Die prähistorische Evolution... ca. 100.000 bis 17.000 Jahre vor heute

Homo floresiensis

Der Homo floresiensis, auch bekannt als der „Mensch von Flores„, stellt eine ausgestorbene Art der Gattung Homo dar, die sich durch ihre im Vergleich zum Homo sapiens geringe Körpergröße auszeichnet. Diese faszinierende Spezies wurde im September 2003 auf der indonesischen Insel Flores entdeckt, wobei die gefundenen Knochenfunde ursprünglich auf ein Alter von etwa 18.000 Jahren geschätzt wurden und 2004 erstmals beschrieben wurden . Basierend auf dieser Datierung wurde geschlossen, dass während der Homo sapiens bereits seit mehreren tausend Jahren die benachbarten Inseln bewohnte, auf Flores noch eine andere Homo-Art existierte. Allerdings wurde 2016 eine Neudatierung der Funde veröffentlicht, die ergab, dass die Knochen nicht jünger als 60.000 Jahre sind.

Homo floresiensis

Die genaue verwandtschaftliche Beziehung des Homo floresiensis zu anderen Arten der Gattung Homo bleibt unter Anthropologen und Paläoanthropologen ein heiß diskutiertes Thema. Die Entdecker der Art leiteten 2004 ab, dass der Homo floresiensis aufgrund einer sogenannten Inselverzwergung stammesgeschichtlich von Homo erectus abstammt. Einige Wissenschaftler spekulierten jedoch, ob es sich möglicherweise um eine krankhaft veränderte Population des Homo sapiens handelte. Neueste Forschungsergebnisse, darunter eine detaillierte Untersuchung aller Schädelknochen, weisen jedoch darauf hin, dass der Homo floresiensis eine deutlich unterscheidbare Art war.

Homo floresiensis Schädel

Die Namensgebung von Homo floresiensis

Auf den Spuren des Hobbit-Menschen

Die Bezeichnung der Gattung Homo leitet sich vom lateinischen Wort „homo“ [ˈhɔmoː] ab, was auf Deutsch „Mensch“ bedeutet. Das Art-Epitheton „floresiensis“ verweist auf den Fundort des Typusexemplars auf der indonesischen Insel Flores. Somit bedeutet Homo floresiensis wörtlich „Mensch von Flores“. Im informellen Sprachgebrauch wird Homo floresiensis, in Anlehnung an die kleinwüchsigen Phantasiewesen aus J.R.R. Tolkiens Werken, scherzhaft auch als „Hobbit“ bezeichnet. Ursprünglich hatten die Forscher ihm den Spitznamen „Flo“ gegeben. Die Entdecker wählten aufgrund der stark abweichenden morphologischen Merkmale gegenüber allen bis dahin bekannten homininen Fossilien im ersten Entwurf ihrer Erstbeschreibung die Art-Bezeichnung „Sundanthropus floresianus“. Während des Peer-Review-Verfahrens wiesen die von der Fachzeitschrift Nature berufenen Gutachter jedoch darauf hin, dass der Schädel LB1 große Ähnlichkeiten mit den Schädelvarianten innerhalb der Gattung Homo aufweist. Zudem erinnerte „floresianus“ in englischer Aussprache an „flowery anus“ (etwa: „blumiger Anus“), was einen peinlichen Gleichklang darstellte, den man vermeiden wollte. Aus diesen gutachterlichen Einwänden resultierte, dass die schließlich im Oktober 2004 in Nature veröffentlichte, überarbeitete Erstbeschreibung den Namen Homo floresiensis wählte .

Die Erstbeschreibung von Homo floresiensis

Ein bahnbrechender Moment in der Paläoanthropologie

Der Holotypus von Homo floresiensis ist gemäß der Erstbeschreibung das erste in der Höhle Liang Bua entdeckte hominine Fossil, bekannt als LB1. Diese neue Art der Hominini wurde zusätzlich durch einen einzelnen Vorderbackenzahn aus einem linken Unterkiefer, das Fossil LB2, bestätigt. Im Jahr 2003 wurden von LB1 der Schädel (mit der Sammlungsnummer LB1/1) und der Unterkiefer geborgen. Diese Funde wurden ergänzt durch zwei Oberschenkelknochen, zwei Schienbeine, zwei Wadenbeine, zwei Kniescheiben sowie mehrere Hand- und Fußknochen. Außerdem wurden Fragmente des Beckens, der Wirbel und des Kreuzbeins, der Rippen, der Schulterblätter und der Schlüsselbeine entdeckt.

Die Liang Bua Höhle auf der indonesischen Insel Flores, wo die Überreste von Homo floresiensis wurden erstmals 2003 entdeckt.

Die Kombination der anatomischen Merkmale dieses Fundes war außergewöhnlich: Während das Schädelinnenvolumen und die Körpergröße an die noch affenähnlichen Australopithecinen aus Afrika erinnerten, wiesen zahlreiche andere Merkmale Ähnlichkeiten zu frühen Vertretern der Gattung Homo auf. Die anfängliche Vermutung, es könnte sich um einen Homo sapiens handeln, dessen Kleinwuchs durch eine Hormonstörung verursacht wurde, konnte widerlegt werden. Es gab keine Hinweise auf einen IGF-1-Mangel, hypophysären Kleinwuchs oder Mikrozephalie. Der Fundort, eine ständig von Wasser umgebene Insel, ließ daher eine sogenannte Inselverzwergung als wahrscheinlich erscheinen. Die Vorfahren der neuen Art könnten größere Individuen der Gattung Homo aus dem Pleistozän gewesen sein, darunter auch der Java-Mensch, Homo erectus, von der nahegelegenen Insel Java. Zusammenfassend zeigen die einzigartigen anatomischen Merkmale von Homo floresiensis eine spannende Mischung aus primitiven und fortgeschrittenen Eigenschaften, was auf eine komplexe evolutionäre Geschichte hinweist. Die Entdeckung dieser Art bietet wertvolle Einblicke in die Vielfalt und Anpassungsfähigkeit der frühen Hominini, besonders in isolierten und herausfordernden Umweltbedingungen.

Die Entdeckung von Homo floresiensis

Eine bahnbrechende Expedition in die Vergangenheit

Bereits Mitte der 1950er– und Anfang der 1960er-Jahre entdeckten Theodorus Verhoeven sowie in den Jahren 1994 und 1997 Paul Sondaar Steinwerkzeuge im Zentrum der indonesischen Insel Flores. Diese Funde wurden am Oberlauf des Flusses Ae Sissa, genauer gesagt in der Fundstelle Mata Menge im Soa-Becken, gemacht. Durch die Zirkon-Spaltspurdatierung wurde das Alter dieser Werkzeuge auf etwa 880.000 (± 70.000) bis 800.000 (± 70.000) Jahre BP bestimmt. Basierend auf Studien von Philip Rightmire zur Ausbreitung der Gattung Homo im Altpleistozän vermutete man, dass Homo erectus der Hersteller dieser Werkzeuge gewesen sein könnte. Diese Datierung war jedoch umstritten, da Flores stets vom Meer umschlossen war und Homo erectus damals nicht zugetraut wurde, Wasserfahrzeuge zu bauen. Daher nahm man an, dass die Inselkette östlich von Java erst durch Homo sapiens besiedelt wurde. Um die Datierung weiter zu überprüfen, suchten indonesische Wissenschaftler in den darauffolgenden Jahren auf Flores nach fossilen Belegen für Hominini aus dem frühen Pleistozän. Mitte der 1990er-Jahre startete der australische Archäologe Mike Morwood eine Forschungskooperation zwischen australischen und indonesischen Wissenschaftlern, um den Weg der ersten Zuwanderer vom asiatischen Festland nach Australien zu rekonstruieren. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit wurde ab 2001 auch die Höhle Liang Bua untersucht, wo bereits 1965 Tierfossilien gefunden worden waren. Am 2. September 2003 entdeckten Mike Morwood und Thomas Sutikna (vom Indonesian Centre for Archaeology, Jakarta) in dieser Höhle den vollständig erhaltenen Schädel eines kleinwüchsigen, aufrecht gehenden homininen Individuums.

Schädel und Unterkiefer von Homo floresiensis LB1

 Das Schädelinnenvolumen und die Statur dieses Individuums erinnerten an Australopithecus afarensis oder waren sogar kleiner. Dieses Fossil, bekannt als LB1, wurde auf einer Fläche von nur 500 Quadratzentimetern zusammen mit weiteren Knochen und Steinwerkzeugen gefunden. Die Steinwerkzeuge ähnelten denen aus älteren Schichten von Flores, waren jedoch deutlich kleiner und wirkten, als seien sie für sehr kleine Hände gemacht. Die Knochen des LB1 waren äußerst brüchig, da sie weder versteinert noch mit Calciumcarbonat überzogen waren. Mike Morwood beschrieb ihre Konsistenz als ähnlich der von nassem Löschpapier. Nach der Freilegung ließ man die Knochen zunächst drei Tage lang trocknen, tränkte sie dann mit Leim und transportierte sie nach dessen Aushärtung nach Jakarta, um sie genauer zu untersuchen. Bereits am 28. Oktober 2004, dem Tag der Veröffentlichung ihrer Erstbeschreibung in der Fachzeitschrift Nature, berichteten die Medien über die Entdeckung eines „Hobbits“. Bernard Wood bezeichnete die Skelettreste in der Fachzeitschrift Science als die bedeutendste paläoanthropologische Entdeckung der letzten fünfzig Jahre.

Weitere Funde von Homo floresiensis

Neue Erkenntnisse aus der Vergangenheit

In der faszinierenden Höhle Liang Bua haben die Ausgräber die Überreste von mindestens 14 Individuen entdeckt, die Homo floresiensis zugeschrieben werden. Neben diesen faszinierenden Funden stießen sie in den Schichten mit homininen Fossilien auch auf Überreste von Holzkohle, was darauf hindeutet, dass Homo floresiensis wahrscheinlich Feuer genutzt hat. Darüber hinaus wurden Steinwerkzeuge aus Vulkangestein und Feuerstein gefunden, darunter einfache Abschläge, die beidseitig bearbeitet waren, sowie Speerspitzen, Schneiden, Stanzen und kleine Messer. Diese Funde offenbaren nicht nur die Fähigkeiten dieser frühen Menschen, sondern auch ihre Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft. Neben Liang Bua liegt etwa 100 km entfernt die Fundstelle Wolo Sege, nahe der bekannten Fundstelle Mata Menge im Soa-Becken. Dort wurden Abschläge entdeckt, deren Alter im Jahr 2010 auf etwa 1,02 ± 0,02 Millionen Jahre datiert wurde. Diese Entdeckung liefert einen weiteren Beleg für die sehr frühe Besiedlung der Insel Flores und legt nahe, dass die Evolution von Homo floresiensis möglicherweise im Laufe vieler Generationen erfolgte, was zu einer potenziellen „Verzwergung“ früher Hominini auf der Insel führte.

Auf der nördlich von Flores gelegenen Insel Sulawesi wurden Steinwerkzeuge entdeckt, die auf ein Alter von 118.000 bis 194.000 Jahre datiert wurden. Diese Funde belegen die Anwesenheit früher Populationen der Gattung Homo in dieser Region und werfen ein Licht auf die Wanderungsbewegungen und die Vielfalt der frühen Menschen in Südostasien. Im Juni 2016 wurden hominine Fossilien von der Fundstelle Mata Menge beschrieben, die von mindestens drei Individuen stammen. Darunter befand sich das Fragment des Unterkiefers eines Erwachsenen sowie sechs einzelne Milchzähne von mindestens zwei Kindern. Diese Funde wurden auf ein Alter von rund 700.000 Jahren datiert und zeichnen sich durch ihre Grazilität aus, was darauf hinweist, dass sie möglicherweise den Vorfahren von Homo floresiensis angehören. Diese Entdeckung unterstützt die Hypothese, dass Homo floresiensis eine Inselverzwergung von Homo erectus war und unterstreicht die komplexe Evolution der menschlichen Vorfahren in dieser faszinierenden Region.

Der Mata-Menge-Unterkiefer überlagert den Schädel von Homo floresiensis (LB1) und wird mit einem modernen menschlichen Schädel aus der Jomon-Periode in Japan verglichen.

Merkmale von Homo floresiensis

Einzigartige Eigenschaften und ihre Interpretation

Homo floresiensis präsentiert eine faszinierende Verschmelzung von Merkmalen, die sowohl dem Homo-ergaster- als auch dem Australopithecina-Zweig ähneln. Diese einzigartige Kombination erstreckt sich von Schädel- und Zahnmerkmalen bis hin zu bis dato unbekannten Besonderheiten im Bereich des Beckens und der Oberschenkel, sowie archaischen Handwurzelknochen. 2004 führte der renommierte Paläoanthropologe Peter Brown detaillierte Untersuchungen durch und kam zu dem Schluss, dass das erste und vollständigste Fossil, LB1, die Überreste einer etwa 30-jährigen Frau von etwas über einem Meter Größe darstellt. Sie wog zwischen 16 und 29 Kilogramm. Das Geschlecht wurde anhand der Gestalt des Beckenknochens bestimmt, während das Lebensalter aus der Abnutzung des Gebisses geschätzt wurde. Weitere Funde bestätigten, dass die geringe Körpergröße von LB1 keine Einzelanomalie darstellte, sondern repräsentativ für Homo floresiensis war. Ein weiteres bemerkenswertes Fossil, LB8, dessen Schienbein erhalten ist, wurde auf eine Größe von 97,5 cm rekonstruiert.

Fossil LB1 von Homo floresiensis
Homo floresiensis Fuß und Oberschenkelknochen

Neben der geringen Körpergröße faszinierte auch das Gehirnvolumen von Homo floresiensis. Anfänglich wurde es 2004 auf etwa 380 cm³ geschätzt, vergleichbar mit dem eines Schimpansen. Jedoch wurde diese Einschätzung 2013 revidiert, nachdem computertomographische Aufnahmen gemacht wurden. Das Gehirnvolumen wurde nun auf 426 cm³ berechnet, was nur etwa der Hälfte eines Homo erectus entspricht. Diese Verkleinerung des Gehirns im Vergleich zu Homo erectus wurde teilweise auf die geringere Körpergröße von Homo floresiensis zurückgeführt. Interessanterweise ähnelte der Schultergürtel von Homo floresiensis weniger dem anatomisch moderner Menschen, sondern eher dem von Homo erectus. Im Jahr 2004 wurden auch Beschädigungen am Becken von LB1 festgestellt, nachdem Abformungen im Labor von Teuku Jacob erstellt wurden. Der Unterkiefer war ebenfalls beschädigt und wurde im Vergleich zum Zustand bei der Auffindung des Fossils restauriert. Außerdem fehlte ein Schneidezahn. Diese Beobachtungen werfen interessante Fragen über die Lebensweise und die Umstände des Todes von Homo floresiensis auf und zeigen, wie sorgfältig die Auswertung und Interpretation von Fossilien sein muss.

Der Schädel von Homo floresiensis

: Eine Analyse seiner Besonderheiten

Die Merkmale des Kopfes wurden hauptsächlich anhand des leicht deformierten Schädels und Unterkiefers von LB1 bestimmt, der im Bereich der Nase und der linken Augenhöhle beschädigt war. Zusätzlich zog man den Unterkieferknochen LB6 heran, um ein umfassendes Bild zu erhalten. Gemäß den Beschreibungen ist der Schädel von Homo floresiensis äußerst klein, während das Gesicht ebenfalls sehr klein und senkrecht orientiert ist, ohne die Prognathie wie bei Australopithecus afarensis. Die Stirn hingegen ist relativ hoch, während die Schädeldecke relativ flach gewölbt ist, ähnlich wie bei Homo erectus und Australopithecus, und fast kugelförmig ist. Über den kreisförmigen Augenhöhlen befindet sich ein kleiner, gebogener Augenbrauenwulst. Ein ungewöhnliches Merkmal im Vergleich zu Homo sapiens ist eine Öffnung unmittelbar hinter den Schneidezähnen, durch die Nerven von der Nase zum Dach der Mundhöhle verliefen. Der Knochen, der Nasenöffnung und Mund trennt, ist im Vergleich zu Homo sapiens äußerst schmal, und der erste untere Prämolar hat 2 Wurzeln im Gegensatz zu einem bei Homo sapiens.

Frontalansichten einer Besetzung der Dmanisi (Georgian) Homo erectus Schädel 3 (links; D2700-Cran und D2735-Kiefer), eine Besetzung des erwachsenen (wahrscheinlich weiblichen) LB1 Homo floresiensis Schädel (Mitte) und ein nachgebauter moderner menschlicher weiblicher Schädel für Erwachsene (rechts).

Trotz dieser einzigartigen Merkmale ähnelt der Bau des Kauapparats dem anderer Homo-Arten und weist keine Anpassungen auf, die für Australopithecus charakteristisch sind. Aufgrund dieser bis 2004 unbekannten „Mosaik“-Merkmale wurden die homininen Funde aus der Höhle Liang Bua als eigenständige Art beschrieben. Diese Interpretation wurde durch wiederholte computergestützte Untersuchungen des Schädels gestützt. Bereits 2005 analysierte Dean Falk virtuelle Endocasts, Computersimulationen von Gehirnoberflächen, und stellte fest, dass das Gehirn von Homo floresiensis dem von Homo erectus ähnelt, nicht aber der Gehirnform von modernen Menschen mit Mikrozephalie. Diese Deutung wurde 2007 und 2009 bestätigt. Eine weitere Studie von Forschern der Stony Brook University im Jahr 2009 ergab, dass der Schädel von Homo floresiensis größere Ähnlichkeiten mit Fossilien aus Afrika und Eurasien als mit modernen Menschen aufweist. Die Asymmetrie ist nicht größer als bei anderen Verwandten des Menschen und muss nicht durch Mikrozephalie erklärt werden. Eine pathologische Verkleinerung, ausgehend von Homo sapiens, ist unwahrscheinlich. 2011 wurde die Hypothese einer Inselverzwergung erneut bekräftigt. Die Merkmale des Schädels von LB1 ähneln am stärksten denen der als Java-Menschen bezeichneten Homo-erectus-Fossilien. Auch eine Analyse der Dicke des Schädeldachs von LB1 ergab keine Hinweise auf dessen Zugehörigkeit zu Homo sapiens. Anhand einer virtuellen 3-D-Rekonstruktion des Schädels wurde berechnet, dass die Kraft beim Kauen mit annähernd 1300 Newton ähnlich groß war wie bei anderen Arten der Gattung Homo einschließlich des Homo sapiens.

Die Besonderheiten von Homo floresiensis

Ein Blick auf Füße und Hände

Homo floresiensis Fuß

Eine Analyse von William L. Jungers enthüllte, dass Homo floresiensis im Vergleich zu Homo sapiens ungewöhnlich große und flache Füße hatte. Während die Füße heutiger Menschen ungefähr 55 Prozent der Länge ihres Oberschenkels ausmachen, hatten die Füße von Homo floresiensis eine Länge von 70 Prozent der Länge ihres Oberschenkels. Diese anatomische Besonderheit deutet darauf hin, dass die Gangart von Homo floresiensis sich erheblich von der heutiger Menschen unterschieden haben muss. Es wird vermutet, dass er aufgrund seiner Fußstruktur nicht besonders schnell rennen konnte, da er seine Füße stärker anheben musste als moderne Läufer. Jungers verglich die Fußknochen auch mit denen von anderen Menschen, Vormenschen und heute lebenden Affen und stellte fest, dass die größte Ähnlichkeit mit Homo habilis und Australopithecus afarensis besteht.

Neben den Füßen waren auch die Arme im Vergleich zu Homo sapiens überproportional lang. Das Längenverhältnis von Oberarmknochen zu Oberschenkelknochen lag außerhalb der Variationsbreite heutiger Menschen und sämtlicher heute lebender afrikanischer Menschenaffen. Dieses Verhältnis war größer als bei Australopithecus afarensis und lag nahe dem Durchschnittswert der Paviane. Zudem wiesen alle langen Knochen der Arme und Beine von Homo floresiensis – im Verhältnis zu ihrer Länge – in der Mitte des Schaftes einen größeren Durchmesser auf als bei Homo sapiens. Eine Analyse der Handknochen durch einen Experten der Smithsonian Institution in Washington im Jahr 2007 ergab, dass deren Zusammenwirken weder einem gesunden modernen Menschen noch einer bekannten pathologischen Variante ähnelt. Das linke Handgelenk von Homo floresiensis sei von dem eines Schimpansen oder eines Australopithecus kaum zu unterscheiden. Im Jahr 2008 wiesen jedoch australische Wissenschaftler auf eine Übereinstimmung der primitiven Handgelenkform und anderer Skelettmissbildungen mit denen moderner Menschen hin, die wegen einer Mangelernährung der Mutter an einem angeborenen Jodmangelsyndrom des myxödematösen Typs leiden (Kretinismus). Ende 2008 wurde jedoch unter Einbeziehung neuer Funde anhand der Fossilien von sechs Individuen ein „einzigartiges Mosaik“ aus menschenähnlichen und „primitiven“ Merkmalen an den oberen Extremitäten festgestellt, das niemals bei gesunden oder krankhaft veränderten modernen Menschen beschrieben wurde. Dieselbe Interpretation wurde kurz darauf auch für die Füße von neun Individuen bestätigt. Auch die Analyse eines weiteren Kopfbeins und eines Hakenbeins im Jahr 2013 bestätigte diese Interpretation der Funde.

Lebensraum und Umwelt

Die Welt von Homo floresiensis

Die Höhle barg einen wahren Schatz an Tierknochen, insgesamt rund 275.000 wurden entdeckt. Interessanterweise wurden 80 Prozent dieser Knochen Nagetieren zugeordnet. In einer eingehenden Studie wurden etwa 10.000 Knochen von sieben verschiedenen Nagetierarten aus der Familie der Langschwanzmäuse analysiert, wobei ihre Häufigkeit in unterschiedlichen Fundschichten berücksichtigt wurde. Diese gründliche Analyse führte zu faszinierenden Einblicken in die Umwelt, in der Homo floresiensis vor Hunderttausenden von Jahren lebte. Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass die Höhle, und somit das Habitat von Homo floresiensis, vor etwa 100.000 Jahren größtenteils aus offenem Grasland bestand. Doch vor etwa 62.000 Jahren erlebte die Umgebung der Höhle einen Wandel zu einem überwiegend bewaldeten Biotop. Diese dramatischen klimatischen Veränderungen hatten möglicherweise Auswirkungen auf das Leben in der Höhle. Die Autorin der Studie kam zu dem Schluss, dass das Fehlen von Nachweisen für Homo floresiensis und für verschiedene andere Tierarten ab etwa 60.000 Jahren vor heute auf diese klimatischen Veränderungen zurückzuführen sein könnte. Es wird spekuliert, dass Homo floresiensis nach dem Verlassen der Höhle an anderen Orten auf Flores, die damals noch von offenen Grasländern dominiert wurden, weiterexistiert haben könnte. Diese Vorstellung wirft ein faszinierendes Licht auf die Anpassungsfähigkeit und das Überlebensvermögen dieser frühen Menschenart.

Höhle Liang Bua

Zeitliche Einordnung

Die Altersbestimmung von Homo floresiensis

Die Datierung der Fossilfunde von Homo floresiensis in der Höhle Liang Bua hat im Laufe der Jahre verschiedene Schätzungen hervorgebracht, wobei immer wieder neue Untersuchungsmethoden und Erkenntnisse zum Einsatz kamen. In der Erstbeschreibung im Jahr 2004 wurde dem Schädel LB1 ein Alter von etwa 18.000 Jahren zugeschrieben, während den übrigen Funden teils mehr als 38.000 Jahre zugewiesen wurden. Die Anwendung von AMS-Datierungen auf zwei Holzkohlestücke aus der Fundschicht von LB1 ergab ein kalibriertes Alter von jeweils etwa 18.000 Jahren. Später, im Jahr 2005, wurde das Maximalalter der Fossilfunde von Homo floresiensis auf 95.000 bis 74.000 Jahre geschätzt, wobei das Mindestalter auf rund 12.000 Jahre zurückging. Dieses Mindestalter wurde durch die Entdeckung der Speiche eines Kindes festgelegt, die auf etwa 12.000 Jahre datiert wurde.

Eine interessante Beobachtung war, dass alle anderen Funde unter einer dicken Vulkanasche-Schicht lagen, die ein radiometrisches Alter von 13.100 Jahren aufweist. Spekulationen darüber, ob das Aussterben von Homo floresiensis mit einem gewaltigen Vulkanausbruch vor etwa 13.000 Jahren in Verbindung gebracht werden könnte, wurden angestellt. Steinwerkzeuge, die in der Fundschicht von LB1 entdeckt wurden, stützten die Datierung und wurden aufgrund der ungestörten Ablagerung sehr wahrscheinlich Homo floresiensis zugeschrieben. Eine weitere Datierung des Unterkiefers LB6 ergab ein Alter von etwa 15.000 Jahren. Ergebnisse aus dem Jahr 2009 gaben einen Zeitraum von 95.000 bis 17.000 Jahren vor heute für Homo floresiensis in der Höhle Liang Bua an, während der erste Nachweis für Homo sapiens auf 11.000 Jahre datiert wurde. Neuere Untersuchungen im Jahr 2016 stellten jedoch die anfängliche Datierung der Funde in Frage. Durch die Veränderung des Höhlenbodens durch Erosion wurden Holzkohlenreste, die zur Datierung herangezogen wurden, als jünger als die unmittelbar benachbarten Fundstücke des Homo floresiensis ermittelt. Die Überreste von Homo floresiensis wurden daraufhin auf ein Alter zwischen 100.000 und 60.000 Jahren vor heute datiert, mit Artefakten zwischen 190.000 und 50.000 Jahren alt. In einer 2018 veröffentlichten Studie wurde auch die Besiedelung von Flores durch Homo sapiens möglicherweise bereits vor 46.000 Jahren angenommen, was zusätzliche Einsichten in die frühe Geschichte der menschlichen Besiedelung dieser Region liefert.

Zweifel und Diskussionen

Die Kontroverse um Homo floresiensis

Die Debatte über die Identität und Herkunft von Homo floresiensis war von kontroversen Diskussionen und verschiedenen Hypothesen geprägt, die von unterschiedlichen Gruppen von Wissenschaftlern vertreten wurden. Ein bemerkenswerter Aspekt dieser Diskussionen war die Parallele zur anfänglichen Interpretation des Neandertalers im 19. Jahrhundert. Wie der Neandertal 1, der zunächst von einigen als krankhaft veränderter moderner Mensch angesehen wurde, war auch der erste Fund von Homo floresiensis, LB1, Gegenstand verschiedener Interpretationen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern, die das Modell eines multiregionalen Ursprungs des modernen Menschen vertrat, lehnte bereits kurz nach der Erstbeschreibung die Einordnung von Homo floresiensis als eigenständige Art ab. Dazu gehörte auch Teuku Jacob, ein angesehener Paläoanthropologe aus Indonesien, der die Zuordnung von LB1 als neue Art in Frage stellte. Einige Forscher interpretierten LB1 als krankhaft veränderten Homo sapiens, während andere darauf hinwiesen, dass die Gehirngröße und –proportionen innerhalb der Variationen für moderne mikrozephale Menschen lagen. In der Debatte wurden verschiedene Syndrome wie das Laron-Syndrom und das Down-Syndrom als mögliche Ursachen für die beobachteten Merkmale von Homo floresiensis diskutiert. Allerdings wurden diese Interpretationen später durch umfangreiche Computersimulationen widerlegt.

Insel Flores

Einige Forscher argumentierten auch dagegen, dass sich auf der Insel Flores eine eigenständige Art der Gattung Homo entwickeln konnte, da sie der Meinung waren, dass die Inselbewohner nicht dauerhaft genügend Nahrung finden konnten. Dennoch unterstützten andere Forscher die Idee einer eigenständigen Art und wiesen darauf hin, dass die Funde von Homo floresiensis eine lange überlebende Art des frühen Homo darstellen.  Sie argumentierten, dass die Inselverzwergung das plausibelste Szenario sei und dass Homo floresiensis vermutlich von Homo erectus abstammte. Die Untersuchungen an fossilen Schädeln verschiedener Arten der Gattung Homo ergaben weitere Erkenntnisse. Einige Studien zeigten, dass LB1 größere Übereinstimmungen mit fossilen Schädel D2700 aus Georgien aufwies, die als Homo erectus zugeordnet wurden. Dies deutete darauf hin, dass Homo floresiensis möglicherweise eine lokale Variante von Homo erectus war. Die Neudatierung der Funde, die 2016 veröffentlicht wurde, bestätigte die Eigenständigkeit von Homo floresiensis als Art. Diese Datierung wurde als überzeugender Beleg dafür angesehen, dass Homo sapiens zu der Zeit, als Homo floresiensis auf der Insel lebte, noch nicht in dieser Region vertreten war. Dies unterstrich die Bedeutung der Fossilien von Homo floresiensis für unser Verständnis der menschlichen Evolution und der Besiedlungsgeschichte von Südostasien.

Schädel D2700

Parallelen zu einheimischen Mythen

Indigene Legenden und die geheimnisvolle Verbindung zu Homo floresiensis

Die Verbindung zwischen Homo floresiensis und den Mythen indigener Völker gibt Anlass zu faszinierenden Spekulationen über das mögliche Überleben dieser Spezies bis in historische Zeiten. Einheimische Geschichten und Überlieferungen über Wesen wie die Ebu Gogo, von denen behauptet wird, dass ihre Vorfahren sie noch gesehen haben, werfen ein Licht auf diese mysteriöse Verbindung. Richard Roberts, ein australischer Forscher, sammelte Berichte von Einheimischen über die Ebu Gogo, die als kleine, komplett behaarte Wesen beschrieben wurden, die lange Arme und einen runden Bauch hatten. Diese Wesen sollen eine unverständliche Sprache gemurmelt haben, aber auch Worte wiederholt haben, die man ihnen sagte. Die Erzählungen über die Ebu Gogo deuteten darauf hin, dass sie bis zum 19. Jahrhundert, kurz vor der Kolonisation der Insel durch die Holländer, auf Flores existierten. Ähnliche Berichte gibt es auch über den Orang Pendek, was auf Indonesisch „kleiner Mensch“ bedeutet, der angeblich bis ins 19. Jahrhundert auf Sumatra gelebt haben soll. Diese Legenden werfen die Frage auf, ob diese Wesen möglicherweise Überlebende von Homo floresiensis waren oder ob sie eine andere Erklärung haben. Die Existenz solcher Mythen und Legenden lässt Raum für Spekulationen über das mögliche Überleben von Homo floresiensis bis in historische Zeiten. Ob diese Geschichten auf tatsächlichen Begegnungen mit einer realen Spezies beruhen oder ob sie auf andere Weise entstanden sind, bleibt jedoch ein Rätsel, das weitere Forschung erfordert.

Ebu Gogo Illustration ©Julian Cheatle

Mittelpaläolithikum

STECKBRIEF

01

Name

Homo floresiensis

02

Alter

Circa 100.000 bis 17.000 Jahre vor heute

03

Lebensraum

Die Fossilien von Homo floresiensis wurden in der Liang-Bua-Höhle auf der indonesischen Insel Flores entdeckt.

04

Entdeckung

Die Entdeckung von Homo floresiensis wurde im Jahr 2003 von einem Team internationaler Wissenschaftler unter der Leitung von Mike Morwood bekannt gegeben.

05

Erstbeschreibung

Die Erstbeschreibung erfolgte im Jahr 2004 durch Peter Brown und seine Kollegen. Der erste und vollständigste Fund, LB1, wurde als etwa 30-jährige Frau mit einer Körpergröße von etwas mehr als einem Meter beschrieben.

06

Merkmale

  • Der Schädel von LB1 zeigt eine ungewöhnliche Kombination von Merkmalen, darunter Schädel- und Zahnmerkmale ähnlich denen von Homo ergaster sowie archaische Handwurzelknochen.
  • Die Gehirngröße von Homo floresiensis wird auf etwa 380 bis 426 cm³ geschätzt, was im Vergleich zu Homo erectus deutlich kleiner ist.
  • Die Körpergröße von Homo floresiensis wird auf etwa einen Meter geschätzt, und das Körpergewicht wird auf 16 bis 29 Kilogramm geschätzt.
  • Die Fußknochen weisen eine ungewöhnliche Länge und Flachheit auf, was auf eine angepasste Gangart hinweist.

07

Datierung

  • Die Funde von Homo floresiensis wurden auf ein Alter zwischen etwa 100.000 und 60.000 Jahren datiert, obwohl einige Schätzungen das Alter bis zu 95.000 Jahre vor heute reichen lassen.
  • Der letzte Nachweis von Homo floresiensis liegt möglicherweise etwa 12.000 Jahre zurück.

08

Spekulationen und Mythen

  • Es gibt Berichte indigener Völker über Wesen wie die Ebu Gogo auf Flores, die Parallelen zu Homo floresiensis aufweisen könnten. Diese Wesen sollen bis ins 19. Jahrhundert existiert haben.
  • Ähnliche Legenden existieren auch über den Orang Pendek auf Sumatra, was die Spekulationen über das mögliche Überleben von Homo floresiensis bis in historische Zeiten verstärkt.

09

Debatte und Interpretation

  • Die Einordnung von Homo floresiensis als eigenständige Art wurde von einigen Wissenschaftlern angezweifelt, während andere weiterhin die Hypothese einer eigenen Art unterstützen.
  • Es gab Spekulationen über mögliche Krankheiten oder Syndrome, die die Merkmale von Homo floresiensis erklären könnten, aber diese wurden durch weitere Untersuchungen in Frage gestellt.

MÖGLICHE UND GESICHERTE VORFAHREN

Australopithecus afarensis 

ca. 3.8  – 2.9 Mio. J. v. Chr

Australopithecus africanus

ca. 3.4 – 2.1 Mio. J. v. Chr

Australopithecus garhi

ca. um 2.5 Mio. J. v. Chr

Homo
Rudolfensis

ca. 2.5  – 1.9 Mio. J. v. Chr

Homo
Habilis

ca. 2.1  – 1.5 Mio. J. v. Chr

Homo
Ergaster

ca. 1.9  – 1.4 Mio. J. v. Chr

Homo
Erectus 

ca. 1.9  – ? Mio. J. v. Chr

Homo
Heidelbergensis

ca. 600.000 – 200.000 J. v. Chr

Homo Neanderthalensis

ca. 400.000 – 30.000 J. v. Chr

Archaischer Homo Sapiens

ca. 200.000 – 100.000 J. v. Chr

Homo
Sapiens

ca. 315.000 J. v. Chr

Denisova
Mensch

ca. 200.000 – 30.000 J. v. Chr

Homo
Floresiensis

ca. 100.000 – 17.000 J. v. Chr

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