigkeiten und praktische Innovationen, sondern auch eine ausgeprägte ästhetische und symbolische Kultur. Solche Artefakte unterstreichen die komplexen Wechselwirkungen zwischen Alltag, Kunst und Spiritualität in der neolithischen Welt Nordmesopotamiens.
Metalle und andere besondere Funde
Zu den außergewöhnlichsten Objekten zählt ein Armband aus Blei, das in Yarim Tepe unter einem Raum der Schicht XII gefunden wurde. Dies deutet darauf hin, dass Metallbearbeitung bereits in begrenztem Umfang bekannt war.
Wirtschaftsgrundlage der Hassuna-Kultur
Zwischen Landwirtschaft, Viehhaltung und Handel
Die Wirtschaft der Hassuna-Kultur basierte auf einer Kombination aus Landwirtschaft, Viehhaltung und Jagd, ergänzt durch spezialisierte Handwerksproduktion und Fernhandel. Diese Mischung spiegelt die Anpassung der Gemeinschaften an ihre Umwelt sowie den Beginn komplexerer wirtschaftlicher Netzwerke wider.
Viehhaltung und Jagd
Die Tierüberreste aus Hassuna-Siedlungen bieten wertvolle Hinweise auf die Ernährung und Subsistenzstrategien der Menschen. Domestizierte Tiere wie Schweine, Rinder, Schafe und Ziegendominierten die Funde und bildeten die Grundlage der Viehhaltung. Gleichzeitig spielten wilde Arten wie Gazellen, Onager, Hasen und Wildschweine eine wichtige Rolle als Fleischlieferanten, was auf die fortgesetzte Bedeutung der Jagd hinweist. Die Jagd war vermutlich nicht nur eine Nahrungsquelle, sondern könnte auch eine kulturelle oder soziale Bedeutung gehabt haben. Werkzeuge wie Schleudersteine und Pfeilspitzen unterstreichen die Rolle der Jagd im Alltag der Hassuna-Gesellschaft.
Landwirtschaft
Die Funde von Pflanzenresten belegen den Anbau von Gerste, die anscheinend das Hauptgetreide war, sowie von Weizen, Linsen und Erbsen. Diese domestizierten Pflanzen zeigen die zunehmende Abhängigkeit der Menschen von Ackerbau und sesshafter Lebensweise. Die Kombination von Landwirtschaft und Viehzucht deutet auf ein diversifiziertes Ernährungssystem hin, das eine gewisse Resilienz gegenüber Ernteausfällen bot. Die in einigen Siedlungen gefundenen husking trays, flache Schalen mit gerillten Böden, die wahrscheinlich zum Schälen von Hülsenfrüchten dienten, verdeutlichen die technische Entwicklung im Umgang mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen.
Textilproduktion
Die große Menge an Spinnwirteln, die in den archäologischen Schichten entdeckt wurden, legt nahe, dass die Textilproduktion eine wichtige wirtschaftliche Aktivität darstellte. Die Verarbeitung von Wolle oder pflanzlichen Fasern wie Flachs könnte sowohl für den Eigenbedarf als auch für den Handel von Bedeutung gewesen sein.
Fernhandel mit Obsidian
Besonders aufschlussreich sind die Funde von Obsidian Werkzeugen, die nicht vor Ort hergestellt wurden. Die Geräte zeigen keinerlei Produktionsabfall, was darauf hinweist, dass sie in fertig bearbeiteter Form in die Siedlungen gelangten. Eine Analyse der Obsidianartefakte identifizierte den Nemrut Dağı im heutigen Osttürkei als Quelle des Materials. Dies belegt, dass die Gemeinschaften der Hassuna-Kultur Teil eines frühen Fernhandelsnetzes waren, das über weite Entfernungen reichte. Obsidian war ein begehrtes Material für die Herstellung scharfer Klingen und diente möglicherweise auch als Statussymbol oder Handelsgut. Die Wirtschaftsgrundlage der Hassuna-Kultur vereinte lokale Ressourcen wie domestizierte Tiere und Pflanzen mit den Möglichkeiten, die Fernhandel und spezialisierte Handwerksproduktion boten. Dieses diversifizierte Wirtschaftssystem trug nicht nur zur Versorgung der Gemeinschaften bei, sondern legte auch den Grundstein für die Entstehung komplexerer sozialer und wirtschaftlicher Strukturen im frühen Neolithikum
Fundorte der Hassuna-Kultur
Zentren und Ausgrabungsstätten
Die Hassuna-Kultur erstreckt sich über das nördliche Mesopotamien und umfasst zahlreiche Fundorte, die eine entscheidende Rolle für unser Verständnis dieser frühen neolithischen Kultur spielen. Besonders der Irak ist mit einer Vielzahl bedeutender Stätten zentraler Schauplatz archäologischer Untersuchungen.
Der namensgebende Fundort: Hassuna
Die wichtigste Stätte und Namensgeberin der Kultur ist Hassuna, etwa 35 km südlich von Mossulgelegen, am Rande des Tigristals. Diese Fundstätte wurde zwischen 1943 und 1944 von den Archäologen Seton Lloyd und Fuad Safar ausgegraben. Mit einer Fläche von etwa 2 Hektar dokumentiert Hassuna die Entwicklung der Kultur in verschiedenen Schichten:
- Hassuna I: Die ältesten Siedlungsspuren bestehen lediglich aus Kochstellen und Gruben.
- Hassuna II bis VI: Hier entwickelten sich rechteckige Häuser aus Lehm, das in verschiedenen Techniken wie Adobe, Pisé oder Tauf verarbeitet wurde. Diese Häuser wurden zunehmend größer und gruppierten sich um offene Zentralhöfe. Vorratsgruben im Boden zeugen von einer frühen Organisation des Lebensraums. Die Schichten zeigen eine zeitliche Abfolge der Keramikentwicklung: Archaische Hassuna-Ware (Schichten I-II) wird durch Standard-Hassuna-Ware (Schichten III-V) ergänzt, wobei letztere teils mit Samarra-Ware koexistierte.
Yarim Tepe I
Eine weitere Schlüsselstätte ist Yarim Tepe I, etwa 10 km südöstlich von Tell Afar. Die dortigen Ausgrabungen dokumentieren die Entwicklung der Keramik ebenfalls in verschiedenen Schichten:
- Schichten XII-VIII: Archaische Hassuna-Ware.
- Schichten VI-I: Standard-Hassuna-Ware, häufig neben Samarra-Ware.
Diese Stätte liefert zudem wichtige Hinweise auf die Architektur und Bestattungstraditionen der Hassuna-Kultur.
Kujundjik (Ninive)
Im Bereich von Ninive, insbesondere auf dem Hügel Kujundjik, wurde Hassuna-Keramik in Tiefschnitten entdeckt:
- Schichten I-II: Archaische Hassuna-Ware.
- Schichten IIb-IIc: Standard-Hassuna-Ware.
Nach einer Siedlungspause trat in der darüber liegenden Schicht III erstmals Halaf-Keramik auf, was eine allmähliche kulturelle Transformation markiert.
Weitere Fundorte
Weitere wichtige Fundorte der Hassuna-Kultur im Irak und angrenzenden Regionen umfassen:
- Al-Khan: Etwa 40 km nordöstlich von Hassuna gelegen, am Khazir. Hier fand man ausschließlich archaische Hassuna-Ware, jedoch weder Standard-Hassuna- noch Samarra-Keramik.
- Mosul-Talsperre: Die meisten Siedlungen hier weisen keine Spuren der Hassuna-Kultur auf, abgesehen von Funden in Abu Dhahir und Kharabeh Shattani.
- Ǧazīra: Mit insgesamt 39 Siedlungen repräsentiert diese Region einen weiteren Schwerpunkt der Hassuna-Kultur. In Khirbet Garsour wurde eine Spät-Hassuna-Assemblage freigelegt, die sogar einen Brunnenschacht umfasste.
- Tall Leilan (Nordost-Syrien): Dies ist der einzige bekannte Fundort der Hassuna-Kultur in Nordost-Syrien.
Forschungsstand
Trotz der Vielzahl an Fundorten wurden bisher nur wenige Siedlungen der Hassuna-Kultur intensiv erforscht. Viele Funde, insbesondere aus archaischen Schichten, bleiben unveröffentlicht, was eine vollständige Bewertung des kulturellen Einflusses und der regionalen Verbreitung erschwert. Dennoch bieten die vorhandenen Daten einen wertvollen Einblick in die neolithischen Gemeinschaften Nordmesopotamiens und ihre Entwicklungen. Die Fundorte der Hassuna-Kultur offenbaren ein dichtes Netz von Siedlungen, das von der Ǧazīraüber das Tigristal bis nach Syrien reicht. Diese Stätten bilden die Grundlage für unser Verständnis der materiellen, architektonischen und sozialen Strukturen dieser frühen Kultur und illustrieren deren regionale Vielfalt und Austauschbeziehungen.
Keramisches Neolithikum
STECKBRIEF
01
Name
Hassuna-Kultur
02
Alter
Ca. 6400–5800 v. Chr. (teilweise bis 6500–5500 v. Chr. datiert)
03
Region
Nordmesopotamien, vor allem im heutigen Irak, entlang des mittleren Tigris
04
Keramik
Archaische Hassuna-Ware:
- Grobe, handgefertigte Gefäße, niedrig gebrannt
- Verzierungen: Ritzmuster, glänzend poliert
Standard-Hassuna-Ware:
- Helle, bemalte oder geritzte Keramik
- Typisch: Kugelförmige Gefäße, flache Schalen mit gerilltem Boden (Husking trays)
05
Architektur
- Frühphase: Gruben und Rundbauten (Durchmesser 2,5–5 m)
- Spätere Phase: Rechteckige Häuser mit mehreren Räumen, oft mit Lagerräumen und Öfen
- Baumaterial: Lehm (Adobe, Pisé, Tauf)
06
Bestattungen
- Kinder in Tongefäßen unter Fußböden, Wänden oder Schwellen
- Erwachsene vermutlich außerhalb der Siedlungen bestattet
- Kaum Grabbeigaben (Keramik, Tierknochen, selten Schmuck)
07
Wirtschaft
Tierhaltung
- Domestizierte Tiere: Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen
- Jagd auf Wildtiere wie Gazellen, Hasen und Wildschweine
Landwirtschaft
- Hauptkulturen: Gerste, Weizen, Linsen, Erbsen
Handel
- Importierte Obsidianwerkzeuge aus der Region um den Nemrut Dağı
Textilproduktion
- Belegt durch zahlreiche Spinnwirtel
08
Wichtige Fundorte
- Hassuna (Namensgeberin, nahe Mossul)
- Yarim Tepe I (südöstlich von Tell Afar)
- Kujundjik (Ninive)
- Al-Khan (nordöstlich von Hassuna)
- Ǧazīra (mit 39 Siedlungen, z. B. Khirbet Garsour)
- Tall Leilan (Nordost-Syrien)
09
Besonderheiten
- Kleinfunde: Steingeräte (Schaber, Sichelklingen), Tonfiguren, Spinnwirtel, bemalte Tonflöten
- Erste komplexe Bauplanung und Verwendung von Brennöfen
- Übergang zu stärker spezialisierten Handwerken und Fernhandel
Forschung
Wichtigste Ausgrabung: Hassuna (1943–1944, Seton Lloyd und Fuad Safar).
Viele Funde bisher unpubliziert, weitere Analysen erforderlich