Die prähistorische Evolution... ca. 6000 und 5400 v.Chr.
Starčevo-Kultur
Die Starčevo-Kultur, eine frühneolithische Zivilisation, lässt sich auf den Zeitraum zwischen etwa 6000 und 5400 v. Chr. datieren. Ihren Namen verdankt sie der bedeutenden Fundstätte Starčevo, die in der Nähe von Pančevo in Serbien liegt. Diese Kultur erstreckte sich über ein weites Gebiet, das Südwestungarn, Serbien, Nordkroatien, Nordmazedonien sowie Teile Bosniens umfasste. Sie bildet zusammen mit der Körös-Kultur in Ostungarn und der Criș-Kultur in Rumänien den Beginn der Neolithisierung in Südosteuropa. Vor 6000 v. Chr. präsentierten sich diese Kulturen noch relativ homogen, bevor sich nach dieser Zeit eine deutliche stilistische Differenzierung abzeichnete. Diese Entwicklung führte letztendlich zur Herausbildung des sogenannten Starčevo-Körös-Criș-Komplexes.
Besonders auffällig sind die Veränderungen im Keramikstil, die als charakteristisches Merkmal dieser Differenzierung gelten. Die Starčevo-Kultur ist somit nicht nur ein Schlüssel zur frühen Landwirtschaft und Sesshaftigkeit in der Region, sondern auch ein Beispiel für die zunehmende kulturelle Vielfalt im Neolithikum. Bereits 1949 unterteilte der Archäologe V. Milojčić diese Kultur in vier Phasen (Stufen I–IV), um ihre Entwicklung und die Veränderungen innerhalb ihrer Ausprägungen besser zu analysieren. Diese Klassifikation bleibt bis heute ein zentraler Bezugspunkt in der Erforschung dieser frühen Epoche.
Die Fundgeschichte der
Starčevo-Kultur
dokumentierte und bedeutende Fundorte
Das wissenschaftliche Interesse an der Ortschaft Starčevo...
Das wissenschaftliche Interesse an der Ortschaft Starčevo begann im Jahr 1912, als beim Tonabbau für eine Ziegelei archäologische Funde zutage traten. Diese zufällige Entdeckung markierte den Anfang der Erforschung einer der bedeutendsten Kulturen des Frühneolithikums in Südosteuropa. Erst im Jahr 1928 wurden gezielte und systematische Untersuchungen eingeleitet, die den Weg für weitere Forschungen ebneten. Die Starčevo-Kultur erhielt ihren Namen durch Ausgrabungen, die zwischen 1931 und 1932 am Fundort Starčevo-Grad, etwa acht Kilometer südöstlich von Belgrad, durchgeführt wurden. Diese Arbeiten wurden von einer internationalen Kooperation renommierter Institutionen organisiert, darunter das University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology (Philadelphia), das Peabody Museum of Archaeology and Ethnology sowie das Fogg Art Museum der Harvard University und die American School of Prehistoric Research. Geleitet wurden die Untersuchungen von den Archäologen Vladimir J. Fewkes (1901–1941), Robert W. Ehrich (1908–1990) und Miodrag Grbić (1901–1969).
Ein weiterer Meilenstein folgte 1969 bis 1970, als Drage Garašanin von der New York City University zusätzliche Grabungen leitete, um die bisherigen Erkenntnisse zu erweitern. Neben Starčevo-Grad wurden weitere bedeutende Fundorte der Kultur entdeckt, darunter die Siedlungen von Divostin, Donja Branjevina, Obre I und Vinkovci. Diese Stätten bieten einen tiefen Einblick in die Lebensweise, Technologie und Kunstfertigkeit der frühen neolithischen Gemeinschaften, die in dieser Region Europas lebten. Durch die kontinuierlichen Bemühungen mehrerer Generationen von Archäologen wurde die Starčevo-Kultur nicht nur besser verstanden, sondern auch zu einem Symbol für die ersten Anfänge der Sesshaftigkeit und Landwirtschaft in Südosteuropa.
Lebensweise der Starčevo-Kultur
Übergang von einer Jäger- und Sammlergesellschaft
Die Lebensweise der Starčevo-Kultur spiegelt den Übergang von einer Jäger- und Sammlergesellschaft hin zu einer sesshaften bäuerlichen Existenz wider, wie sie im frühen Neolithikum in Europa charakteristisch wurde. Forscher wie Holm und andere gehen davon aus, dass die Nordausbreitung dieser landwirtschaftlichen Lebensweise maßgeblich durch das Klimaoptimum des Atlantikums begünstigt wurde. Während dieser Periode herrschten deutlich höhere Temperaturen als heute, was ideale Bedingungen für Ackerbau und Viehzucht schuf. Mit dem Aufkommen des Starčevo-Körös-Criș-Komplexes lassen sich im transdanubischen Raum erstmals klare Spuren von Landwirtschaft und Tierhaltung nachweisen. Die Menschen dieser Kultur domestizierten Tiere wie Schafe, Ziegen, Rinder, Schweine und Hunde. Gleichzeitig bauten sie eine Vielzahl von Nutzpflanzen an, darunter Emmer, Einkorn, Weizen, Linsen und Erbsen. Diese Mischung aus Viehzucht und Pflanzenanbau bildete die Grundlage ihrer Ernährung und Lebensweise. Trotz der zunehmenden Bedeutung der Landwirtschaft spielte die Jagd weiterhin eine wichtige Rolle. Wildtiere ergänzten die Ernährung der frühen Bauern und trugen zur Vielfalt in der Nahrung bei. Dieser duale Ansatz zeigt, dass die Menschen der Starčevo-Kultur sich die Ressourcen ihrer Umgebung geschickt zunutze machten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern und die Herausforderungen ihrer Zeit zu meistern. Die Starčevo-Kultur steht somit exemplarisch für den Beginn einer neuen Ära, in der Landwirtschaft und Viehzucht die Basis für die Entwicklung komplexerer Gesellschaften legten.
Verwandte Kulturen der Starčevo-Kultur
In enger Verbindung mit mehreren zeitgleichen und regional nahen Kulturen des Frühneolithikums
Die Starčevo-Kultur steht in enger Verbindung mit mehreren zeitgleichen und regional nahen Kulturen des Frühneolithikums. Besonders die makedonischen Gruppen Anzabegovo-Vršnik sowie Veluška Tumba-Porodin weisen zahlreiche Ähnlichkeiten auf, die auf kulturelle und möglicherweise auch soziale Interaktionen hinweisen. Darüber hinaus lassen sich Verbindungen zum bulgarischen Frühneolithikum erkennen, insbesondere in der Architektur. Die Bauformen von Wohnhäusern zeigen auffällige Parallelen, die auf gemeinsame oder sich beeinflussende Bauweisen schließen lassen. Ein markanter Unterschied zeigt sich jedoch in der Keramik. Während die Starčevo-Kultur in ihrer Spätphase überwiegend organisch gemagerte, seltener bemalte Keramik hervorbrachte, entwickelten sich in anderen Regionen teils andere dekorative Stile. Diese Variationen in der Keramikproduktion verdeutlichen die regionale Differenzierung innerhalb des neolithischen Netzwerks. Die Starčevo-Kultur gilt zudem als direkter Vorläufer der Linienbandkeramik (LBK), die sich später über weite Teile Mitteleuropas ausbreitete. Diese Verbindung zeigt den bedeutenden Einfluss, den die Starčevo-Kultur auf die Entwicklung der ersten Ackerbaukulturen in Europa hatte. Ihr Erbe spiegelt sich sowohl in den materiellen Hinterlassenschaften als auch in den landwirtschaftlichen und sozialen Innovationen wider, die die Grundlage für die neolithische Expansion bildeten.
Siedlungswesen der Starčevo-Kultur
Stark von der geografischen Lage abhängig
Die Siedlungsstruktur der Starčevo-Kultur war stark von der geografischen Lage abhängig und zeigt eine bemerkenswerte Vielfalt. Im südöstlichen Teil ihres Verbreitungsgebiets, etwa in Nordmazedonien und Serbien, dominierten Tellsiedlungen – künstliche Hügel, die durch die wiederholte Bebauung derselben Fläche entstanden. Im westlichen Bereich, vor allem in Transdanubien, waren hingegen offene Flachsiedlungen typisch. Der Forschungsstand zu den Siedlungen im ehemaligen Jugoslawien ist lückenhaft, weshalb nur wenige Hausgrundrisse dieser Kultur bekannt sind. Die bisher entdeckten Bauten sind klein und bestehen aus einfachen Materialien. Die Wände wurden aus Pfosten errichtet, die mit einem Geflecht aus Zweigen und anschließend mit Lehm verputzt wurden. Die Böden waren entweder aus Stampflehm, flachen Kieseln oder mit Lehm bedeckten Holzbohlen gefertigt. In einigen Fällen gibt es Hinweise auf sogenannte Halbgrubenhäuser, also leicht eingetiefte Wohnbauten, die zusätzlichen Schutz vor Witterung boten. Die Häuser der Starčevo-Schichten in Lepenski Vir, einer berühmten Siedlung an der Donau, wiesen hingegen trapezförmige Grundrisse und Steinfußböden auf.
Sie waren in geraden Reihen angeordnet, was auf eine geplante Struktur hinweist. In Amzabegovo wurden Häuser mit Steinfundamenten gebaut, bei denen Lehmziegel und Stampflehm verwendet wurden – eine Technik, die Naumov (2013) auf Einflüsse aus Nordgriechenland zurückführt. Die Häuser in Veluška Tumba zeichneten sich durch ihre Länge von bis zu 11–12 Metern aus, wenngleich die meisten Bauten deutlich kleiner waren. Aus den Fundorten Veluška Tumba, Porodin und Dobromiri stammen Tonmodelle, die als Miniaturen von Häusern interpretiert werden. Diese Modelle deuten darauf hin, dass die Dächer der Häuser meist First- oder Spitzdächer waren, vermutlich aus Stroh, das mit Seilen befestigt wurde. Andere Funde, etwa Idole aus Majdari und Govrlevo, könnten Hinweise auf Flachdächer liefern, falls sie tatsächlich als Hausmodelle anzusehen sind. Ein Tonmodell aus Topolčani könnte zudem eine Tür darstellen, was Einblicke in die Architektur und das Design der damaligen Zeit bietet. Diese Erkenntnisse illustrieren die Anpassungsfähigkeit der Starčevo-Kultur an unterschiedliche Umweltbedingungen und zeigen, wie ihre Siedlungsweisen sowohl praktische als auch kulturelle Aspekte vereinten.
Stein- und Knochengeräte der Starčevo-Kultur
Einblicke in die handwerklichen Fähigkeiten und den Alltag der frühen neolithischen Gemeinschaften
Die Starčevo-Kultur zeichnet sich durch eine Vielzahl an Werkzeugen aus, die sowohl aus Stein als auch aus Knochen gefertigt wurden. Diese Gegenstände waren nicht nur funktional, sondern geben auch Einblicke in die handwerklichen Fähigkeiten und den Alltag der frühen neolithischen Gemeinschaften. Zu den steinernen Werkzeugen zählen vor allem Silexgeräte, die überwiegend aus Klingen bestanden. Diese Werkzeuge waren scharf und vielseitig einsetzbar, sei es zum Schneiden, Schaben oder Bearbeiten von Materialien. Ein weiteres charakteristisches Werkzeug der Kultur waren leistenförmige, geschliffene Steinbeile. Diese Beile waren robust und wurden vermutlich für Arbeiten wie das Fällen von Bäumen, die Bearbeitung von Holz oder das Anlegen von Feldern eingesetzt. Auch Knochenmaterial spielte eine wichtige Rolle in der Werkzeugherstellung. Die Menschen der Starčevo-Kultur fertigten daraus Angelhaken und Harpunen, die für die Fischerei unerlässlich waren. Zusätzlich wurden Spatulae aus Knochen hergestellt, die wahrscheinlich beim Bearbeiten von Leder oder Ton Verwendung fanden. Ein besonderes Beispiel für die handwerkliche Vielfalt sind Polierscheiben aus Knochen, die zum Glätten und Veredeln von Tonwaren genutzt wurden. Diese Geräte verdeutlichen, wie eng die verschiedenen handwerklichen Tätigkeiten – vom Werkzeugbau bis zur Töpferei – miteinander verknüpft waren. Die Stein- und Knochengeräte der Starčevo-Kultur spiegeln nicht nur die praktischen Anforderungen ihres Alltags wider, sondern auch ihre Fähigkeit, die natürlichen Ressourcen ihrer Umwelt effizient zu nutzen und anzupassen.
Keramik der Starčevo-Kultur
handwerklichen Fähigkeiten
Die Keramik der Starčevo-Kultur offenbart nicht nur die handwerklichen Fähigkeiten ihrer Schöpfer, sondern auch deren kulturelle Entwicklung und künstlerische Ausdrucksformen. Das Formenspektrum ist vielfältig und reicht von halb- bis dreiviertelkugelförmigen Gefäßen über Schüsseln und Schalen, die teilweise auf kleinen Füßen stehen, bis hin zu Flaschen und großen Vorratsgefäßen. Diese Vielfalt deutet darauf hin, dass die Töpferkunst sowohl funktionale als auch ästhetische Anforderungen erfüllte.
Die Grobkeramik ist durch einfache, aber effektive Verzierungen geprägt. Häufig finden sich Schlickrauung (Barbotine), Fingerkerben, Kniffe oder Warzen, die den Gefäßen eine individuelle Note verleihen. Feinkeramik hingegen macht nur einen kleinen Teil der Funde aus, etwa 2–3 %, und zeichnet sich durch ihre Bemalung aus. Diese dekorierten Stücke spielen eine zentrale Rolle bei der Untergliederung der Kultur in verschiedene Entwicklungsphasen. Laut Garašanin beginnt die Entwicklung mit einer Phase monochromer Keramik, die durch schlichte, einfarbige Oberflächen gekennzeichnet ist. Darauf folgt eine Stufe, in der Gefäße mit weißer Bemalung auf rotem Untergrund verziert werden. Die Motive dieser Phase umfassen Tupfen, Netzmuster sowie rektilineare und kurvilineare Formen, wie florale Muster und Spiralen. Diese beiden frühen Phasen werden als Proto-Starčevo bezeichnet. Das klassische Starčevo hingegen zeigt eine Bemalung in dunkel-auf-hell, wobei auch hier geometrische und geschwungene Muster dominieren. Diese Verzierungen demonstrieren die zunehmende Komplexität und den ausgeprägten Sinn für Ästhetik der Töpfer dieser Epoche. Die Keramik der Starčevo-Kultur war mehr als nur ein praktisches Werkzeug; sie war ein Ausdruck von Kreativität und kultureller Identität. Die verschiedenen Stufen und Stile spiegeln nicht nur technische Fortschritte wider, sondern auch den kulturellen Austausch und die Inspiration durch benachbarte Gruppen.
Kultgegenstände der Starčevo-Kultur
anthropomorphe Plastiken und rätselhafte, symbolträchtige Formen
Die Menschen der Starčevo-Kultur fertigten beeindruckende Kultobjekte, die sowohl anthropomorphe Plastiken als auch rätselhafte, symbolträchtige Formen umfassten. Besonders auffällig sind die Tonstatuetten, die häufig menschliche Gestalten darstellen. Einige dieser Figuren sind eher abstrakt und besitzen eine säulenartige, ungegliederte Form, während andere naturnäher wirken. Letztere zeichnen sich durch einen langen, stabartigen Hals, einen schlichten Oberkörper und ein markant betontes Gesäß mit ausladenden Hüften aus, ein Stilmerkmal, das als Steatopygie bekannt ist. Auffällig ist, dass viele dieser Statuetten absichtlich zerbrochen wurden. Dies deutet darauf hin, dass sie möglicherweise in rituellen Zeremonien verwendet und dabei symbolisch „geopfert“ wurden. Darüber hinaus wurden drei- und vierbeinige Tonobjekte gefunden, die an kleine Hocker oder Altäre erinnern. Ihr konkreter Zweck bleibt unklar, doch es wird vermutet, dass sie ebenfalls eine kultische Funktion hatten.
Musikinstrumente
Ein bemerkenswerter Fund im Zusammenhang mit der Starčevo-Kultur ist eine Gefäßflöte aus Ton, die bei Ausgrabungen in Brunn am Gebirge in Niederösterreich entdeckt wurde. Dieses Musikinstrument, datiert ins 6. Jahrtausend v. Chr., gehört zu den ältesten bekannten Flöten dieser Art. Die Entdeckung unterstreicht die kulturelle und spirituelle Bedeutung von Musik innerhalb der Starčevo-Gemeinschaft und liefert einen seltenen Einblick in die musikalischen Praktiken dieser frühen Gesellschaft.
Totenrituale
Im Gegensatz zu späteren Kulturen hinterließ die Starčevo-Kultur keine großen Gräberfelder. Stattdessen wurden die wenigen bekannten Bestattungen direkt in Siedlungsgruben vorgenommen. Die Verstorbenen wurden in Hockerlage beigesetzt, wobei Grabbeigaben nur selten vorkamen. In einigen Fällen wurden jedoch grobe oder fein bemalte Gefäße als Beigaben gefunden, wie beispielsweise bei den Ausgrabungen in Tečić bei Kragujevac. Solche Funde könnten auf einen Glauben an ein Leben nach dem Tod hinweisen. Besonders eindrucksvoll ist der Fund aus Golokut, wo zwei Bestattungen in einem sogenannten Grubenhaus entdeckt wurden. Eine ältere Frau wurde dort zusammen mit dem Schädel eines Auerochsen und einer Schulterblattknochen im Bereich ihrer Beine beigesetzt. Diese ungewöhnlichen Beigaben könnten eine symbolische Bedeutung gehabt haben und möglicherweise auf rituelle Praktiken oder einen besonderen Status der Verstorbenen hinweisen.
Wichtige Fundorte der Starčevo-Kultur
dokumentierte und bedeutende Fundorte
Der namensgebende Fundort Starčevo, der bei Pančevo in Serbien liegt, ist zwar von zentraler Bedeutung, wurde jedoch bis heute nicht umfassend publiziert. Viele andere Siedlungen der Starčevo-Kultur sind lediglich durch kurze Vorberichte dokumentiert, was die Rekonstruktion des kulturellen Gesamtkontexts erschwert.
Gut dokumentierte Fundstellen
Zu den ausführlicher erforschten Orten gehören die Siedlungen Divostin und Donja Branjevina, wobei letztere vor allem in schwer zugänglichen wissenschaftlichen Artikeln beschrieben ist. Beide Fundorte bieten wichtige Einblicke in die Lebensweise und materiellen Hinterlassenschaften dieser frühneolithischen Kultur.
Weitere bedeutende Fundorte
Neben den beiden gut erforschten Stätten gibt es zahlreiche andere Fundorte, die die weite Verbreitung und kulturelle Vielfalt der Starčevo-Kultur verdeutlichen:
- Amzabegovo (Nordmazedonien): Bekannt für seine beeindruckenden Baustrukturen, die auf griechische Einflüsse hinweisen.
- Blagotin: Ein Fundort mit einer komplexen stratigraphischen Abfolge.
- Crnokalačka Bara: Weniger bekannte Stätte mit regionaler Bedeutung.
- Gornja Tuzla: Etwa 10 km von Tuzla (Bosnien) entfernt, zeigt Spuren einer ausgedehnten Besiedlung.
- Grivac: Liefert wichtige Hinweise zur Keramikproduktion der Kultur.
- Lepenski Vir: Bedeutend für seine trapezförmigen Hausgrundrisse und Hinweise auf frühere Kulturschichten.
- Ostrovu Golu: Ein weiterer Fundort mit Siedlungsspuren.
- Slavonski Brod: In Kroatien gelegen, zählt zu den nördlichsten Verbreitungsgebieten.
- Tečić: Bekannt für bemerkenswerte Bestattungsfunde.
- Veluška Tumba (Nordmazedonien): Eine Siedlung mit beeindruckenden Hausmodellen und großen Bauten.
Bedeutung der Fundorte
Die Verteilung dieser Fundstellen, die sich über mehrere heutige Länder erstreckt, zeigt die großräumige Ausbreitung und den Einfluss der Starčevo-Kultur im Frühneolithikum. Jeder Fundort trägt spezifische Informationen zur Rekonstruktion der sozialen, wirtschaftlichen und rituellen Praktiken bei und verdeutlicht die kulturelle Vielfalt, die diese Kultur innerhalb ihres Kerngebiets prägte.
Herkunft der Starčevo-Kultur
Archäologische Thesen zur Neolithisierung
Die Herkunft der neolithischen Lebensweise und ihre Verbreitung in Europa, einschließlich der Starčevo-Kultur, sind zentrale Themen der archäologischen Forschung. Dabei dominieren zwei Hauptansätze: die Interpretation als Ergebnis von Migration und die Theorie des kulturellen Transfers.
Ausbreitung entlang alter Handelsrouten
Es besteht weitgehender Konsens, dass sich die neolithische Lebensweise entlang mesolithischer Handels- und Kommunikationsrouten ausbreitete. Diese Routen verbanden Anatolien, den Balkan und Mitteleuropa und ermöglichten den Austausch von Technologien, Ideen und landwirtschaftlichen Innovationen.
Migration als Schlüsselfaktor
Traditionell wurde die Verbreitung des Neolithikums mit Migration in Verbindung gebracht. Dieses Modell sieht die Einführung von Ackerbau und Viehzucht als Resultat der Wanderung sesshafter Gruppen aus Anatolien nach Südosteuropa und darüber hinaus. Unterstützt wird diese Sichtweise durch genetische Studien, die belegen, dass viele der domestizierten Pflanzen und Tiere des Neolithikums aus dem Vorderen Orient stammen.
Kulturtransfer und lokale Anpassung
Gegen das reine Migrationsmodell sprechen Thesen, die den Kulturtransfer ohne umfangreiche Bevölkerungsbewegungen betonen. Robin Dennell argumentiert, dass lokale Jäger und Sammler aktiv an der Übernahme neolithischer Lebensweisen beteiligt waren. Ian Hodder hebt in seinem Werk The Domestication of Europe soziale und kulturelle Transformationen hervor, die mit der Sesshaftwerdung einhergingen, während Migrationen kaum thematisiert werden. Douglas Bailey wiederum lenkt in Balkan Prehistory den Fokus auf regionale Entwicklungen vor und nach 6500 v. Chr., ohne Migration als Hauptfaktor zu betrachten.
Archäobotanische und genetische Erkenntnisse
Untersuchungen zur Herkunft domestizierter Pflanzen zeigen, dass die meisten Arten, die im Frühneolithikum kultiviert wurden, aus Südosteuropa stammten. Einkorn und einige wilde Hülsenfrüchte, die auch in Griechenland und dem westlichen Mittelmeerraum vorkamen, bilden dabei Ausnahmen. Während Sandor Bökönyi eine mögliche europäische Domestikation des Wildrindes diskutierte, belegen genetische Studien, dass die Mehrheit der domestizierten Tiere wie Schafe, Ziegen und Rinder aus dem Vorderen Orient eingeführt wurde. Allerdings zeigt das Hausschwein eine Vermischung mit einheimischen Wildtieren, was auf lokale Anpassungen hindeutet.
Die Anatolien-Hypothese
Colin Renfrew verband die Neolithisierung mit der Ausbreitung indogermanischer Sprachen und entwickelte die sogenannte Anatolien-Hypothese. Diese These postuliert eine großflächige Migration, die sowohl landwirtschaftliche Innovationen als auch sprachliche und kulturelle Veränderungen mit sich brachte.
Ein vielfältiges Bild
In Mittel- und Osteuropa wurde das Migrationsmodell lange Zeit kaum hinterfragt. Heute zeigt sich ein differenzierteres Bild, das Migration, Kulturtransfer und lokale Anpassung als miteinander verflochtene Prozesse begreift. Die Starčevo-Kultur steht exemplarisch für diese dynamische Phase der europäischen Frühgeschichte.
Genetische Untersuchungen
zur Starčevo-Kultur
Die genetische Analyse der Starčevo-Kultur bietet Einblicke in die Herkunft und Struktur der frühen neolithischen Gesellschaften Europas. Mithilfe alter DNA (aDNA) konnten Wissenschaftler sowohl die Abstammung als auch soziale Dynamiken rekonstruieren. Zwischen 2008 und 2009 wurden im Rahmen eines Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft über 600 Proben aus Transdanubien, Kroatien und der Slowakei untersucht. Diese Proben stammten aus mindestens 50 Bestattungen pro Kultur des neolithischen Transdanubiens, um statistisch belastbare Ergebnisse zu erzielen. Die Analyse von 44 Bestattungen der Starčevo-Kultur in Westungarn ergab, dass die Menschen dieser Kultur genetisch mit heutigen Völkern Kleinasiens, insbesondere Anatoliens und des angrenzenden Vorderen Orients, verwandt waren.
- Väterliche Abstammung (Y-DNA): Haplogruppe G2a dominierte.
- Mütterliche Abstammung (mtDNA): Häufig waren Haplogruppen K, N1a, T2, J sowie geringe Anteile von X, H, V und U.
- Die genetische Distanz war am geringsten zu heutigen Völkern des Nordkaukasus, darunter Osseten und Abchasen.
Die Starčevo-Bauern breiteten sich ab etwa 6200 v. Chr. vom Südostbalkan aus sehr schnell in Richtung Nordwesten (Ungarn) aus. Beispielsweise wurde im ungarischen Alföld ein Mann der Körös-Kultur (KO1, 5650–5780 cal BC) mit der Y-DNA Haplogruppe I2a identifiziert, die mit einheimischen mesolithischen Jäger- und Sammler-Gruppen assoziiert wird. Dieser Mann war dunkelbraunhaarig und blauäugig. Die Starčevo-Gesellschaft war patrilinear und patrilokal, was bedeutet, dass die weiblichen Heiratspartner von außerhalb stammten und zu den Männern hinzogen. Dies spiegelt sich in einer stärkeren Durchmischung des maternalen Genpools im Vergleich zum paternalen wider. Genetische Studien zeigen eine Kontinuität zwischen der Starčevo-Kultur und ihrer Nachfolgekultur, der Linearbandkeramik. Beide zählten zu den ersten Bauerngesellschaften Mitteleuropas. Osteologische und kraniometrische Untersuchungen von 56 Skeletten der Starčevo-Kultur charakterisierten die Menschen als grazile, mediterran wirkende Individuen.
Wanderungswege neolithischer Bauern
Die genetischen und archäologischen Befunde zeichnen ein klares Bild der Ausbreitungsbewegungen der ersten Bauern in Europa. Diese Migrationen verliefen überwiegend von Südosteuropa in Richtung Nordwesten und folgten sowohl geographischen als auch kulturellen Wegen.
Ausbreitungsmuster
Frühneolithikum
- Starčevo-Kultur und Linearbandkeramik:
Die Genomdaten aus Ungarn (Starčevo-Kultur), Deutschland (Linearbandkeramik), Spanien und Skandinavien weisen eine klare Übereinstimmung mit den frühen Bauern aus dem Süden, insbesondere Anatolien und dem Vorderen Orient, auf.
Verbreitung nach Westen:
Von den Balkanregionen aus breiteten sich die neolithischen Bauern entlang der Donau und anderer Flusstäler nach Mitteleuropa, Spanien und Skandinavien aus.
Mittleres Neolithikum
- Erweiterung bis Skandinavien und Irland:
Im mittleren Neolithikum deuten genetische Spuren darauf hin, dass die Migrationen die nördlichsten Regionen Europas erreichten. Diese späten Wanderungsbewegungen trugen zur genetischen und kulturellen Durchmischung bei.
Kulturelle und genetische Kontinuität
Die Verbreitung neolithischer Genome zeigt eine Verbindung zwischen verschiedenen Kulturen und Regionen Europas:
- In Mitteleuropa ist eine klare Kontinuität zwischen der Starčevo-Kultur und der Linearbandkeramik nachweisbar.
- Die Expansion der neolithischen Bauern nach Westen und Norden führte zu einer Mischung mit lokalen Jäger- und Sammlerpopulationen, was sowohl archäologisch als auch genetisch belegbar ist.
Literatur zur Starčevo-Kultur
Allgemeine Werke und Berichte:
- Draga Arandjelović-Garašanin: Starčevačka kultura. Ljubljana 1954.
- Vladimir J. Fewkes: Neolithic sites in the Moravo-Danubian area (eastern Yugoslavia). Bull. Am. School Prehist. Research 12, (1936) 5–81.
- Vladimir Fewkes, H. Goldman, Robert W. Ehrich: Excavations at Starčevo, Yugoslavia, seasons 1931 and 1932. A preliminary report. Bull. Am. School Prehist. Research 9, (1933) 33–54.
- Allan McPherron, Dragoslav Srejović: Divostin and the Neolithic of Central Serbia. Department of Anthropology, University of Pittsburgh, Pittsburgh 1988. ISBN 0-945428-00-6.
Chronologie und regionale Gliederung:
- Vladimir Milojčić: Chronologie der jüngeren Steinzeit Mittel- und Südosteuropas. Mann, Berlin 1949.
- Raiko Krauß: Erneute Gedanken zur regionalen Gliederung des balkanischen Frühneolithikums. Comenius University, Archeologické Centrum Olomouc, Bratislava Olomouc 2010, S. 35–58.
Forschung zur bemalten Keramik:
- Holger Schubert: Die bemalte Keramik des Frühneolithikums in Südosteuropa, Italien und Westanatolien. Leidorf, Rahden/Westf. 1999. ISBN 3-89646-319-5.
Technologische Studien:
- Michela Spataro: Starcevo ceramic technology: the first potters of the Middle Danube Basin (= Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie. Band 341/Neolithikum u. Chalkolithikum in Südosteuropa. Band 4). Habelt, Bonn 2019. ISBN 978-3-7749-4234-9.
Regionale Studien:
- Kornelija Minichreiter: Starčevačka kultura u sjevernoj hrvatskoj. Dizertacije i monografije 1. Zagreb, Arheološki Zavod Filozofskog Fakulteta Sveučilišta u Zagrebu 1992.
Diese Literatur bietet einen umfassenden Überblick über die archäologischen Untersuchungen, die Chronologie und regionale Besonderheiten sowie technologische und kulturelle Aspekte der Starčevo-Kultur.
Frühneolithikum
STECKBRIEF
01
Name
Starčevo-Kultur
02
Zeitraum
ca. 6000 und 5400 v. Chr.
03
Region
Südosteuropa: Donaugebiet, heutiges Serbien, Kroatien, Ungarn, Bosnien, und Nordmazedonien.
04
Benennung
Nach dem Fundort Starčevo nahe Belgrad, Serbien.
05
Wirtschaft
- Landwirtschaft: Anbau von Emmer, Einkorn, Gerste und Hülsenfrüchten.
- Tierhaltung: Zucht von Schafen, Ziegen, Schweinen und Rindern.
- Jagd und Fischerei: Ergänzung der Ernährung durch Wild und Fisch.
06
Siedlungen
- In Flussnähe gelegene Dörfer, oft mit Grubenhäusern oder Hütten.
- Siedlungsstrukturen weisen auf sesshafte Lebensweise hin.
07
Keramik
- Bemalte und unverzierte Gefäße, häufig mit geometrischen Mustern.
- Verwendung einfacher Technologien wie der Handaufbau-Technik.
08
Kultgegenstände
- Anthropomorphe Tonstatuetten, oft zerbrochen (vermutlich rituell).
- Miniaturmöbel und „Altärchen“ unklarer Funktion.
09
Musikinstrumente
- Tonflöten, wie die älteste bekannte Gefäßflöte aus Brunn am Gebirge, Österreich.
10
Bestattungen
- Einzelne Hockerbestattungen in Siedlungsgruben, selten mit Grabbeigaben.
- Hinweise auf Glauben an ein Leben nach dem Tod.
11
Kunst und Symbolik
- Statuetten mit ausgeprägter Steatopygie (betonte Hüften und Gesäß).
- Kultische Darstellungen mit Bezug zu Fruchtbarkeit und Ritualen.
12
Genetische Herkunft
- Abstammung aus Anatolien und dem vorderen Orient (Y-DNA Haplogruppe G2a).
- Einfluss auf die nachfolgende Linearbandkeramik in Mitteleuropa.
13
Wichtige Fundorte
- Starčevo (Serbien, eponym).
- Donja Branjevina, Divostin (Serbien).
- Tečić (Kroatien).
- Brunn am Gebirge (Österreich).
14
Besonderheiten
- Erste Bauerngesellschaften in Südosteuropa.
- Schlüsselrolle bei der Verbreitung des Neolithikums nach Mitteleuropa.
- Kombination von einheimischen und eingeführten kulturellen Elementen.