Lengyel Kultur

Die prähistorische Evolution... ca. 5000–4400 v.Chr.

Lengyel-Kultur

Die dreiphasige Lengyel-Kultur, auch bekannt als Mährisch Bemaltkeramische Kultur (MBK), stellt eine bedeutende jungsteinzeitliche Kultur dar. Ihr geografisches Zentrum lag ursprünglich in der Südwestslowakei und im westlichen Ungarn. Doch ihre Einflüsse reichten weit darüber hinaus und erstreckten sich bis nach Ostösterreich, Mähren und Kroatien. Im weiteren Verlauf ihrer Verbreitung erreichte diese Kultur auch Polen sowie Teile Bayerns, wie etwa Münchshöfen, und Sachsen-Anhalt, wo sie unter anderem in Goseck Spuren hinterließ. Ihren Namen erhielt die Lengyel Kultur Anfang der 1920er Jahre durch den österreichischen Archäologen Oswald Menghin. Der Ursprung des Namens liegt in dem zentralungarischen Fundort Lengyel, dessen Name im Ungarischen mit „Polen“ oder „polnisch“ übersetzt wird. In der Region Tolna, wo Lengyel liegt, führten Archäologen zwischen 1882 und 1888 umfangreiche Ausgrabungen durch. Dabei stießen sie auf etwa 90 Gräber, die wertvolle Einblicke in die Kultur und das Leben dieser frühen Gemeinschaften boten.

Lengyel-Kultur

Lengyel-Kultur der Wandel einer Epoche

Wie kultureller Austausch und Innovation eine jungsteinzeitliche Gesellschaft formten
und neue künstlerische sowie architektonische Traditionen hervorbrachten.

Lengyel-Kultur
Lengyel und das Umfeld CC BY-SA 4.0

Die Lengyel-Kultur entwickelte sich ab etwa 5000 v. Chr. als Nachfolgerin der Linearbandkeramik und bildet eine Schlüsselphase der mitteleuropäischen Jungsteinzeit. In den nördlichen Regionen existierte sie zeitgleich mit der Stichbandkeramik, während im Nordwesten Parallelkulturen wie die Rössener Kultur anzutreffen waren. Die Lengyel Kultur zeichnet sich durch ihre Vielseitigkeit aus, indem sie verschiedene architektonische, technische und künstlerische Traditionen hervorbrachte. Charakteristisch für ihre Siedlungen sind breite, mit Spitzgräben umgebene Areale, die möglicherweise sowohl Schutz– als auch symbolischen Zwecken dienten. Ein markantes Merkmal der Lengyel-Kultur ist ihre Keramik, die stilistische Parallelen zur Danilo-Kultur in Dalmatien und der Butmir-Kultur in Bosnien aufweist. Die Ursprünge dieser Kultur lassen sich im Kerngebiet der Starčevo-Kultur in Slawonien, Srem (Sirmien) und Südungarn verorten. Ihr Entstehen und ihre Weiterentwicklung wurden durch intensiven kulturellen Austausch mit den westlichen Regionen sowie Bosnien und Dalmatien entlang der Adriaküste gefördert. Bereits im frühen 5. Jahrtausend v. Chr. entwickelte die Bevölkerung westlich und nördlich der mittleren Donau einen unverkennbaren Kunststil, der die Eigenständigkeit der Kultur unterstrich.

Die Keramikproduktion der Lengyel-Kultur ist in drei Phasen unterteilt, die jeweils durch unterschiedliche Farbgestaltung geprägt sind:

  • Polychrome Phase: Mehrfarbige, kunstvoll bemalte Gefäße.
  • Bichrome Phase: Zweifarbige Verzierungen, oft mit klaren Kontrasten.
  • Unbemalte Phase: Schlichte, funktionale Keramiken ohne farbliche Verzierung.

Neben der Keramikherstellung setzte die Lengyel Kultur auch die Tradition der danubischen Kulturen in der Produktion von Figurinen fort. Dabei zeigte sie eine beeindruckende Vielfalt in Form und Gestaltung, die tiefere Einblicke in die religiösen und sozialen Vorstellungen dieser Gemeinschaften bietet.

Nach ihrem Höhepunkt in West-Ungarn wurde die Lengyel-Kultur vom Balaton-Komplex abgelöst, während in Schlesien, Böhmen und Mähren die Jordansmühler oder Jordanów-Kultur folgte. Die weitreichenden kulturellen Verbindungen und die Eigenständigkeit der Lengyel-Kultur machen sie zu einem faszinierenden Studienobjekt für die jungsteinzeitliche Archäologie.

Lengyel Kultur
Neolithikum in Schlesien, Lengyel und Trichterbecher. Keramik 25-30. CC BY-SA 4.0
Mutter-Göttin

Schätze der Lengyel-Kultur Bedeutende Funde und ihre Geschichten

Von kunstvollen Venusfigurinen bis zu faszinierenden Gräberfeldern
– ein Blick auf die archäologischen Highlights einer bemerkenswerten Kultur.

Die Lengyel-Kultur hat zahlreiche beeindruckende Fundstätten hinterlassen, die über weite Teile Mitteleuropas verteilt sind. Neben dem namensgebenden Ort Lengyel in Ungarn sind bedeutende Fundplätze auch Alsónyék-Bátaszék, das mit seinem außergewöhnlich großen Gräberfeld hervorsticht, sowie die Siedlungen Aszód und Zengővárkony. In der Slowakei zählt Lužianky zu den zentralen Stätten, ebenso wie das Gräberfeld von Výčapy-Opatovce, das der späten Phase der Lengyel-Kultur, der Epilengyel-Zeit, zugeordnet wird. Weitere bedeutende Funde stammen aus Svodín. In Tschechien hinterließ die Lengyel-Kultur ihre Spuren vor allem im Süden und Osten Mährens, wo sie in Form der Mährischen Bemaltkeramik (moravská malovaná keramika) vertreten ist. Zu den bedeutendsten Fundorten gehören Kramolin, Jezeřany-Maršovice sowie das Gräberfeld von Olomouc, das ebenfalls der Epilengyel-Phase zugeordnet wird. Ein besonderer Fundort in Polen ist Brześć Kujawski (Brest in Kujawien), der einer regionalen Gruppe der Kultur seinen Namen verlieh.

Venus von Langenzersdorf
Venus von Langenzersdorf ist eine unbemalte Figurine. Mittelneolithikum, Lengyel-Kultur
Venus von Falkenstein
Die Venus von Falkenstein ist eine bemalte, 13 cm hohe Statuette der Lengyel-Kultur

Auch in Ostösterreich wurden bemerkenswerte Fundstätten der Lengyel-Kultur entdeckt. Zu diesen zählt Langenzersdorf, wo zwischen 1955 und 1956 im Ortsteil Burleiten eine unbemalte Figurine, die als Venus von Langenzersdorf bekannt wurde, ans Licht kam. Diese Figur war Österreichs Beitrag zur Weltausstellung in Brüssel 1958 und repräsentiert ein beeindruckendes Beispiel der damaligen Kunst. Bei den Grabungen in Langenzersdorf wurde zudem vielfältiges Siedlungsinventar wie bemalte Keramik, Obsidianklingen, Steinwerkzeuge und Tierknochen entdeckt. Besonders bemerkenswert ist der Fund eines Hundeopfers in Bernhardsthal, das wichtige Einblicke in rituelle Praktiken bietet. Im niederösterreichischen Weinviertel konnte 1979 in Friebritz eine doppelte Kreisgrabenanlage freigelegt werden, während nahe Münchendorf bei den Drei Mahden im Jahr 1995 die Überreste eines Hauses entdeckt wurden. Ein weiteres faszinierendes Artefakt dieser Kultur ist die Venus von Falkenstein, eine 13 cm hohe bemalte Statuette, die etwa aus der Zeit um 4.500 v. Chr. stammt. Gefunden wurde sie im Schanzboden der Burg Falkenstein. Besonders auffällig sind die detaillierten Verzierungen: gelb bemalte Haut, eine Schürze, Behaarung, ein Gürtel sowie ein Anhänger unter der Brust. Der abstrahierte Kopf sitzt auf einem auffallend langen Hals. Seit dem 29. September 2009 ist diese Venusfigur im Museum für Urgeschichte des Landes Niederösterreich in Schloss Asparn ausgestellt. Ähnliche Funde wurden auch in Südmähren gemacht, wie die zwei nahezu identischen Figurinen vom Fundplatz Střelice u Jevišovic, die die stilistische Bandbreite und den künstlerischen Reichtum der Lengyel-Kultur eindrucksvoll belegen.

dna

DNA der Vergangenheit - Populationsgenetik der Lengyel Kultur

Genetische Vielfalt und Migrationen
– wie Haplogruppen das Erbe einer neolithischen Gesellschaft enthüllen

Die populationsgenetischen Untersuchungen der Lengyel-Kultur liefern faszinierende Einblicke in die genetische Zusammensetzung dieser frühneolithischen Gemeinschaft. Studien von Lipson et al. (2017) und Narasimshan et al. (2019) analysierten die DNA von neun Skeletten und identifizierten eine bemerkenswerte Vielfalt an Y-Haplogruppen. Dazu gehörten unter anderem H, H1b1, I-M170, I2-M438, G2a2a1 (M201), J2a (M172), C (M130) und E1b1b1a1b1 (V68). Diese Ergebnisse deuten auf eine breite genetische Diversität hin, die vermutlich durch weitreichende Migrationen und kulturellen Austausch während des Neolithikums beeinflusst wurde. Auch die mütterliche Linie, analysiert durch die mitochondrialen Haplogruppen (mt-Haplogruppen), zeigte eine ähnliche Vielfalt. Die Forscher fanden verschiedene Untergruppen, darunter U, N, T, H, J und W. Diese genetischen Signaturen verbinden die Lengyel-Kultur mit anderen neolithischen und prähistorischen Bevölkerungen Europas, Asiens und möglicherweise sogar Nordafrikas.

Die Präsenz von Haplogruppen wie G2a2a1, die häufig mit frühen Ackerbauern in Verbindung gebracht wird, und I-M170, die mit mesolithischen Jäger-Sammler-Gemeinschaften assoziiert ist, unterstreicht den Übergangscharakter der Lengyel-Kultur zwischen den Lebensweisen der alten Jäger-Sammler und den neuen agrarischen Gesellschaften. Die Identifikation der Haplogruppe E1b1b1a1b1 (V68), die ihren Ursprung wahrscheinlich in Nordafrika hat, deutet zudem auf mögliche Interaktionen oder Migrationen über größere Entfernungen hin. Diese Ergebnisse zeigen nicht nur die genetische Vielfalt innerhalb der Lengyel-Kultur, sondern geben auch wertvolle Hinweise auf ihre Rolle als Schnittstelle für kulturellen und genetischen Austausch im Neolithikum. Die detaillierte Analyse der Haplogruppen ermöglicht es Forschern, die komplexen Netzwerke von Migration und Interaktion in der Jungsteinzeit besser zu verstehen.

Literatur

Literatur zur Lengyel-Kultur

Die wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten und Publikationen
zur Erforschung einer faszinierenden jungsteinzeitlichen Gesellschaft.

  • Alexander Binsteiner: Die Lagerstätten und der Abbau bayerischer Jurahornsteine sowie deren Distribution im Neolithikum Mittel- und Osteuropas (= Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz. Band 52). 2005, 43–155.
  • Internationales Symposium über die Lengyel-Kultur 1888–1988. Znojmo – Kravsko – Těšetice, 3. – 7. Oktober 1988. Masarykova Univerzita, Brünn 1994, ISBN 80-210-0961-6.
  • Hermann MaurerArchäologische Zeugnisse religiöser Vorstellungen und Praktiken der frühen und mittleren Jungsteinzeit in Niederösterreich. In: Idole. Kunst und Kult im Waldviertel vor 7000 Jahren. Ausstellung der Stadt Horn im Höbarthmuseum, 6. Juni bis 2. November 1998, 28. März bis 2. November 1999. Museumsverein in Horn, Horn 1998, S. 23–138.
  • Michael Doneus: Die Keramik der mittelneolithischen Kreisgrabenanlage von Kamegg, Niederösterreich. Ein Beitrag zur Chronologie der Stufe MOG I der Lengyelkultur. Dissertation. Universität Wien. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2001, ISBN 3-7001-3015-5 (Mitteilungen der Prähistorischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 46).
  • Jaroslav Palliardi: Die neolitischen Ansiedlungen mit bemalter Keramik in Mähren und in Niederösterreich. In: Mittheilungen der Praehistorischen Commission der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. 1, 1897, 4, ZDB-ID 221456-8, S. 237–264.
  • Judit Regenye (Hrsg.): Sites and stones. Lengyel culture in Western Hungary and beyond. a Review of the current Research. Veszprém Megyei Múzeum Igazgotóság, Veszprém 2001, ISBN 963-7208-73-9 (Lengyel’99 und IGCP-442 in Veszprém, 11. – 13. Oktober 1999).
  • Hertha Ladenbauer-Orel: Die neolithische Frauenstatuette von Lang-Enzersdorf bei Wien. In: IPEK. 19, 1954–1959, ISSN 0075-0468, S. 7–15.

  • Die Ausgrabungen in Lang-Enzersdorf und die Auffindungen des Idols. In: Rund um den Bisamberg. Ein Heimatbuch. 2, 1961, ZDB-ID 1256030-3, S. 7ff.

  • Gregor-Anatol Bockstefl, Franz Mandl: Die Venus von Langenzersdorf. Begleitschrift zur Ausstellung der Original-Venus im Festsaal der Marktgemeinde Langenzersdorf am 21. September 2008.

  • 900 Jahre Langenzersdorf. Herausgegeben von der Marktgemeinde Langenzersdorf. 2008, S. 149.

  • Franz Karl Schwarzmann (Hrsg.): 900 Jahre Langenzersdorf – Geschichte und Heimatkunde. Mit Beiträgen von Josef Germ und Erich Gusel. 2008, S. 51.

  • Thomas Plath: Zur Problematik der Nutzungsinterpretation mittelneolithischer Kreisgrabenanlagen. Dissertationsschrift, Universität Hamburg, Hamburg 2011 (d-nb.info).

Mittelneolithikum

STECKBRIEF

01

Name

Lengyel-Kultur

02

Alter

Circa 5000–4400 Jahre v. Chr.

03

Regionale Verbreitung

  • Ursprungsgebiete: Südwestslowakei, Westungarn
  • Weiterverbreitung: Ostösterreich, Mähren, Kroatien, Polen (Brześć Kujawski), Bayern (Münchshöfen), Sachsen-Anhalt (Goseck)

04

Charakteristika

  • Keramik:
    • Polychrome, bichrome und unbemalte Phasen
    • Verzierungen ähneln der Danilo- und Butmir-Kultur
    •  
  • Architektur:
    • Siedlungen mit breiten Spitzgräben
    • Kreisgrabenanlagen (z. B. Friebritz, Niederösterreich)
  • Figurinen:
    • Herstellung von Tonfigurinen, darunter die Venus von Langenzersdorf und die Venus von Falkenstein

05

Wichtige Fundorte

  • Ungarn: Lengyel, Alsónyék-Bátaszék, Zengővárkony
  • Slowakei: Lužianky, Výčapy-Opatovce, Svodín
  • Tschechien: Kramolin, Jezeřany-Maršovice, Olomouc
  • Österreich: Langenzersdorf, Bernhardsthal, Münchendorf, Friebritz
  • Polen: Brześć Kujawski

06

Populationsgenetik

  • Y-Haplogruppen: H, H1b1, I-M170, I2-M438, G2a2a1, J2a, C, E1b1b1a1b1
  • mt-Haplogruppen: U, N, T, H, J, W

07

Besonderheiten

  • Intensiver kultureller Austausch mit westlichen, bosnischen und dalmatinischen Regionen
  • Früher Kunststil westlich und nördlich der mittleren Donau
  • Bedeutung als Brücke zwischen Jäger-Sammler-Gesellschaften und agrarischen Kulturen

08

Bedeutende Funde

  • Venus von Langenzersdorf: Unbemalte Figurine, ausgestellt bei der Weltausstellung 1958 in Brüssel
  • Venus von Falkenstein: Bemalte Statuette, ausgestellt im Museum für Urgeschichte, Schloss Asparn

09

Nachfolgekulturen

  • Balaton-Komplex (Westungarn)
  • Jordansmühler-/Jordanów-Kultur (Schlesien, Böhmen, Mähren)

Mittelneolithikum KULTUREN

OBERLAUTERBACHER-GRUPPE
ca. 5.600 – 4.600 v.Chr

Lengyel-Kultur

LENGYEL-KULTUR
ca. 5.000- 4.400 v.Chr

Hinkelstein-Gruppe

HINKELSTEIN-GRUPPE
ca. 5.000 – 4.800 v.Chr

GROßGARTACHER-KUlTUR
ca. 4.900 – 4.700 v.Chr

Stichbandkeramik

STICHBANDKERAMIK
ca. 4.900 – 4.500 v.Chr

Rössener Kultur

RÖSSNER-KULTUR
ca. 4.790 – 4.550 v.Chr

Theiß-Kultur

THEIß-KULTUR
ca. 4.200 – 3.200 v.Chr

Quellenangaben zum Inhalt der Seite

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