Die prähistorische Evolution... Ca. 10.200 bis 8.000 v. Chr.

Mureybet I A

Mureybet (arabisch تل المريبط, DMG Tall al-Muraibiṭ) war einst ein bedeutender prähistorischer Siedlungshügel, gelegen am westlichen Ufer des Euphrat im heutigen Gouvernement ar-Raqqa in Nordsyrien. Der Tell, der eine Schlüsselrolle in der frühen menschlichen Geschichte spielte, wurde zwischen 1964 und 1974 im Rahmen mehrerer Notgrabungen umfassend erforscht. Diese archäologischen Untersuchungen waren von großer Bedeutung, da der Hügel seit der Errichtung des Assad-Stausees vollständig überflutet wurde und somit für nachfolgende Generationen nicht mehr zugänglich ist. Die Ausgrabungen enthüllten, dass Mureybet bereits zwischen etwa 10.200 und 8.000 v. Chr. besiedelt war.

Dieser Zeitraum umfasst einen entscheidenden Moment in der Menschheitsgeschichte: den Übergang von nomadischen Jäger- und Sammlergesellschaften des (Epi-)Paläolithikums hin zu sesshaften bäuerlichen Gemeinschaften des Neolithikums, insbesondere des Präkeramischen Neolithikums B (PPNB). Mureybet ist daher nicht nur eine Siedlung, sondern auch namensgebend für eine weit verbreitete archäologische Kultur des Präkeramischen Neolithikums A (PPNA), die sich durch spezifische Merkmale in Architektur, Lebensweise und Werkzeugen auszeichnet. In den frühen Phasen der Besiedlung von Mureybet handelte es sich um ein kleines Dorf, das von Menschen bewohnt wurde, deren Leben stark von der Jagd und dem Sammeln von Wildpflanzen geprägt war. Diese Menschen begannen allmählich, ihre Umgebung intensiver zu nutzen, indem sie zuerst wilde Getreidesorten ernteten und später begannen, diese systematisch zu kultivieren. Dieser Prozess markierte einen der ersten Schritte in der Entwicklung der Landwirtschaft. In den späteren Phasen der Besiedlung fanden sich Hinweise darauf, dass auch Tiere domestiziert und in die Nahrungsproduktion integriert wurden, was auf einen weiteren Fortschritt in der Entwicklung der menschlichen Zivilisation hinweist. Mureybet, mit seiner reichen archäologischen Geschichte, bietet uns somit einen einzigartigen Einblick in einen der wichtigsten Übergänge in der Geschichte der Menschheit: den Wandel von einer nomadischen Lebensweise hin zu einer sesshaften, landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft.

Ausgrabungen in Mureybet

Von der Entdeckung bis zur Rettung prähistorischer Schätze vor der Überflutung durch den Assad-Stausee

Mureybet

Mureybet wurde erstmals 1964 im Zuge eines Surveys des Oriental Institute der University of Chicago unter der Leitung von Maurits N. van Loon entdeckt. Im selben Jahr führte van Loon eine erste, kleinere Sondage durch, um die Bedeutung des Fundorts zu bewerten. Bereits im darauffolgenden Jahr, 1965, kehrte das Team zurück und führte umfangreichere Ausgrabungen durch, die die wissenschaftliche Bedeutung von Mureybet weiter unterstrichen. Ab 1971 übernahm der renommierte französische Archäologe Jacques Cauvin, unterstützt vom Centre national de la recherche scientifique (CNRS), die Leitung der Ausgrabungen. Diese Arbeiten standen im größeren Zusammenhang von internationalen Notgrabungen, die durch den geplanten Bau der Tabqa-Talsperre dringend erforderlich wurden.

Der Bau der Talsperre und das damit verbundene Aufstauen des Euphrats führten zur Entstehung des Assad-Stausees, dessen Wassermassen schließlich 1976 auch Mureybet vollständig überfluteten. Trotz des Untergangs der Stätte im Assad-Stausee bleibt Mureybet ein zentraler Bezugspunkt in der archäologischen Forschung. Das während der Notgrabungen geborgene Material liefert weiterhin wertvolle Erkenntnisse über die Frühgeschichte der Region. Diese Funde werden heute vor allem im Nationalmuseum von Aleppo sowie im Institut de Préhistoire Orientale in Jalès-Berrias in Frankreich aufbewahrt. Dank dieser bewahrten Relikte können Archäologen und Forscher auch heute noch tief in die Geschichte von Mureybet eintauchen und die kulturellen Entwicklungen dieser frühen Siedlung nachvollziehen.

Tabqa-Talsperre

Die Umgebung von Mureybet

Landschaft und Klima im Wandel: Von der eiszeitlichen Waldsteppe zur modernen Flusslandschaft

Mureybet liegt im heutigen Gouvernement Raqqa in Nordsyrien und befand sich auf einem langgestreckten Kamm, etwa 4 Meter über der Flussterrasse des Euphrat, die westlich des Geländes verlief, bevor das Tal durch den Bau des Assad-Stausees überflutet wurde. Der prähistorische Siedlungshügel, der einst das Zentrum einer bedeutenden Gemeinschaft war, hat einen Durchmesser von etwa 75 Metern und erhebt sich 6 Meter über das umgebende Terrain. Während der Besiedlungszeit von Mureybet, die um 10.200 v. Chr. begann, herrschte ein Klima, das sich deutlich von den heutigen Bedingungen unterschied. Die Region erlebte zu dieser Zeit kühlere und feuchtere Wetterverhältnisse, beeinflusst durch das Jüngere Dryas, ein globales Klimaereignis, das für seine raschen Temperaturabfälle bekannt ist. In dieser Phase stieg der jährliche Niederschlag von etwa 230 Millimetern, die während der Natufien-Kultur verzeichnet wurden, auf etwa 280 Millimeter an, als Mureybet besiedelt war. Die Umwelt in der Umgebung von Mureybet war von einer offenen Waldsteppe geprägt, die eine vielfältige Flora beherbergte. Dazu gehörten Baumarten wie Terebinthen, Mandelbäume sowie verschiedene wilde Getreidesorten, die später in der Region eine bedeutende Rolle in der frühen Landwirtschaft spielen sollten. Diese Vegetation bot den frühen Bewohnern eine reiche Grundlage für ihre jagd- und sammelorientierte Lebensweise und legte den Grundstein für die spätere Entwicklung sesshafter, agrarischer Gesellschaften.

Mureybet Ausgrabung

Materialkultur von Mureybet

Lithische Werkzeuge, persönliche Ornamente und architektonische Entwicklungen durch die Jahrtausende

Die Ausgrabungen in Mureybet brachten eine beeindruckende Vielfalt an lithischem Material ans Licht, das einen tiefen Einblick in die handwerklichen Fähigkeiten und technologischen Entwicklungen der prähistorischen Bewohner dieser Siedlung bietet. Flint dominierte als Hauptrohstoff für die Werkzeugherstellung und wurde vorwiegend aus nahegelegenen Quellen bezogen, was auf eine enge Verbindung der Bewohner mit ihrer Umgebung hinweist. Im Vergleich dazu war Obsidian deutlich seltener, möglicherweise aufgrund seiner begrenzten Verfügbarkeit oder spezifischen Handelsbeziehungen. In der Natufian-Kultur, einer der frühesten Besiedlungsphasen Mureybets, umfasste das Repertoire an Werkzeugen eine Vielzahl von Formen und Funktionen. Dazu gehörten Spitzen, Burins, Schaber, Bohrer sowie Herminetten, letztere wurden hauptsächlich zur Holzbearbeitung eingesetzt. Diese Werkzeuge spiegeln die vielseitigen Tätigkeiten der damaligen Jäger- und Sammlergruppen wider. Mit dem Beginn der Khiamian-Zeit machten sich technologische Fortschritte bemerkbar, die Einführung von Feuersteinpfeilspitzen stellt ein charakteristisches Merkmal dieser Phase dar. Darüber hinaus wurden auch weiterhin, Endkratzer und Bohrer verwendet, jedoch in angepasster FormIn der mureybetischen Periode entwickelte sich die Lithik-Technologie weiter. Zu den charakteristischen Werkzeugen dieser Zeit zählten Mureybet-Pfeilspitzen, Schaber und Mülleimer, während Bohrer seltener vorkamen. Als die Siedlung in die PPNB-Phase (Präkeramisches Neolithikum B) eintrat, wurden die bisherigen Pfeilspitzen allmählich durch die fortschrittlicheren Byblos-Pfeilspitzen ersetzt. Diese Phase brachte auch andere technologische Neuerungen mit sich, die die Effizienz und Vielfalt der Werkzeuge weiter steigerten. 

Neben den lithischen Funden wurden in Mureybet auch andere Artefaktkategorien, wenn auch in geringerer Anzahl, entdeckt. Persönliche Ornamente, die aus der Natufien-Zeit stammen, bestanden aus durchbohrten Muscheln sowie kleinen Scheiben aus Stein und Muscheln. Knochenwerkzeuge waren rar, doch einige wenige wurden identifiziert, darunter Werkzeuge, die zur Lederbearbeitung und Holzbearbeitung genutzt wurden. Während des Khiamian wurden aus Knochen Nadeln, Ahlen und Axtscheiden gefertigt.   Perlen aus dieser Zeit wurden aus Stein, Süßwassermuscheln und Knochen hergestellt. Besonders bemerkenswert sind drei Figuren aus dieser Phase, von denen eine eindeutig anthropomorphe Züge aufweist. Die Knochenwerkzeug-Assemblage aus der mureybetischen Periode zeigt starke Ähnlichkeiten zu ihrem Vorgänger aus dem Khiamian, was auf eine Kontinuität in der handwerklichen Tradition hindeutet. Hinweise auf die Verwendung von Körben in Mureybet stammen aus der Analyse von Gebrauchsspuren an Feuerstein- und Knochenwerkzeugen. Darüber hinaus wurden weitere Artefakte wie Kalksteingefäße, Steinquerne, Perlen, Anhänger – darunter ein bemerkenswertes Exemplar aus Elfenbein – sowie acht anthropomorphe Figuren aus Kalkstein und gebrannter Erde entdeckt. Sieben dieser Figuren konnten eindeutig als Darstellungen von Frauen identifiziert werden, was möglicherweise auf deren besondere symbolische oder kulturelle Bedeutung hindeutet.

Siedlungsgeschichte von Mureybet

Von den frühen Natufian-Jägern bis zur neolithischen Agrargesellschaft:
Eine chronologische Reise durch die vier Besiedlungsphasen

Die Siedlungsgeschichte von Mureybet lässt sich in vier markante Besiedlungsphasen unterteilen, die sich vom Natufien bis in das mittlere Präkeramische Neolithikum B (PPNB) erstrecken. Jede dieser Phasen spiegelt die allmähliche Entwicklung der Gemeinschaften wider, die in dieser Region lebten, und zeigt die fortschreitende Neolithisierung.

Modell eines Hauses um 8.500 v.Chr

Phase Ia (ca. 10.200 bis 9.700 v. Chr.)

Diese Phase wird dem Natufien zugerechnet und zeigt die frühesten Anzeichen menschlicher Besiedlung in Mureybet. In dieser Phase waren die archäologischen Funde auf einfache Herdstellen und Kochgruben beschränkt, die darauf hinweisen, dass die Bewohner hauptsächlich von der Jagd und dem Sammeln lebten. Gazellen und Wildpferde standen dabei ebenso auf dem Speiseplan wie die Wildformen von Gerste und Roggen. Erste Funde von Sichelklingen und Mahlsteinen deuten jedoch bereits auf beginnende neolithische Praktiken hin, die später zur Landwirtschaft führen sollten.

Phasen Ib – IIb (ca. 9700 bis 9300 v. Chr.)

Diese Phase gehört zum Khiamien und stellt eine bedeutende Entwicklungsstufe dar. Archäologische Funde aus dieser Phase sind besonders wertvoll, da ähnliche Architekturbeispiele aus anderen Khiamien-Stätten bisher fehlen. In Phase Ib wurde ein eingetieftes, rundes Gebäude mit einem Durchmesser von etwa sechs Metern entdeckt. Diese Struktur ist eines der frühesten Beispiele für dauerhafte Behausungen in Mureybet. In den folgenden Phasen entstanden weitere kleine Häuser, was auf eine zunehmende Sesshaftigkeit der Bevölkerung hindeutet.      

Phase III (ca. 9300 bis 8600 v. Chr.)

Die Phase  III wird den Mureybetien zugeordnet, markiert eine Zeit der architektonischen und sozialen Diversifizierung. In dieser Phase wurden neben den traditionellen Rundbauten auch rechteckige, mehrräumige Gebäude errichtet, was auf eine Weiterentwicklung der Bauweise und möglicherweise eine differenziertere soziale Struktur hindeutet. Während in den vorherigen Phasen vor allem Stampflehm als Baumaterial verwendet wurde, bestand die Architektur nun aus kleinen Steinen, was den Bau stabilerer und langlebigerer Strukturen ermöglichte. Zudem wurden größere, eingetiefte Bauten gefunden, die denen aus der zeitgleichen Siedlung Jerf el Ahmar ähneln. In dieser Phase gibt es auch erste Belege für gezielte kultivatorische Eingriffe, sowohl bei Getreide als auch bei Tieren, was auf die beginnende Domestizierung hinweist.

Phase IV (ca. 8600 bis 8000 v. Chr.)

Diese Phase repräsentiert die letzte Phase der Besiedlung und gehört bereits in das PPNB. Diese Phase wird weiter in IVa und IVb unterteilt. Während in Phase IVa nur wenige Funde gemacht wurden, zeigt sich in Phase IVb eine deutliche Entwicklung hin zu einer vollständig neolithischen Gesellschaft. Die Gebäude dieser Zeit wurden aus Lehm errichtet, und es gibt klare Belege für die Nutzung domestizierter Tier- und Getreidearten. Diese Phase kennzeichnet den Übergang zu einer agrarischen Lebensweise, die für das Neolithikum charakteristisch ist und die Grundlage für die weitere Entwicklung der menschlichen Zivilisation in dieser Region legte.

 

NEOLITHIKUM

STECKBRIEF

01

Name

Mureybet (arabisch: تل المريبط, DMG Tall al-Muraibiṭ)

02

Besiedlungszeitraum

Ca. 10.200 bis 8.000 v. Chr.

03

Lage

Westliches Ufer des Euphrat im heutigen Gouvernement ar-Raqqa, Nordsyrien

04

Entdeckung

1964 durch Maurits N. van Loon im Rahmen eines Surveys des Oriental Institute der University of Chicago

05

Ausgrabungen

  • Erste Sondagen 1964 und 1965 durch Maurits N. van Loon
  • Umfangreichere Ausgrabungen zwischen 1971 und 1974 unter der Leitung von Jacques Cauvin mit Unterstützung des Centre national de la recherche scientifique (CNRS)
  •   Notgrabungen im Kontext des Baus der Tabqa-Talsperre

06

Überflutung

  • 1976 durch den Assad-Stausee

07

Besiedlungsphasen

  1. Phase Ia (ca. 10.200 – 9.700 v. Chr.):** Natufien, erste Siedlungsspuren (Herdstellen, Kochgruben)
  2. Phasen Ib – IIb (ca. 9.700 – 9.300 v. Chr.):** Khiamien, erste runde und eingetiefte Gebäude
  3. Phase III (ca. 9.300 – 8.600 v. Chr.):** Mureybetien, Diversifizierung der Architektur, erste rechteckige Gebäude
  4. Phase IV (ca. 8.600 – 8.000 v. Chr.):** PPNB, Lehmgebäude, Nutzung domestizierter Tiere und Pflanzen

08

Archäologische Bedeutung

  • Übergang von Jäger- und Sammlergesellschaften zu sesshaften bäuerlichen Gemeinschaften
  • Entwicklung und Diversifizierung der Architektur
  • Früheste Hinweise auf Neolithisierung (Domestizierung von Tieren und Pflanzen)

09

Wichtige Funde

  • Lithisches Material (Feuersteinwerkzeuge, Pfeilspitzen)
  • Persönliche Ornamente (durchbohrte Muscheln, Stein- und Muschelscheiben)
  • Knochenwerkzeuge (Nadeln, Ahlen, Axtscheiden)
  • Kalkstein- und Elfenbeinfiguren, darunter anthropomorphe Darstellungen

10

Erhaltungsort der Funde

  • Nationalmuseum von Aleppo
  • Syrien und Institut de Préhistoire Orientale in Jalès-Berrias, Frankreich

Proto-Neolithikum KULTUREN/ INDUSTRIEN

NATUFIEN
ca. 12.000 – 9.500 v.Chr

SULTANIEN
ca. 9.500 – 8.500 v.Chr

KHIAMIEN
ca. 10.000– 9.500 v.Chr

Proto-Neolithikum Wichtige Fundorte

JERICHO
ca. 11.000 v.Chr 

MUREYBET I A
ca. 10.200 – 8.000 v.Chr 

EL KHIAM
ca. 9.750 – 9.550 v.Chr 

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