Die prähistorische Evolution... ca. 5500 bis 3500 v.Chr.
Obed-Kultur
OBED-Zeit
Die Obed-Zeit, auch als Obed-Horizont oder im Englischen Ubaid culture bezeichnet, markiert eine bedeutende archäologische Periode im späten Chalkolithikum (Kupfersteinzeit) Mesopotamiens. Diese Epoche, die ihren Namen von der charakteristischen Obed-Kultur erhielt, erstreckte sich über einen Zeitraum von etwa 5500 bis 3500 v. Chr. Während dieser Ära entwickelte sich die Region zu einem kulturellen und technologischen Zentrum, das die Grundlage für spätere Zivilisationen des Alten Orients legte.
Ihren Namen verdankt die Obed-Zeit dem Fundort Tell el-Obed, einem bedeutenden Siedlungshügel (Tell) im Herzen Mesopotamiens. Dieser Ort spielte eine zentrale Rolle bei der Erforschung der gleichnamigen Kultur und lieferte wertvolle Einblicke in das Leben und die Entwicklungen jener Zeit. Die Überreste von Tell el-Obed dokumentieren eindrucksvoll die frühe Sesshaftigkeit und die kulturellen Errungenschaften in dieser Region.
Die Chronologie der Obed-Kultur im Überblick
Anfangs wurde die Obed-Keramik ausschließlich im Süden Babyloniens produziert. Im Laufe der Zeit verbreitete sich diese Technologie jedoch über weite Teile Vorderasiens, einschließlich Kilikien (Mersin), Syrien und bis nach Ostanatolien. Diese weiträumige Diffusion zeugt von den kulturellen und technologischen Kontakten der Obed-Gesellschaft.
Einteilung in Perioden
Die Obed-Kultur wird basierend auf den stilistischen Merkmalen der Keramik in verschiedene Perioden unterteilt:
- Eridu-Keramik: etwa 5500 v. Chr.
- Obed I: etwa 5300 v. Chr.
- Obed II: etwa 4800 v. Chr.
- Obed III: etwa 4400 v. Chr.
- Obed IV: etwa 3900 v. Chr.
In der archäologischen Forschung unterscheidet man zudem zwischen der frühen Obeid-Zeit (ca. 4550–4100/4000 v. Chr.) und der späten Obeid-Zeit (ca. 4100/4000–3500 v. Chr.). Mit dem Ende der Obed-Zeit um 3500 v. Chr. beginnt die älteste Stufe der Urukperiode. Dieser Übergang markiert den Beginn einer neuen kulturellen und technologischen Ära, die schließlich zur Entstehung der ersten Städte und Schrift in Mesopotamien führen sollte.
Die Siedlungen der Obed-Zeit
Von Mittelsaalhäusern und Handelszentren
Während der Obed-Periode erlebte Mittelmesopotamien eine neue Phase der landwirtschaftlichen Entwicklung, die durch die Nutzung künstlicher Bewässerung geprägt war. Diese innovative Methode ermöglichte es den Menschen, größere Flächen zu bewirtschaften und die Nahrungsmittelproduktion zu steigern. Zu den wichtigsten Siedlungen dieser Zeit zählen Eridu, die vermutlich älteste Stadt Mesopotamiens, Ur, später berühmt als Zentrum der sumerischen Kultur, und das namensgebende Tell el-Obed. Diese Orte boten nicht nur Einblicke in die Architektur und das alltägliche Leben der Obed-Kultur, sondern zeigten auch frühe Formen von Urbanität.
Neue Bauweise - Das Mittelsaalhaus
In dieser Zeit tauchte erstmals das sogenannte Mittelsaalhaus auf, eine neuartige Bauform mit einem zentralen Raum, der als Hauptbereich des Hauses diente. Dieser Raum fungierte als funktionales Zentrum und ermöglichte den Zugang zu den angrenzenden Nebenräumen. Diese Architektur weist auf eine fortschrittliche Organisation des Wohnraums hin und könnte auf sich verändernde soziale Strukturen hindeuten.
Spuren des Handels
Archäologische Funde aus as-Sabiyah in Kuwait liefern spannende Hinweise auf maritime Aktivitäten. Hier entdeckten Forscher mehr als 7000 Jahre alte Fragmente von Bitumen, die vermutlich als Dichtmaterial für Schiffe dienten. Die Lage des neolithischen Dorfes am Rand einer Lagune lässt vermuten, dass es eine Anlegestelle für mesopotamische Händler gab. Die weite Verbreitung von Obed-Keramik, die entlang der arabischen Halbinsel bis nach Bahrain und Katar sowie auf die andere Seite des Persischen Golfs gefunden wurde, deutet darauf hin, dass der Seehandel eine zentrale Rolle spielte. Statt über Landwege wurden viele Waren offenbar über das Meer transportiert, was auf eine gut entwickelte maritime Infrastruktur und Handelsnetzwerke hinweist.
Die Sozialstruktur der Obed-Zeit
Hierarchie und Gemeinschaft
Die Obed-Periode markiert einen Wendepunkt in der gesellschaftlichen Organisation Mesopotamiens. In dieser Zeit treten erstmals deutliche Anzeichen für soziale Differenzierung auf, die sich in den unterschiedlichen Bauformen widerspiegeln. Wohnhäuser und Gebäude weisen Variationen auf, die auf Statusunterschiede innerhalb der Gesellschaft hinweisen. Neben den Wohnstrukturen fanden Archäologen zentrale Gemeinschaftsbauten, die offenbar nicht für religiöse Zwecke, sondern für weltliche oder administrative Funktionen genutzt wurden. Besonders aufschlussreich sind die Funde aus Tell Abada, einer vollständig ausgegrabenen Siedlung. Hier deutet vieles darauf hin, dass sich bereits eine politische und/oder religiöse Elite herausgebildet hatte. Diese frühe Form der Hierarchisierung könnte den Grundstein für die späteren komplexen Gesellschaften Mesopotamiens gelegt haben.
Überregionale Zentren
Zum ersten Mal in der Region scheinen sich überregionale Zentren gebildet zu haben. Ein bemerkenswertes Beispiel ist Tepe Gaura, wo drei große Zentralbauten entdeckt wurden. Aufgrund ihrer imposanten Größe und Funktion war es unwahrscheinlich, dass diese Bauwerke ausschließlich der örtlichen Bevölkerung dienten. Vielmehr könnte Tepe Gaura ein kultisches oder administratives Zentrum für die umliegenden Siedlungen gewesen sein. Einen klareren Befund liefert die Region Susiana. Hier identifizierten Archäologen ein überregionales kultisches Zentrum in der Stadt Susa, das sich durch das Fehlen vergleichbarer Bauten in kleineren Siedlungen der Region deutlich abhebt. Die systematische Untersuchung eines größeren Areals ermöglicht es, Susa mit hoher Wahrscheinlichkeit als das zentrale Heiligtum der Umgebung zu bestimmen. Obwohl diese Funde spannende Einblicke in die Sozialstruktur der Obed-Kultur bieten, bleibt der Gesamtbefund aufgrund fehlender weiterer Nachweise lückenhaft. Insbesondere die Überreste potenzieller Kultbauten in anderen Regionen sind oft spärlich oder fehlen ganz, was die Interpretation erschwert. Dennoch deuten die vorhandenen Hinweise auf eine zunehmende Zentralisierung und die Entwicklung einer hierarchischen Gesellschaft hin, die einen wichtigen Schritt in Richtung komplexer städtischer Kulturen darstellt.
Die Wirtschaft der Obed-Zeit
Innovation und Kontrolle
In der Obed-Zeit entwickelten sich erste Kontrollmechanismen, die auf eine organisierte und regulierte Wirtschaft hindeuten. Besonders aussagekräftig sind die Funde von Zählmarken und Stempelsiegeln, die in einer beeindruckenden Vielfalt an Mustern entdeckt wurden. Diese Artefakte, oft in Verbindung mit kleinen Terrakottafiguren von Menschen und Tieren gefunden, dienten vermutlich zur Verwaltung von Waren und zur Sicherstellung von Eigentumsansprüchen. Sie gelten als Vorläufer der späteren mesopotamischen Schrift- und Verwaltungssysteme. Die Landwirtschaft bildete das wirtschaftliche Rückgrat der Obed-Kultur. Archäologische Nachweise belegen die gezielte Anlage von Bewässerungskanälen, die die Nutzung größerer Flächen für den Anbau ermöglichten. Obwohl diese Systeme bereits eine hohe Ingenieurskunst verraten, wurde der Regenfeldbau weiterhin genutzt, um die landwirtschaftliche Produktion zu ergänzen. Diese Kombination von Techniken sicherte die Versorgung der wachsenden Bevölkerung und legte den Grundstein für die wirtschaftliche Stabilität der Region.
Die Einführung solcher innovativer Technologien und Verwaltungspraktiken deutet auf eine zunehmende Komplexität der Wirtschaft hin. Die Verwendung von Zählmarken und Siegeln spiegelt nicht nur die Kontrolle über landwirtschaftliche Überschüsse wider, sondern auch den Handel und die Ressourcenverteilung innerhalb der Gemeinschaft. Diese frühen Ansätze zur Organisation und Regulierung von wirtschaftlichen Aktivitäten ebneten den Weg für die späteren städtischen Wirtschaftssysteme Mesopotamiens.
Ausbreitung der Obed-Kultur
Kultureller Austausch und parallele Entwicklung
Die weitreichende Verbreitung der Obed-Kultur hebt sie deutlich von ihren Vorgängern ab, doch die Gründe dafür sind bis heute Gegenstand kontroverser Diskussionen. Lange Zeit ging man davon aus, dass die Träger der Obed-Kultur durch Migration ihre Lebensweise und Technologien in verschiedene Regionen Mesopotamiens und darüber hinaus brachten. Dieser Ansatz erklärt die weite geografische Verbreitung mit einer aktiven Wanderungsbewegung, bei der die Kultur von Ort zu Ort weitergetragen wurde. Aktuelle Theorien bevorzugen jedoch ein anderes Bild. Sie legen nahe, dass die weite Verbreitung eher durch einen intensiven kulturellen Austausch als durch Wanderungsbewegungen zu erklären ist. Unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in Mesopotamien und den umliegenden Regionen könnten unabhängig voneinander, aber nicht isoliert ähnliche sozio-ökonomische Strukturen entwickelt haben. Diese parallelen Entwicklungen könnten durch gemeinsame Umweltbedingungen, Handelskontakte und die Weitergabe technologischer Innovationen, wie die Bewässerungslandwirtschaft oder die Herstellung von Keramik, begünstigt worden sein. Statt einer dominierenden Gruppe, die ihre Kultur verbreitete, scheint ein komplexes Netz von Interaktionen und gegenseitiger Beeinflussung verantwortlich zu sein. Die Obed-Kultur spiegelt möglicherweise weniger eine einzelne Bewegung wider als vielmehr die Dynamik einer interagierenden Welt, in der Ideen und Technologien über große Entfernungen hinweg geteilt und angepasst wurden. Diese Theorie betont die Rolle des Handels, der Kommunikation und der regionalen Anpassung bei der Verbreitung kultureller Innovationen.
Gleichzeitige Kulturen der Obed-Zeit
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Während die Obed-Kultur Mesopotamien prägte, verlief die Entwicklung in anderen Regionen Vorderasiens, wie dem iranischen Hochland, in einigen Aspekten parallel. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Kultur von Tall-i Bakun, die Ähnlichkeiten, aber auch deutliche Unterschiede zur Obed-Kultur aufweist.
Keramik:
Gemeinsamkeiten
In Tall-i Bakun wurde wie in Mesopotamien Keramik bemalt, allerdings mit einem besonderen Schwerpunkt auf figürlichen Mustern, die sich von den eher geometrischen Dekoren der Obed-Kultur unterschieden. Diese regionalen Eigenheiten zeigen, dass sich ähnliche Technologien und künstlerische Ansätze entwickelten, jedoch stets an lokale Traditionen und Bedürfnisse angepasst wurden.
Architektur:
Fehlende Parallelen
Im Gegensatz zur Obed-Kultur, in der das Mittelsaalhaus eine zentrale Rolle spielte, fehlen im iranischen Hochland Belege für diese Bauweise. Die Architektur Tall-i Bakuns scheint andere Prioritäten und Strukturen verfolgt zu haben, was auf regionale Unterschiede in der sozialen Organisation oder den verfügbaren Ressourcen hinweisen könnte.
Verbindungen zwischen Mesopotamien und dem Iran
Die Obed-Zeit markiert möglicherweise den Beginn der traditionellen Verbindung zwischen Mesopotamien und dem Iran, die in späteren Epochen immer wieder eine zentrale Rolle spielte. Diese Beziehung zeichnete sich durch einen regen Austausch kultureller Ideen und Technologien aus, wobei beide Regionen dennoch ihre Eigenständigkeit bewahrten. Die parallelen Entwicklungen und kulturellen Verbindungen zwischen Mesopotamien und dem Iran in der Obed-Zeit verdeutlichen die Komplexität und Vielfalt der damaligen Gesellschaften. Sie zeigen, wie unterschiedliche Kulturen miteinander interagieren und voneinander lernen konnten, während sie dennoch ihre individuellen Merkmale bewahrten.
Kupfersteinzeit
STECKBRIEF
01
Name
Obed-Kultur-Zeit
02
Alter
Ca. 5500–3500 v. Chr.
03
Region
Mesopotamien (vorrangig Süd-Babylonien) mit Ausbreitung über Vorderasien bis nach Kilikien, Syrien und Ostanatolien.
04
Namensgebung
Benannt nach dem Fundort Tell el-Obed, einem Siedlungshügel in der Nähe von Ur.
05
Wichtige Merkmale
- Keramik:
Bemalte Gefäße mit geometrischen Mustern aus dunklen, umlaufenden Bändern. Später vereinfachte Dekorationen. Hinweise auf die Nutzung einer drehbaren Arbeitsplatte (Tournette). - Architektur:
Erstes Auftreten des Mittelsaalhauses mit zentralem Raum als funktionalem Zentrum. - Landwirtschaft:
Künstliche Bewässerung durch Kanäle und ergänzender Regenfeldbau. - Handel:
Weitreichender Austausch, vermutlich auch über maritime Handelswege. Keramikfunde entlang der arabischen Halbinsel und am Persischen Golf.
06
Gesellschaft
- Sozialstruktur:
Erste Hinweise auf Statusunterschiede und eine sich entwickelnde politische/religiöse Elite. - Zentralbauten:
Große Bauwerke wie in Tepe Gaura (möglicherweise Tempel), die überregionale Bedeutung hatten. - Kontrollmechanismen:
Verwendung von Zählmarken und Stempelsiegeln zur Verwaltung von Gütern.
07
Kulturelle Verbindungen
- Iranisches Hochland:
Parallele Entwicklungen wie bemalte Keramik (figürlichere Muster), aber keine Nachweise für das Mittelsaalhaus. - Traditionelle Verbindung:
Beginn des kulturellen Austauschs zwischen Mesopotamien und dem Iran, der über Jahrhunderte Bestand hatte.v
08
Bedeutung
Die Obed-Kultur gilt als wichtiger Vorläufer der späteren mesopotamischen Hochkulturen. Sie legte die Grundlagen für wirtschaftliche, soziale und technologische Entwicklungen, die in der Uruk-Zeit weitergeführt wurden.