Die prähistorische Evolution... ca. 10.000–9.500 v. Chr.
Khiamien
Das „Khiamien“ (englisch „Khiamian“) repräsentiert eine bedeutende archäologische Kultur, die in der Levante und auf der Sinai-Halbinsel verortet ist und in die Epipaläolithikum-Zeit, auch bekannt als Proto-Neolithikum oder frühes Präkeramisches Neolithikum, datiert wird. Diese Kultur wird von vielen zeitgenössischen Archäologen als die früheste Stufe des Präkeramischen Neolithikums A (PPNA) angesehen, während andere Forscher das Khiamien eher als eine Übergangsperiode zwischen dem späten Natufien (*Final Natufian*) und dem eigentlichen Beginn des Neolithikums interpretieren.
In der archäologischen Forschung zählt das Khiamien zu den frühesten Kulturen des Alten Orients, die am Anfang der Entwicklung zur produzierenden Lebensweise standen. Es wird oft als Vorläufer späterer vollentwickelter neolithischer Kulturen wie dem Sultanien, Aswadien und Mureybetien betrachtet. Seit seiner Entdeckung ist das Khiamien jedoch Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Debatten. Ein zentraler Diskussionspunkt ist, ob es sich tatsächlich um eine eigenständige kulturelle Einheit handelt oder ob es vielmehr eine Phase darstellt, die durch stratigraphische Vermischungen geprägt wurde. Insbesondere die Möglichkeit, dass diese Kultur in Schichten zwischen dem Natufien und Sultanien auftritt, sowie der relativ kurze Zeitraum, in dem das Khiamien existierte, haben dazu geführt, dass die etablierte archäologische Terminologie in Frage gestellt wird.
Forschungsgeschichte und Begriffsentwicklung des Khiamien
Entstehung, Debatten und Fortschritte in der Definition der Khiamien-Kultur
Das Khiamien erhielt seinen Namen von der archäologischen Stätte auf der Terrasse von el-Khiam, gelegen in der Judäischen Wüste, nahe dem Wadi Khureitun und unweit des Toten Meeres. Diese Region wurde in den frühen 1930er Jahren erstmals durch den französischen Archäologen René Neuville erschlossen, der das Gebiet durch systematische Ausgrabungen untersuchte. Neuville war einer der ersten, der die Bedeutung dieser Funde erkannte, doch zu jener Zeit wurden die Ergebnisse noch stark von den damals herrschenden Ansichten über das Neolithikum und der bereits etablierten levantinischen Chronologie beeinflusst. Die ersten bei el-Khiam entdeckten Artefakte wurden zunächst der Natufien-Kultur zugeordnet. Diese Kultur war erst 1932 von der britischen Archäologin Dorothy Garrod anhand ihrer Ausgrabungen in der Shuqba-Höhle im Wadi en-Natuf definiert worden. Garrod hatte postuliert, dass das Natufien nicht vor das 5. Jahrtausend v. Chr. zu datieren sei. Da zu dieser Zeit eine klar abgegrenzte Jungsteinzeit in der Levante noch unbekannt war, interpretierte Neuville seine Funde aus el-Khiam als mögliche Brücke zwischen dem mesolithischen Natufien und der nachfolgenden Kupferzeit. Diese Erkenntnisse führten erstmals zur Vorstellung einer „Übergangskultur“ in dieser Region.
In den 1950er Jahren wurden die Untersuchungen durch den französischen Archäologen Perrot fortgeführt, und in den 1960er Jahren trug der spanische Archäologe Rafael Echegaray zur Weiterentwicklung des Begriffs bei. Echegaray schlug vor, das Khiamien als eigenständige Kultureinheit zu betrachten, und bezeichnete es in seiner Arbeit von 1966 als die erste Erscheinungsform des Neolithikums in der Levante. Zentral für seine These war das Vorhandensein von Inventaren in der Tradition des Natufien, jedoch mit der entscheidenden Neuerung, dass bereits Pfeilspitzen zum Einsatz kamen. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen postulierte der deutsche Archäologe Fred Prausnitz im selben Jahr das Khiamien ebenfalls als direkte Nachfolgekultur des Natufien. Doch nur vier Jahre später revidierte Prausnitz seine Auffassung, nachdem neue Untersuchungen, etwa durch Ofer Bar-Yosef (1970), Zweifel an der ursprünglichen Einordnung der Funde aufkommen ließen. Die Hanglage der Fundstätte und mögliche Erosionen führten zu der Annahme, dass die Artefakte möglicherweise nicht an ihrem ursprünglichen Fundort entdeckt wurden, was die Grundlage für eine verlässliche stratigraphische Sequenz in Frage stellte. Auch das Verhalten von grabenden Nagetieren wie Wühlmäusen wurde als möglicher Einfluss auf die Fundlage in Betracht gezogen.
Die Forschung stand nun vor der Herausforderung, angesichts der Vielzahl neu eingeführter Kulturen, Industrien und Inventare eine einheitliche Terminologie zu etablieren. Joan Crowfoot-Payne, eine britische Archäologin, widmete sich dieser Aufgabe und schlug 1976 eine Einteilung der Levante in kleinere geografische Zonen vor, die jeweils eigene lokale Kultureinheiten aufwiesen. In diesem System integrierte sie auch das Khiamien. Ihrer Ansicht nach koexistierten im frühen Neolithikum zwei Hauptindustrien: das Khiamien, das weitgehend der Tradition des Natufien folgte, und das Sultanien von Jericho, das bereits vollneolithische Merkmale aufwies. Sieben Jahre später änderte Crowfoot-Payne jedoch ihre Meinung und vermutete nun, dass das Khiamien dem Sultanien vorausging, wenngleich sie eine gewisse zeitliche Überlappung nicht vollständig ausschloss. In den darauffolgenden Jahrzehnten konnten weitere Fundstätten in der gesamten Levante und darüber hinaus identifiziert werden, die ähnliche Silex-Industrien aufwiesen. Die Fortschritte in der kalibrierten Kohlenstoff-Datierung und die detaillierten stratigraphischen Analysen ergaben, dass diese Fundstätten zeitlich ungefähr mit dem Khiamien übereinstimmen. Diese neuen Erkenntnisse schufen die Grundlage für eine fortlaufende Diskussion über die kulturellen Entwicklungen in der Levante zu Beginn des Neolithikums. Bis heute bleibt die Terminologie komplex und oft uneinheitlich, da die Forschung weiterhin bemüht ist, die vielfältigen kulturellen Phänomene dieser Zeit präzise zu erfassen.
Datierung und Klimatische Einflüsse des Khiamien
Chronologische Einordnung und Umweltveränderungen zur Zeit des Khiamien
Die Chronologie des französischen Maison de l’Orient (ASPRO) platziert das Khiamien in die Periode 2a, die etwa in den Zeitraum von 10.000 bis 9.500 v. Chr. (kalibriert) fällt. Diese Datierung verortet die Kultur in eine Zeit, die direkt auf die jüngste Kaltphase, die Jüngere Dryaszeit, folgt. Andere Forscher präzisieren diesen Zeitraum weiter und ordnen das Khiamien einem Zeitfenster von etwa 11.700 bis 11.200 unkalibrierten Jahren vor heute (BP) zu, was kalibriert etwa 12.200 bis 11.800 Jahren BP entspricht. Diese Ära markiert eine bedeutende Übergangsphase in der Levante, in der das Klima nach der Jüngeren Dryaszeit, die durch kühle und trockene Bedingungen gekennzeichnet war, allmählich wieder wärmer und feuchter wurde. Die Jüngere Dryaszeit hatte massive ökologische Veränderungen mit sich gebracht: die Waldgrenzen verschoben sich, und über große Teile des Fruchtbaren Halbmonds breitete sich Trockenheit aus. Diese klimatischen Umwälzungen führten zu einschneidenden Veränderungen in der Flora und Fauna der Region und zwangen die menschlichen Gemeinschaften, sich an die neuen Umweltbedingungen anzupassen. Einige Wissenschaftler sehen in diesen Anpassungen einen entscheidenden Faktor, der zur Neolithischen Revolution und dem Übergang zu einer sesshaften Lebensweise beitrug.
Mit dem Beginn des Holozäns, der Klimaperiode, die das Ende der letzten Eiszeit markiert, verbesserten sich die klimatischen Bedingungen in der Levante erheblich. Die Region erlebte eine Rückkehr zu einem feuchten und warmen Klima, das die Ausbreitung dichter Wälder begünstigte und somit die Lebensgrundlage für die menschlichen Gemeinschaften erweiterte. Für die stratigraphische Einordnung des Khiamiens waren insbesondere die Schichten Mureybet IB/II, Salibiyah IX und Hatoula von Bedeutung. Diese Schichten lieferten wertvolle Hinweise auf die chronologische Position des Khiamiens. Jedoch sind auswertbare Radiokohlenstoffdatierungen aufgrund des Mangels an geeignetem Material nach wie vor rar, und die vorhandenen Daten beziehen sich oft auf benachbarte Schichten. Dies erschwert eine exakte Datierung und macht deutlich, dass die zeitliche Verortung des Khiamiens nach wie vor ein komplexes und offenes Forschungsfeld darstellt.
Verbreitungsgebiet und Wichtige Fundorte des Khiamien
Geografische Ausdehnung und Schlüsselstätten der Khiamien-Kultur
Das Verbreitungsgebiet des „Khiamien“ erstreckte sich über eine beeindruckende geographische Bandbreite, die vom Sinai bis in den Norden des mittleren Euphrat reichte. Einer der südlichsten Fundorte ist Abu Madi, östlich des Katharinenklosters auf der Sinai-Halbinsel gelegen. Diese Region markiert den südlichen Rand des bekannten Verbreitungsgebiets. Im Osten Jordaniens fand man in Azraq wichtige Spuren dieser Kultur, während im Anti-Libanon-Gebirge der Fundplatz Nasharini von Bedeutung ist. Im Norden stieß man bis an den mittleren Euphrat vor, wo Mureybet eine der zentralen Fundstätten darstellt. Dieser Fundort liefert wertvolle Erkenntnisse über die nordöstliche Ausdehnung des Khiamiens. Zu den weiteren bedeutenden Stätten gehören das namensgebende el-Khiam in Palästina, Salibiyah IX im Jordantal, Hatoula im Judäischen Bergland und Poleg (18M). Ebenfalls erwähnenswert sind die Fundplätze Huzuk Musa, Abu Salem und Shunera VI. Weitere bedeutende archäologische Stätten, die mit dem Khiamien in Verbindung gebracht werden, sind Nahal Oren, Sheikh Hassan, Qaramel und Göbekli Tepe. Insbesondere Göbekli Tepe in der heutigen Türkei gilt als einer der außergewöhnlichsten Orte dieser Epoche und zeigt die weite geografische Verbreitung und den Einfluss der Khiamien-Kultur.
Der Schwerpunkt der Siedlungsaktivitäten wird allgemein in der südlichen Levante verortet. Es wird angenommen, dass es zu Überschneidungen mit dem späten Harifien in der Negev-Wüste und dem Sinai (insbesondere Abu Madi) gekommen ist, was die Trennung dieser beiden Kulturräume erschwert. Diese kulturelle Nähe und Überschneidung deuten darauf hin, dass die Vertreter des mediterran geprägten Khiamien bzw. des Finalen Natufien möglicherweise in engen Kontakt mit den Populationen aus den ariden Regionen getreten sind. Diese Vermischung könnte als eine Überlebensstrategie betrachtet werden, bei der sich die Menschen zur Sicherung ihrer Subsistenz in größeren Gemeinschaften zusammenschlossen. Zusätzlich weist das nach dem Fundort Qermez Dere benannte Qermezien, das an den nördlichen Abschnitten von Euphrat und Tigris liegt, sowohl typische Khiamien-Pfeilspitzen als auch ein ähnliches Inventar auf. Dies unterstreicht die weite Verbreitung und den kulturellen Einfluss des Khiamien, das als eine bedeutende archäologische Kultur dieser Zeit betrachtet wird. Die verschiedenen Fundorte und die damit verbundenen Artefakte liefern wertvolle Einblicke in die kulturelle Dynamik und die weiten Handels- und Kommunikationsnetzwerke, die bereits zu dieser frühen Zeit bestanden haben müssen.
Siedlungsweise und Subsistenzgrundlagen des Khiamien
Lebensräume, Siedlungsstrukturen und wirtschaftliche Grundlagen der frühen Neolithischen Kultur
Das Khiamien, das sich stark in der Tradition des Natufien verankert sieht, zeigt deutlich die Fortsetzung der Lebensweise seiner Vorgänger, mit einigen bemerkenswerten Entwicklungen. Die Menschen dieser Kultur, die als direkte Nachfahren der Natufien betrachtet werden, lebten weiterhin hauptsächlich in Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften. Jedoch zeigen sich bereits erste Ansätze zu einer primitiven landwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere von Wildgräsern, was einen wichtigen Schritt in Richtung einer sesshafteren Lebensweise markiert. In dieser Epoche vergrößerten sich die Siedlungen erheblich und erreichten eine durchschnittliche Größe von 1000 bis 3000 Quadratmetern. Damit waren sie etwa achtmal so groß wie die Lagerstätten des Natufien und zeugen von einer zunehmenden Komplexität und Organisation innerhalb der Gemeinschaften. Diese Siedlungen befanden sich in der Regel in der Nähe von permanenten Wasserquellen, was ihre Lage in den damals mediterranen Waldgebieten des Tieflandes begünstigte. Diese Nähe zu Wasserressourcen war nicht nur für den täglichen Bedarf entscheidend, sondern auch für die Sicherung von Feuerholz und Baumaterial, das aus den umliegenden Wäldern gewonnen wurde. Zudem könnte auch die Nutzung der fruchtbaren Alluvialböden, die sich in den Flussnähen fanden, eine Rolle in der wirtschaftlichen Tätigkeit dieser Gemeinschaften gespielt haben. Das günstige Klima dieser Zeit trug wesentlich zu einem raschen Anstieg der Bevölkerung bei. Innerhalb kurzer Zeit wuchs die Anzahl der Bewohner in einer typischen frühneolithischen Siedlung von den zuvor üblichen 30 bis 50 Personen auf etwa 250 bis 400 Menschen an.
Diese demographische Entwicklung deutet nach Meinung des Archäologen Ofer Bar-Yosef stark darauf hin, dass die Kultivierung von Nutzpflanzen eine größere Rolle spielte, obwohl sie noch nicht die Hauptquelle der Ernährung darstellte. Tierzucht ist in diesem frühen Stadium noch nicht nachweisbar, und die Jagd auf Gazellen blieb die vorherrschende Methode der Nahrungsbeschaffung. Die saisonale Nutzung mancher Siedlungen lässt vermuten, dass die Menschen weiterhin eine gewisse Mobilität beibehielten, um Jagdwild zu verfolgen. Darüber hinaus gewannen das Fischen und die Jagd auf Vögel zunehmend an Bedeutung und ergänzten die Ernährung maßgeblich. In puncto Architektur zeigen sich im Khiamien ebenfalls interessante Fortschritte. Die Menschen investierten mehr Zeit und Mühe in den Bau ihrer Behausungen, was darauf hinweist, dass diese Gebäude für eine längere Nutzung konzipiert waren. Die Fundamente bestanden weiterhin hauptsächlich aus Stein und waren oft rund oder oval, während die Wände aus Lehm oder Lehmziegeln gefertigt wurden. Eine bemerkenswerte Neuerung war die Konstruktion von Häusern auf Bodenniveau, während in früheren Zeiten die Unterkünfte zur Hälfte in den Boden eingetieft waren. Die flachen Dächer, die mit Stützpfosten gesichert wurden, boten mehr Raum im Inneren der Häuser und reflektieren den Fortschritt hin zu stabileren und dauerhafteren Strukturen, die für die wachsende Bevölkerung und die sich wandelnde Lebensweise geeignet waren.
Materielle Charakterisierung des Khiamien
Lithisches Inventar, Werkzeuge und kunsthandwerkliche Merkmale der frühen Neolithischen Kultur
Diese archäologische Fundgruppe zeichnet sich in erster Linie durch ihr lithisches Inventar aus, das noch stark mit der Tradition des Natufien verbunden ist. Eine der bemerkenswertesten Eigenschaften dieser Kultur ist der häufige Gebrauch von Mikrolithen, die sowohl konkav als auch konvex geformt sein können. Diese winzigen Werkzeuge wurden oft zu komplexeren Geräten zusammengesetzt, wie etwa zu geschäfteten Sicheln. Die für diese Werkzeuge verwendeten Klingen zeichnen sich durch ihre beeindruckende Größe aus, die von 38 bis zu 74 Millimetern reicht, und durch ihre minimale Retusche, was sie zu effizienten Werkzeugen in der täglichen Nutzung machte. Eine der bedeutendsten technologischen Neuerungen des Khiamien ist die Entwicklung und Verbreitung der ältesten bekannten Silex-Pfeilspitzen, die als „Khiam Points“ bezeichnet werden. Diese Pfeilspitzen sind durch ihre seitlichen Schäftungskerben charakterisiert und sind ein Schlüsselartefakt, das ab ihrem erstmaligen Auftreten im Khiamien das gesamte Präkeramische Neolithikum A (PPNA) prägte. Die weite Verbreitung dieser Pfeilspitzen, die sich vom südlichen Sinai bis in den nördlichen Irak erstreckt, verdeutlicht die großen Interaktionsradien und den kulturellen Austausch zwischen den verschiedenen Gemeinschaften dieser Region. Es wurden insgesamt 12 Varianten dieser Pfeilspitzen identifiziert, die sich durch die Position der Schäftungskerben und die Form ihrer Basis unterscheiden. Neben den Khiam Points treten auch einige regionale Pfeilspitzenformen auf, die etwa zur gleichen Zeit entstanden. Eine weitere bedeutende Veränderung im lithischen Inventar des Khiamien ist der deutliche Anstieg von Handlochern und -bohrern. Während diese Werkzeuge im Natufien nahezu nicht existierten, machen sie nun etwa 20 Prozent des gesamten lithischen Bestands aus.
Der Archäologe Bueller interpretiert diesen Anstieg als ein Indiz für die zunehmende Herstellung von Kleidung aus Tierhäuten und Fellen. Seinen Studien zufolge wurden die Stichel wahrscheinlich in Knochengriffe eingesetzt, was die Bearbeitung und das Lochen von trockenen Häuten erheblich erleichterte. Besonders die Verarbeitung von Gazellenhäuten scheint im Fokus gestanden zu haben, was möglicherweise die intensive Jagd auf diese Tierart während des PPNA erklärt. Auch Kratzer und Schaber, die ebenfalls Teil des lithischen Inventars sind, zeugen von der fortgeschrittenen Verarbeitungstechnik dieser Epoche. Interessanterweise fehlen im Khiamien bislang flächenretuschierte oder polierte Steinbeile, die in späteren neolithischen Kulturen als charakteristische Marker gelten. Ebenso selten sind Gebrauchsgegenstände wie Mahlsteine aus geschliffenem oder poliertem Stein, die in anderen neolithischen Kontexten häufig zu finden sind. Dies deutet darauf hin, dass sich das Khiamien noch in einem Übergangsstadium befand, in dem bestimmte Techniken und Werkzeuge noch nicht weit verbreitet waren. In der symbolischen und künstlerischen Ausdrucksform vollzieht sich jedoch eine bemerkenswerte Wandlung. Während im Natufien figürliche Darstellungen von Tieren dominierten, rücken im Khiamien zunehmend weibliche Figurinen in den Vordergrund. Der Archäologe Jacques Cauvin sieht in diesem deutlichen Anstieg an weiblichen Darstellungen sowie in der präsenten Symbolik von Auerochsen – sei es in Form von Figuren oder rituellen Begräbnissen – einen tiefgreifenden psychologischen und symbolischen Wandel. Dieser Wandel könnte auf die Entstehung einer neuen religiösen Gemeinschaft hindeuten, die durch diese symbolischen Revolutionen geprägt wurde und eine zentrale Rolle im frühen Neolithikum der Levante spielte.
Gegenwärtige Beurteilung des Khiamien
Aktuelle Forschungen, Interpretationen und Debatten zur kulturellen und chronologischen Einstufung
In der zeitgenössischen Fachliteratur wird das Khiamien oft als die früheste Form des Präkeramischen Neolithikums A (PPNA) betrachtet. Dennoch bleibt die Definition, chronologische Einordnung und allgemeine Akzeptanz dieses Begriffs ein ständiger Zankapfel unter Archäologen. Diese Debatte hat ihre Wurzeln in den frühen Arbeiten von René Neuville und Dorothy Garrod, deren Forschungsergebnisse das Verständnis des Khiamien maßgeblich prägten. Seit seiner Einführung basiert der Begriff des Khiamien jedoch auf Daten, die nicht immer als zuverlässig gelten. Diese Unsicherheiten veranlassten den Archäologen Yosef Garfinkel 1996 dazu, den Begriff Khiamien infrage zu stellen und vorschlug, ihn aufgrund seiner unklaren Definition und der möglicherweise fehlerhaften Interpretation von Schichten, die als eigene Phase verstanden wurden, gänzlich aufzugeben. Als Reaktion auf Garfinkels Kritik veröffentlichten Avraham Ronen und Michèle Lechevallier 1999 den Artikel „Save the Khiamian!“, in dem sie Argumente für die Beibehaltung des Begriffs anführten. Besonders betonten sie dabei die Existenz einer klar definierten Khiamien-Schicht am Fundort Hatoula. Diese Schichten sind jedoch in der Regel sehr dünn und die geografische Ausdehnung der Kultur variiert je nach Interpretation erheblich. Zudem gibt es je nach Region unterschiedliche zeitliche Einordnungen sowie lokale Unterschiede im Inventar, was die Definition des Khiamien zusätzlich erschwert.
Einige Forscher, darunter Nigel Goring-Morris und Anna Belfer-Cohen, betrachten das Khiamien als eine kurze Übergangsphase zwischen dem Finalen Natufien und dem Sultanien. Ihrer Ansicht nach spiegelt diese Periode den Höhepunkt eines Trends wider, der sich bereits im späten Natufien abzeichnete. Sie sehen das Khiamien als eine Übergangskultur, in der die letzten Elemente der Harifien-Kultur überlappten und die die Entwicklung hin zum PPNA vorbereitete. Diese Übergangszeit war geprägt von regionalen Varianten, die sich über weite Teile des Nahen Ostens verteilten und das eigentliche PPNA einleiteten. Als Reaktion auf die Komplexität und Uneinheitlichkeit in der Definition des Khiamiens entwickelten Forscher wie Francis Hours, Olivier Aurenche und Andrew Moore neutralere Klassifikationsschemata. Diese Ansätze, wie die „Periode 2(a)“ der ASPRO-Chronologie und das „Early Neolithic 1“, versuchen, das Phänomen des frühen Neolithikums umfassender zu beschreiben und die Debatte um die Terminologie zu entschärfen. Sie bieten alternative Modelle an, die darauf abzielen, die kulturellen Entwicklungen in dieser entscheidenden Phase der Menschheitsgeschichte genauer zu erfassen und zu interpretieren, ohne sich auf einen möglicherweise überholten Begriff wie das Khiamien zu stützen.
Proto-Neolithikum
STECKBRIEF
01
Name
Khiamien
02
Alter
Ca. 11.700–11.200 BP unkalibriert bzw. 12.200–11.800 BP kalibriert (entspricht etwa 10.000–9.500 v. Chr. kalibriert)
03
Geografische Verbreitung
Levante, Sinai-Halbinsel, Jordanien, Anti-Libanon, mittlerer Euphrat
04
Kulturelle Zugehörigkeit
Übergangsphase zwischen dem späten Natufien und dem Präkeramischen Neolithikum A (PPNA)
05
Lebensweise
- Jäger und Sammler mit ersten Ansätzen zur Kultivierung von Wildgräsern
- Siedlungsgrößen zwischen 1.000 und 3.000 m², oft in der Nähe von Wasserquellen
- Bevölkerung von etwa 250–400 Personen pro Siedlung
06
Wirtschaft
- Primär Jagd auf Gazellen, Fischfang und Vogeljagd
- Erste Ansätze von Landwirtschaft, keine nachgewiesene Viehzucht
07
Architektur
- Rundliche oder ovale Häuser mit Steinfundamenten
- Verwendung von Lehm oder Lehmziegeln, flache Dächer mit Stützpfosten
- Häuser überwiegend auf Bodenniveau erbaut
08
Lithisches Inventar
- Mikrolithen, insbesondere große Klingen für Sicheln
- Schlüsselartefakt: Khiam Points (Silex-Pfeilspitzen mit seitlichen Schäftungskerben)
- Zunahme von Handlochern und -bohrern, möglicherweise zur Verarbeitung von Tierhäuten
- Keine polierten Steinbeile oder Mahlsteine
09
Symbolik und Kunst
- Vermehrte Darstellung von weiblichen Figurinen und Auerochsen
- Hinweise auf eine symbolische und religiöse Entwicklung
10
Bedeutung
- Frühe Kultur am Beginn der Neolithisierung, wichtige Rolle in der Entwicklung des vollneolithischen Sultanien
- Bedeutend für das Verständnis der Übergangsprozesse von Jäger- und Sammlergemeinschaften zu sesshaften Gesellschaften
11
Debatten
- Unklarheiten in der Definition und Einordnung des Khiamiens
- Diskussionen über die Vermischung von Schichten und die chronologische Abgrenzung zu anderen Kulturen wie dem Natufien und Sultanien.