Die prähistorische Evolution... ca. 1,9 bis ? Mio. Jahre
Homo erectus
Vor langer Zeit, in den Weiten der Vergangenheit, wandelte eine ausgestorbene Art der Menschenaffen-Gattung Homo auf diesem Planeten – der Homo erectus. Dieser faszinierende Vorfahre hat die Menschheitsgeschichte maßgeblich geprägt und hinterließ Spuren, die bis heute unsere Neugierde wecken. Unsere Reise beginnt in Afrika, wo sich der Homo erectus vor etwa 1,9 Millionen Jahren entwickelte. Aus den pleistozänen Populationen Afrikas erwuchs nicht nur der Homo erectus selbst, sondern auch zwei weitere bemerkenswerte Zweige der Menschheitsfamilie: der Neandertaler in Europa und der anatomisch moderne Mensch (Homo sapiens) in Afrika.
Richard Leakey beschrieb den Homo erectus als einen Pionier seiner Zeit. Er war die erste hominine Art, die das Feuer nutzte – ein Meilenstein in der Evolution. Das Feuer bot Wärme, Schutz und die Möglichkeit, Nahrung zu kochen. Doch der Homo erectus war nicht nur ein Feuermagier. Er beherrschte auch die Kunst der Jagd. Das Jagen wurde zu einem wesentlichen Element seiner Lebensweise, um die Nahrungsversorgung zu sichern. Und dann war da noch der aufrechte Gang. Der Homo erectus war der erste, der sich wie ein moderner Mensch fortbewegte. Auf zwei Beinen stolzierte er durch die Savannen und Wälder, ein Vorläufer unserer eigenen aufrechten Haltung. In Fachkreisen ist die Abgrenzung des Homo erectus von anderen Arten der Gattung Homo umstritten. Manche Forscher sind sogenannte “Lumper” und sehen den Homo erectus als eine breite Kategorie, während andere “Splitter” sind und subtile Unterschiede betonen. Was jedoch unbestreitbar ist: Aus dem Homo erectus entwickelten sich unabhängig voneinander der Homo heidelbergensis und der Neandertaler in Eurasien sowie der Homo sapiens in Afrika. Und vielleicht – nur vielleicht – entstand auch der geheimnisvolle Homo floresiensis in den Wäldern Ostasiens.
Die ersten Fossilien des Homo erectus wurden in den 1890er-Jahren in Asien gefunden. Diese Entdeckung führte zu einer jahrzehntelangen Debatte. Einige Paläoanthropologen glaubten, der anatomisch moderne Mensch habe sich in Asien aus affenähnlichen Vorfahren entwickelt. Diese Einschätzung verhinderte zudem zwei Jahrzehnte lang die Anerkennung des ersten afrikanischen Australopithecus-africanus–Fundes – des 1924 geborgenen Kindes von Taung – als zugehörig zur Ahnenreihe des modernen Menschen. Doch Charles Darwin hatte bereits 1871 vermutet, dass die Wiege der Menschheit in Afrika lag.
Es dauerte bis 1964, als Louis Leakey in Afrika sehr alte hominine Fossilien entdeckte und sie als Homo habilis klassifizierte. Dieser Fund stellte den Irrtum der früheren Annahmen klar und rückte Afrika wieder ins Zentrum der Menschheitsgeschichte.
Der Homo erectus verblasst im Nebel der Zeit. Ein genauer “Aussterbezeitpunkt” ist nicht datierbar. Doch seine Spuren sind überall – in den Fossilien, den Werkzeugen und den Geschichten, die er uns hinterlassen hat. Wir sind alle Nachfahren dieses faszinierenden Wesens, das einst die Welt durchstreifte und den Weg für unsere eigene Existenz ebnete.
Die Namensgebung von Homo erectus
Ein Blick auf die Evolution und Kultur des Frühmenschen
Die Bezeichnung “Homo” leitet sich vom lateinischen Wort “homo” ab, was “Mensch” bedeutet. Der Artname “erectus” stammt von “erigere” (aufrecht) ab. Somit steht “Homo erectus” für den “aufgerichteten Menschen”. Die ersten Fossilien des Homo erectus wurden in den 1890er-Jahren in Asien entdeckt. Eugène Dubois, der Entdecker dieser Fossilien, nannte sie zunächst “Anthropopithecus erectus” – eine Bezeichnung, die auf altgriechisch “Mensch-Affe” hinweist. Später änderte Dubois den Gattungsnamen in “Pithecanthropus erectus” und beschrieb diese Art als Übergangsform, die zur Entstehung des modernen Menschen geführt habe. Interessanterweise griff Dubois bei der Namensgebung auf einen Vorschlag von Ernst Haeckel zurück, der bereits 1863 eine hypothetische Übergangsform zwischen Mensch und Affe namens “Pithecanthropus” beschrieben hatte.
Doch die Geschichte des Homo erectus ist komplexer. Theodosius Dobzhansky veröffentlichte 1944 einen Aufsatz, in dem er argumentierte, dass es zu jeder Zeit nur eine einzige, vielfältige Art der Hominini gegeben habe. Ernst Mayr unterstützte diese Idee 1950 und überzeugte die Paläoanthropologen, alle mutmaßlichen Vorfahren des Menschen der Gattung Homo zuzuordnen und sie nach ihrer Herkunft zu benennen. So wurden auch die als “Pithecanthropus erectus” bekannten Fossilien erneut umbenannt. Der Artname “erectus” blieb erhalten, und die von Dubois entdeckten drei Fossilien gelten nun als Typusexemplare des Homo erectus. Der Homo erectus war ein Pionier: Er nutzte als erste hominine Art das Feuer, jagte aktiv zur Nahrungsbeschaffung und konnte wie ein moderner Mensch laufen.
Die Erstbeschreibung von Homo erectus
Ein Meilenstein in der Erforschung der menschlichen Evolution
In Indonesischen auf der Insel Java, stieß der leidenschaftliche Forscher Eugène Dubois auf ein Rätsel, das die Welt der Wissenschaft in Atem hielt. Im Jahr 1893 tauchten drei Fossilien auf, die das Schicksal der Menschheit für immer verändern sollten. Da war zunächst das Schädeldach mit dem markanten „Überaugenwulst„. Ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, das Dubois‘ Neugierde weckte. War es ein Überrest eines Urmenschen? Oder vielleicht doch eher ein verirrter Verwandter der Schimpansen? Dann der Oberschenkelknochen – vollständig und erstaunlich gut erhalten. Seine Form ähnelte der des modernen Menschen. Dubois konnte sich nicht zurückhalten: War dies der Beweis dafür, dass der Besitzer aufrecht ging, so wie wir es heute tun? Und schließlich der große Backenzahn, der bereits im August 1891 entdeckt worden war. Ein stummer Zeuge vergangener Tage, der sich hartnäckig weigerte, seine Geheimnisse preiszugeben.
Dubois stand vor einem Dilemma. Die Fossilien waren die ersten ihrer Art außerhalb Europas und galten als die ältesten Funde der Hominini. Doch ihre Herkunft und Datierung blieben rätselhaft. Das Schädeldach, so alt wie die Sterne selbst, barg so wenige charakteristische Merkmale, dass es sich jeder Kategorisierung widersetzte. Der Backenzahn, ein stummer Chronist der Evolution, führte Dubois auf Abwege. War er ein Homo erectus oder doch nur ein verschollener Schimpanse? Und der Oberschenkelknochen – ein Schlüssel zur Wahrheit oder ein weiteres Mosaikstück im Puzzle der Vergangenheit? Der britische Anatom Daniel John Cunningham wagte bereits 1895 eine kühne These: Dieser Knochen gehörte zum Homo sapiens, zum modernen Menschen. Die Veröffentlichung von Dubois im Jahr 1892 trug den Namen „Paleontologische onderzoekingen op Java“. Doch erst 1893 wurde die Art offiziell benannt: Homo erectus DUBOIS, ein Name, der die Jahrhunderte überdauern sollte. Im Jahr 2024, bestätigt eine Gruppe von Autoren diesen historischen Moment. Doch die Unsicherheit bleibt. Nur das Schädeldach Trinil II, das stolz über den Zeiten thront, kann als Holotypus dienen.
Das Alter von Homo erectus
Eine Reise durch Millionen Jahre menschlicher Evolution
Vor Millionen von Jahren, im Pleistozän, wandelte Homo erectus auf der Erde – ein Frühmensch, der die Kontinente Afrika, Asien und Europa durchstreifte. Seine Fossilien, die uns heute Zeugnis ablegen, sind ein Fenster in die Vergangenheit. Die ältesten Überreste von Homo erectus reichen rund zwei Millionen Jahre zurück. Diese Zeit, das frühe Altpleistozän, war geprägt von dramatischen Klimaveränderungen und der Ausbreitung der Menschheit über den Globus. Doch die genaue Zeitspanne, in der Homo erectus existierte, bleibt ein Rätsel. Ein bemerkenswerter Fund ereignete sich im April 2020. In der renommierten Fachzeitschrift Science wurde das Fossil DNH 134 vorgestellt – der älteste bislang bekannte Homo-erectus-Schädel. Dieser Kinderschädel aus Südafrika, datiert auf 2,04 bis 1,95 Millionen Jahre, öffnete ein neues Kapitel in der Erforschung unserer Vorfahren.
Auch das Hinterhauptbein KNM-ER 2598 aus Kenia trägt zur Chronik von Homo erectus bei. Mindestens 1,855 Millionen Jahre alt, verbindet es uns mit einer längst vergangenen Ära. Die Funde sind wie Puzzleteile, die uns helfen, das Bild zu vervollständigen. Doch es gibt noch mehr. Die Fossilien, die zunächst als Homo soloensis klassifiziert wurden, sind ein weiterer Meilenstein. Im Jahr 2019 wurde ihnen ein Alter von 117.000 bis 108.000 Jahren zugeschrieben. Sie sind die jüngsten Belege für Homo erectus und erzählen von einer Zeit, als die Welt sich im Wandel befand. Der Fossilbericht ist jedoch lückenhaft. Wir haben nur wenige Belegexemplare, und die Datierungsmethoden sind ungenau. Die veröffentlichten Altersangaben sind vorläufig und könnten sich ändern, wenn neue Funde ans Licht kommen.
Die Verbreitung von Homo erectus
Spuren eines Frühmenschen über drei Kontinente hinweg
Homo erectus ist bekannt als die erste Spezies der Gattung Homo, die sich weit über Afrika hinaus ausbreitete. Heute werden viele fossile Funde dieser Art zugeordnet, obwohl sie zunächst von ihren Entdeckern unterschiedliche Namen erhielten. So benannte Eugène Dubois einen Fund als Anthropopithecus („Java-Mensch“), Davidson Black nannte seinen Fund Sinanthropus pekinensis („Peking-Mensch“), John T. Robinson entdeckte Telanthropus capensis („Zielmensch“ aus Swartkrans, Südafrika), und Camille Arambourg identifizierte Atlanthropus mauritanicus („Atlas-Mensch“) anhand von drei Unterkieferfragmenten aus Ternifine bei Muaskar, Algerien. Manchmal werden diese Funde auch als Homo mauritanicus oder Homo erectus mauritanicus bezeichnet.
Paläoanthropologen sind sich jedoch uneinig über die genaue Abgrenzung von Homo erectus zu anderen Arten der Gattung Homo. Seit etwa 1990 betrachten viele US-amerikanische Forscher die ältesten, etwa 1,8 bis 1,5 Millionen Jahre alten afrikanischen Funde als eigene Chronospezies, bekannt als Homo ergaster. Auch bei jüngeren Funden aus dem Mittelpleistozän gibt es unterschiedliche Meinungen: Einige ordnen sie Homo erectus zu, während andere sie als Homo rhodesiensis (Funde aus Afrika), Homo antecessor (Funde aus Spanien) oder Homo heidelbergensis (Funde aus Europa) bezeichnen. Möglicherweise gehört auch Homo floresiensis zu den späteren Formen von Homo erectus.
Die früheste sicher datierte Anwesenheit von Homininen in Europa, die durch 1,42 Millionen Jahre alte Steinwerkzeuge aus der Fundstätte Korolevo in der Ukraine belegt wird, wird ebenfalls Homo erectus zugeschrieben. Ebenso die ab 1991 in Georgien entdeckten Fossilien von Dmanisi, die etwa 1,85 Millionen Jahre alt sind. Genetische Marker, insbesondere Alu-Sequenzen, lassen darauf schließen, dass die Population von Homo erectus vor etwa 1,2 Millionen Jahren weltweit nur rund 55.000 Individuen umfasste.
Merkmale von Homo erectus
Die Anatomie und Kultur des frühen Menschen im Fokus
Der Körperbau von Homo erectus konnte dank zahlreicher Funde in Asien detaillierter rekonstruiert werden als der früherer Hominini-Arten. Dabei wurden Arm- und Beinknochen sowohl von relativ großwüchsigen als auch von relativ kleinwüchsigen Individuen entdeckt. Bisher ist allerdings unklar, ob diese Unterschiede auf einen ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus oder auf eine allgemein große Variationsbreite der Körpergröße zurückzuführen sind. Afrikanische Funde von Homo erectus weisen zudem eine erhebliche Variationsbreite in der Dicke der Oberschenkelknochen und des Beckens auf, was ebenfalls auf eine große Diversität innerhalb der Spezies hinweist.
Körperbau
Homo erectus zeichnete sich durch einen im Vergleich zum modernen Menschen „tonnenförmigeren“ und voluminöseren Rumpf aus. Sein kräftiges Skelett war größer und robuster als das älterer Hominini-Arten, mit besonders dickwandigen Schädelknochen (Schädeldach zwischen 6 und 11 mm) und ausgeprägten Überaugenwülsten, deren Funktion bis heute unklar ist. Der Schädel war von hinten betrachtet relativ breit im Verhältnis zu seiner Höhe. Der Unterkiefer von Homo erectus war breiter und leicht V-förmig im Vergleich zu Homo sapiens, und ein vorspringendes Kinn fehlte. In der älteren Fachliteratur wurde die Körpergröße auf maximal 1,60 Meter geschätzt, da aussagekräftiges Skelettmaterial fehlte. Spätere Funde aus Afrika, insbesondere vom Turkana-See, haben gezeigt, dass ausgewachsene Individuen eine Körpergröße von 1,45 bis 1,80 Meter erreichten. Das Körpergewicht wird auf 50 bis 60 kg geschätzt. Besonders bedeutend ist das Fossil KNM WT 15000, bekannt als Nariokotome-Junge, das fast vollständig erhalten ist und wertvolle Einblicke in den Körperbau bietet.
Das Gehirnvolumen von Homo erectus wuchs im Laufe seiner Existenz von rund zwei Millionen Jahren erheblich. Angaben zu seinem Gehirnvolumen variieren stark und reichen von 650 bis 1250 cm³, während das von Homo sapiens zwischen 1100 und 1800 cm³ liegt. Im Allgemeinen war das Gehirnvolumen jedoch deutlich größer als das von Homo habilis (ca. 600 bis 700 cm³) oder Homo rudolfensis (ca. 750 cm³). Die Funde aus Sangiran und Trinil weisen ein Gehirnvolumen von etwa 930 cm³ auf, die Peking-Menschen rund 1060 cm³, und die Funde aus Ngandong etwa 1150 cm³. Ein nahezu vollständig erhaltenes Becken eines weiblichen Homo erectus aus Äthiopien, beschrieben im Jahr 2008, gab Aufschluss über die Kindheitsdauer im Vergleich zum modernen Menschen. Das fossile Becken (Sammlungsnummer BSN49/P27) ähnelt stark dem von Australopithecus, mit einem relativ großen Beckenring, der die Geburt eines bereits relativ großen Schädels mit weit entwickeltem Gehirn ermöglichte. Dies deutet darauf hin, dass die Kindheitsphase, während der das Gehirn voll heranwuchs, bei Homo erectus noch kürzer war als bei Homo sapiens.
Es wird angenommen, dass Homo erectus mit etwa 34 bis 36 Prozent des Hirnvolumens eines Erwachsenen geboren wurde, was zwischen den Werten für Schimpansen (40 Prozent) und modernen Menschen (rund 28 Prozent) liegt. Das älteste moderne Becken, das rund 100.000 Jahre alt ist, stammt aus der Skhul-Höhle in Israel. Der einzige erhaltene Kinderschädel von Homo erectus, bekannt als „Mojokerto child“ (Sammlungsnummer Perning I), wurde 1936 auf Java entdeckt und 1994 auf 1,8 Millionen Jahre datiert. 2004 wurde das Alter des Kindes bei seinem Tod auf etwa ein Jahr geschätzt. Zu diesem Zeitpunkt hatte es ein Gehirnvolumen von etwa 70 bis 90 Prozent eines Erwachsenen, während ein einjähriges Kind von Homo sapiens etwa 50 Prozent des Erwachsenenvolumens erreicht. Homo erectus verfügte bereits über einen anatomisch modernen Fußbau und eine vergleichbare aufrechte, zweibeinige Fortbewegungsweise, wie rund 100 fossile Fußspuren bei Ileret (östlich des Turkana-Sees in Kenia) belegen, die 1,51 bis 1,53 Millionen Jahre alt sind. Diese Fähigkeit ermöglichte es Homo erectus, größere Entfernungen zurückzulegen und verschiedene Habitate zu besiedeln, was zur Besiedlung anderer Kontinente beitrug. Analysen einer Gruppe von Fußabdrücken deuten darauf hin, dass mehrere erwachsene Männer der Gruppe angehörten, was auf eine gewisse soziale Toleranz oder sogar Kooperation hinweist. Die Entwicklung einer dem modernen Menschen ähnlichen Schulter und die biomechanischen Voraussetzungen für eine Wurftechnik, die die Jagd mit Speeren ermöglichte, werden ebenfalls in die Zeit des frühen Homo erectus vor etwa zwei Millionen Jahren datiert. Dies könnte eine wichtige Rolle in der Hominisation gespielt haben. Im Jahr 2007 wurde in der Türkei ein Schädeldach von Homo erectus entdeckt, das aus 500.000 Jahre altem Travertin geborgen wurde. Es zeigte deutliche Merkmale einer durch Tuberkulose verursachten Hirnhautentzündung (Leptomeningitis tuberculosa).
Homo erectus' Ernährung
Auf den Spuren des frühen Menschen und seiner Nahrungsquellen
Direkte fossile Belege für die Ernährungsweise der frühen Homo erectus sind bisher nicht bekannt. Doch aufgrund ihrer im Vergleich zu den Australopithecinen kleineren Backenzähne wird angenommen, dass ihre Nahrung zumindest teilweise aus Früchten und anderen relativ weichen Bestandteilen bestand. Häufiger jedoch umfasste ihre Ernährung Wurzeln, Fleisch und andere Nahrungsmittel, die kräftiges Kauen erforderten. Ob die frühen Homo erectus mehr auf Jagdbeute oder auf Aas angewiesen waren, bleibt allerdings umstritten. Die späteren Homo erectus, die oft zu Homo heidelbergensis gezählt werden, können als Jäger und Sammler bezeichnet werden.
In der Sammlung von Eugène Dubois im Naturkundemuseum Naturalis in Leiden befinden sich zahlreiche Muschelschalen, die Homo erectus zugeschrieben und auf vor 540.000 bis 430.000 Jahren datiert wurden. Viele dieser Schalen weisen Bohrungen auf, die vermutlich zum Öffnen lebender Muscheln dienten. Einer Studie aus dem Jahr 2020 zufolge war Homo erectus unter den klimatischen Bedingungen der heutigen Kalahari wahrscheinlich zu Ausdauerjagden fähig, die bis zu 5½ Stunden dauern konnten, ohne dass Wasser mitgeführt werden musste. Modellrechnungen legen nahe, dass der im Vergleich zu älteren Hominini-Arten schwächere Kauapparat von Homo erectus auf die Nutzung von Steinwerkzeugen beim Zerkleinern der Nahrung zurückzuführen ist. Die zurückgebildete Kaumuskulatur könnte somit eine Folge der verbesserten Techniken zur Nahrungsvorbereitung sein.
Die Kultur von Homo erectus
Werkzeuge, Feuernutzung und soziales Verhalten früher Menschen
Homo erectus lebte während der Altsteinzeit und nutzte bereits in den frühesten Zeiten Steingeräte. Die ersten Steinwerkzeuge, wie Chopper und Chopping Tools, sind der Oldowan-Kultur zuzuordnen. Vor etwa 1,95 Millionen Jahren tauchten in Afrika Faustkeile der Acheuléen-Kultur auf, die ebenfalls mit Homo erectus in Verbindung gebracht werden. Diese Kultur wurde durch Funde am Westufer des Turkana-Sees und im südlichen Äthiopien belegt. Die Herstellung dieser Werkzeuge erforderte erhebliches Wissen und handwerkliche Fähigkeiten, was auf eine ausgeprägte Tradition des Wissensaustauschs innerhalb der Homo erectus-Gruppen hindeutet. An der Fundstelle Dana Aoule North (DAN5) in Gona, Äthiopien, wurden 1,6 bis 1,5 Millionen Jahre alte Schädelfragmente sowie Steinwerkzeuge sowohl des Oldowan– als auch des Acheuléen-Typs entdeckt, was darauf hinweist, dass Homo erectus in dieser Region beide Werkzeugarten herstellte. Ein besonders bemerkenswerter Fund stammt aus Konso, Äthiopien: das bearbeitete Fragment eines 1,4 Millionen Jahre alten Flusspferdknochens.
In Asien wurden die ältesten sicher datierten Steinwerkzeuge an der seit 1863 bekannten Fundstelle Attirampakkam im Nordwesten von Chennai (Südostindien) entdeckt. Diese Werkzeuge, die zur Acheuléen-Kultur gehören, wurden mithilfe der Aluminium-Beryllium-Methode auf mindestens 1,07 Millionen Jahre datiert; einige Funde könnten sogar bis zu 1,5 Millionen Jahre alt sein. Im Cagayan Valley auf der philippinischen Insel Luzon wurden zwei einseitig bearbeitete Faustkeile gefunden, die mindestens 920.000 Jahre alt sind. Die ältesten Faustkeile in China stammen aus dem Bose-Becken und sind etwa 800.000 Jahre alt. Auffällig ist, dass von den frühen Homo erectus-Fundstätten auf Java nur primitive Steinwerkzeuge bekannt sind, die nicht beidseitig bearbeitet wurden.
Die ältesten in Europa entdeckten Steinwerkzeuge stammen aus der Sierra de Atapuerca in Spanien und sind 1,2 bis 1,1 Millionen Jahre alt. Ein bedeutendes Skelett, das rund 1,7 Millionen Jahre alte weibliche Exemplar KNM-ER 1808 aus Kenia, zeigte Knochenfehlbildungen, die auf Hypervitaminose A durch den Verzehr großer Mengen von Leber hinweisen. Diese Verformungen waren so gravierend, dass das Individuum vermutlich bewegungsunfähig und auf die Versorgung durch andere angewiesen war, was auf frühe soziale Bindungen hindeutet. Der Beginn der aktiven Nutzung von Feuer durch Homo erectus ist umstritten. Die ältesten sicheren Feuerstellen stammen aus der Wonderwerk-Höhle in Südafrika und sind etwa eine Million Jahre alt. Vor etwa 790.000 Jahren wurde Feuer in der Fundstelle Gesher Benot Ya’aqov im heutigen Israel genutzt. In Europa gelten die frühesten sicheren Feuerstellen als etwa 400.000 Jahre alt und wurden in Schöningen und Beeches Pit (Suffolk, England) entdeckt.
Eine Studie, die 2020 veröffentlicht wurde, deutet darauf hin, dass Homo erectus möglicherweise vor der Nutzung von Feuer bereits in der Lage war, Nahrung in heißen Quellen zu „kochen“. In der Olduvai-Schlucht in Tansania wurden in 1,7 Millionen Jahre alten Schichten Hinweise auf thermophile, Sulfate-reduzierende Bakterien gefunden, die typisch für heiße Quellen sind. Diese Entdeckung legt nahe, dass frühe Homininen essbare Pflanzen und Fleisch durch Erhitzen in solchen Quellen zubereiteten, was auf eine „prä-feuerliche“ Phase der menschlichen Evolution hinweist. Es gibt keine archäologischen Funde, die auf das Herstellen oder Tragen von Kleidung durch Homo erectus hindeuten.
Die Einordnung von Homo erectus
im Kontext anderer Arten der Gattung Homo
Debatten und Entwicklungen in der Evolutionsforschung
Homo erectus galt über Jahrzehnte hinweg als die erste Hominini-Art, die die drei Kontinente der Alten Welt besiedelte. In den letzten Jahren wird diese Ansicht jedoch vermehrt von US-amerikanischen Forschern infrage gestellt. Die zentrale Frage dabei ist, ob die unterschiedlichen Homininen-Formen in Asien, Afrika und Europa tatsächlich derselben Spezies angehören oder ob sie verschiedenen Spezies zuzurechnen sind. Die Fossilien von Homo erectus, die in diesen Regionen gefunden wurden, zeigen eine erhebliche morphologische Vielfalt. Einige Forscher teilen diese Vielfalt in mehrere Abstammungslinien auf, während andere sie als regionale Varianten einer einzigen polytypischen Art betrachten, ähnlich der Formenvielfalt bei Homo sapiens. Die These, dass Homo erectus zahlreiche regionale Varianten aufwies, wird unter anderem von Berhane Asfaw, Meave Leakey und Tim White unterstützt. Diese Auffassung stützen sie auf Funde von Schädeln und Oberschenkelknochen auf der Halbinsel Bouri am Awash-Fluss in Äthiopien. Ein bedeutendes Beispiel ist das
Schädeldach BOU-VP-2/66.
Dieses wurde am 27. Dezember 1997 entdeckt und auf etwa eine Million Jahre datiert wurde. Aus diesem Fund wurde ein Schädelvolumen von 995 cm³ abgeleitet und eine enge morphologische Verwandtschaft mit gleich alten asiatischen Funden festgestellt. In einer 2008 veröffentlichten Studie wurden die Schädelmerkmale asiatischer und afrikanischer Funde verglichen. Dabei argumentierten die Forscher, dass es keine eindeutigen Merkmale gibt, die eine Abspaltung der ältesten afrikanischen Funde von Homo erectus als Homo ergaster rechtfertigen würden. Allerdings wurden signifikante Unterschiede zwischen den Funden aus Afrika und Georgien einerseits und denen aus Asien andererseits festgestellt. Bereits 2004 hatte Jeffrey H. Schwartz darauf hingewiesen, dass die morphologischen Unterschiede zwischen den Funden aus Trinil und Sangiran einerseits und denen aus Afrika andererseits so groß sind, dass deren Zusammenführung unter dem Namen Homo erectus „möglicherweise eher eine historische Episode als eine biologische Realität“ sei.
Bilzingsleben
Ein Fenster in die Welt vor 370.000 Jahren
Bilzingsleben, ein unscheinbarer Ort in Thüringen, entpuppt sich als archäologisches Juwel der frühen Menschheitsgeschichte. Hier, im Landkreis Sömmerda, offenbart sich eine Fundstelle, die uns tief in das Leben und die Umwelt des Homo erectus eintauchen lässt. Vor etwa 370.000 Jahren, inmitten der Reinsdorf-Warmzeit, schuf eine kleine Gruppe von Menschen einen einzigartigen Lagerplatz, der bis heute unvergleichliche Einblicke in das kulturelle, soziale und geistige Leben dieser frühen Menschenart bietet.
Der älteste Wohnplatz Mitteldeutschlands:
Ein organisiertes Lagerleben
Bilzingsleben war mehr als nur ein temporärer Aufenthaltsort – es war ein dauerhaft genutztes Basislager. Mit Bedacht errichteten die Bewohner dieses Lager am Hochufer eines Sees, einem Ort, der Schutz, Wasser und Zugang zu Ressourcen bot. Die Spuren ihrer Tätigkeit – Werkzeuge, Speisereste, Beutereste und Reste von Feuerstellen – lassen auf eine komplexe Strukturierung des Lagerplatzes schließen. Es gab klar abgegrenzte Wohn-, Arbeits- und Aktivitätszonen, was auf ein ausgeprägtes Organisationstalent und soziale Zusammenarbeit hinweist. Besonders beeindruckend ist die Entdeckung eines „gepflasterten“ Lagerbereiches, der offensichtlich für besondere Aktivitäten vorbereitet wurde. Solche Details offenbaren nicht nur den praktischen, sondern auch den symbolischen Umgang dieser Menschen mit ihrer Umgebung
Zeugen eines reichen Ökosystems
Die Tier- und Pflanzenreste aus Bilzingsleben bieten ein lebendiges Bild der damaligen Umwelt. Mediterrane und westasiatische Pflanzenarten wie Eichen, Buchsbäume und Strauchfluren gediehen hier in einem warmgemäßigten Klima. Diese Vegetation wurde ergänzt durch Steppenwiesen, die eine Vielzahl von Tierarten beherbergten. Herden großer Pflanzenfresser wie Elefanten, Wildrinder, Waldnashörner, Pferde und Hirsche zogen durch die Landschaft, verfolgt von Raubtieren wie Höhlenlöwen und Wölfen. Auch kleinere Tiere wie Graulemminge und andere Nagetiere waren Teil des Ökosystems. Solche reichhaltigen Biotope boten dem Homo erectus nicht nur Nahrung, sondern auch vielfältige Möglichkeiten zur Nutzung von Ressourcen, die in ihrer Umgebung zur Verfügung standen.
Die Schädel des Homo erectus: Direkte Begegnung mit unseren Vorfahren
Die in Bilzingsleben gefundenen Schädelknochen gehören zu den ältesten menschlichen Überresten Deutschlands. Diese Fragmente von drei Individuen tragen die typischen Merkmale des Homo erectus: ein flaches Schädeldach, eine ausgeprägte Überaugenwulst und ein markanter Hinterhauptwulst. Mit einem Gehirnvolumen von 900 bis 1.100 Kubikzentimetern zeigte diese Menschenart bereits eine deutliche Weiterentwicklung im Vergleich zu früheren Homininen. Die Analyse der Schädel offenbart jedoch mehr als nur körperliche Merkmale. Bruchstellen deuten darauf hin, dass die Schädel nach dem Tod absichtlich zerschlagen wurden. Die Überreste wurden auf einer freien Fläche konzentriert, umgeben von einem Quarzitblock und den Hornzapfen eines Bisonschädels. Dieses Arrangement könnte auf ein rituelles Verhalten hinweisen – eine Praxis, die bei späteren menschlichen Kulturen häufiger dokumentiert ist.
Die ältesten graphischen Zeichen der Menschheit
Besonders faszinierend sind die in Bilzingsleben entdeckten Knochen mit eingeritzten Mustern. Diese Gravuren, ausgeführt mit scharfem Werkzeug, gelten als die ältesten bekannten Beispiele für abstraktes Denken und symbolische Kommunikation. Die symmetrischen und rhythmischen Linien auf einem Elefantenschienbein sind nicht zufällig entstanden – sie sind die bewusste Umsetzung eines Gedankens oder einer Vorstellung. Ob diese Zeichen zur Übermittlung von Informationen oder zur kreativen Gestaltung dienten, bleibt unklar. Doch ihre bloße Existenz zeigt, dass der Homo erectus über die Fähigkeit verfügte, abstrakte Konzepte zu formulieren und zu visualisieren – ein Beleg für frühe Sprach- und Denkmuster.
Ein Ort von globaler Bedeutung
Bilzingsleben ist weit mehr als eine archäologische Fundstelle – es ist ein Archiv der Menschheitsgeschichte. Die exzellent erhaltenen Funde bieten ein einzigartiges Zeugnis der Lebensweise, Umwelt und kognitiven Fähigkeiten des Homo erectus. Hier treffen wir nicht nur auf die physischen Überreste unserer Vorfahren, sondern auch auf ihre Denkweisen und kulturellen Praktiken. Die Ausgrabungen, die seit den 1970er-Jahren kontinuierlich durchgeführt werden, haben einen unschätzbaren Beitrag zur Erforschung der frühen Menschheit geleistet. Unter der Leitung der Friedrich-Schiller-Universität Jena werden die Arbeiten fortgeführt, um weitere Geheimnisse dieses außergewöhnlichen Ortes zu enthüllen.
„Bilzingsleben bleibt ein Schlüsselloch in die Tiefen unserer Vergangenheit. Es zeigt uns, wie weit entwickelt die Menschheit bereits vor fast 400.000 Jahren war, und lässt uns staunen über die Fähigkeiten und das kulturelle Vermächtnis, das uns diese frühen Menschen hinterlassen haben.“
Homo erectus
STECKBRIEF
01
Name
Homo erectus
02
Alter
Vor etwa 1,9 Millionen bis 110.000 Jahren
03
Verbreitung
Afrika, Asien, Europa
04
Körperbau
- Körpergröße: 1,45 bis 1,80 Meter
- Körpergewicht: 50 bis 60 kg
- Schädelvolumen: 650 bis 1.250 cm³
05
Merkmale
- Kräftige Überaugenwülste
- Dickwandige Schädelknochen (6 bis 11 mm)
- Breiter, leicht V-förmiger Unterkiefer ohne vorspringendes Kinn
06
Werkzeugkultur
- Frühe Vertreter nutzten Oldowan-Werkzeuge (Chopper und Chopping Tools).
- Spätere Vertreter verwendeten Acheuléen-Werkzeuge wie Faustkeile.
07
Feuernutzung
- Gesicherte Feuerstellen aus der Wonderwerk-Höhle in Südafrika (ca. 1 Million Jahre alt)
- Feuerstellen aus Gesher Benot Ya’aqov in Israel (ca. 790.000 Jahre alt)
- Früheste Feuerstellen in Europa aus Schöningen und Beeches Pit (ca. 400.000 Jahre alt)
08
Ernährung
- Hauptnahrung: Früchte, Wurzeln, Fleisch
- Nahrungserwerb: Jagd und Sammeln, möglicherweise auch Aasfresser
09
Wichtige Fundorte
- Westufer des Turkana-Sees (Kenia)
- Sangiran (Java, Indonesien)
- Trinil (Java, Indonesien)
- Bouri-Halbinsel (Äthiopien)
10
Bedeutende Fossilien
- Schädeldach BOU-VP-2/66 (Äthiopien)
- Nariokotome-Junge (KNM WT 15000) aus Kenia
11
Besondere Merkmale und Erkenntnisse
- Morphologische Vielfalt: Große Unterschiede in den Funden aus verschiedenen Regionen, was zu Debatten über die Klassifikation führte.
- Soziales Verhalten: Hinweise auf soziale Fürsorge bei kranken Individuen (z.B. Skelett KNM-ER 1808 mit Hypervitaminose A)
- Körperliche Anpassungen: Moderne Fußstruktur und aufrechte Fortbewegung, die weite Wanderungen und die Besiedlung neuer Lebensräume ermöglichte.
- Gehirnentwicklung: Deutlich größeres Gehirnvolumen im Vergleich zu älteren Hominini-Arten, variierend je nach Region und Alter der Funde.