Die prähistorische Evolution... ca. 6.300 – 4.800 v.Chr.
Tell as-Sawwan
Tell as-Sawwan, ein markanter Ruinenhügel im nördlichen Irak, liegt etwa 90 Kilometer nördlich von Bagdad und birgt Spuren einer weit zurückreichenden Vergangenheit. Von 1964 bis 1972 durchforschte der irakische Antikendienst dieses bedeutende archäologische Areal und legte die Überreste eines prähistorischen Dorfes frei, dessen Ursprünge ins siebente Jahrtausend v. Chr. zurückreichen. Damit zählt Tell as-Sawwan zu den bedeutendsten Fundstätten dieser Epoche im Irak und gewährt faszinierende Einblicke in das Leben früherer Kulturen.
Der rund 230 x 110 Meter große Hügel, der sich am Ufer des Tigris erhebt, umfasste sechs klar unterscheidbare Schichten. Die unterste, Schicht I, wird auf circa 6300 v. Chr. datiert und enthielt einfache Lehmziegelbauten, die zu den ältesten architektonischen Zeugnissen des Fundorts zählen. Zahlreiche Keramikfunde dieser Schicht sind charakteristisch für die sogenannte Hassuna-Ware. In den Schichten I und II entdeckte man etwa 130 Gräber mit beachtlichen Grabbeigaben: Die Toten wurden meist in Hockstellung beigesetzt und von persönlichen Gegenständen begleitet. Dazu zählten Alabaster- und Tonstatuetten, die überwiegend als Darstellungen von Muttergottheiten interpretiert werden, Keramikgefäße sowie Schmuckstücke wie Perlen aus Kupfer. Besonders bemerkenswert ist die Gestaltung dieser Figuren, deren Augen aus Muscheln bestehen, die kunstvoll in Bitumen eingelassen wurden. Eine Kette schmückt den Hals vieler dieser Statuetten. Die Anwesenheit unvollendeter Skulpturen weist darauf hin, dass diese Figuren möglicherweise direkt in Tell as-Sawwan gefertigt wurden. Mit der Schicht III, datiert um 6100 v. Chr., begann eine neue Entwicklungsphase: Die Siedlung wurde von einer schützenden Mauer umgeben, und die Gebäude hatten nun komplexere Grundrisse. Diese Häuser waren oft mehrräumig und T-förmig angelegt, zusätzlich wurden Vorratsräume angelegt, die das fortschreitende Verständnis für Vorratshaltung zeigen. In dieser und den darauffolgenden Schichten kommt die kunstvoll bemalte Samarra-Ware zum Vorschein, die ein Zeugnis für die kulturelle Entwicklung in der Region darstellt. Leider sind die darüberliegenden Schichten durch Erosion stark beschädigt und daher nur fragmentarisch erhalten geblieben. Dennoch liefert Tell as-Sawwan wertvolle Hinweise auf das soziale und kulturelle Leben jener Zeit und zeigt eine bemerkenswerte Kontinuität und Weiterentwicklung innerhalb einer frühen Gesellschaft.
Strategischer Standort und Historische Bedeutung von
Tell as-Sawwan
Eine frühe Siedlung am Tigris und ihr Einfluss auf die mesopotamische Kulturentwicklung
Tell es-Sawwan, auch als „Hügel der Feuersteine“ bekannt, befindet sich im heutigen Irak, etwa elf Kilometer flussabwärts von Samarra und etwa 90 Kilometer nördlich von Bagdad. Diese Position auf einem felsigen Vorsprung am östlichen Ufer des Tigris verleiht dem Ort eine strategische Bedeutung, da er von dort aus einen weiten Überblick über die Flussebene und die umliegende Landschaft bietet. Mit einer Höhe von etwa 30 Metern über der umgebenden Ebene diente der Hügel vermutlich als eine natürliche Festung und bot den frühen Bewohnern Schutz vor Überflutungen und potentiellen Angriffen. Tell es-Sawwan liegt in einem geographischen Schnittpunkt, der die Kulturen des nördlichen Mesopotamiens und jene des südlichen Irak miteinander verband. Seine Lage ermöglichte es den Bewohnern, kulturelle und wirtschaftliche Einflüsse aus verschiedenen Regionen zu empfangen und möglicherweise auch weiterzugeben. Die Nähe zu Samarra, einem späteren wichtigen kulturellen Zentrum, könnte ebenfalls zur Bedeutung des Ortes beigetragen haben, da sie den Austausch von Ideen, handwerklichen Techniken und Ritualen über ein Netzwerk früher Siedlungen hinweg förderte.
Der Ort ist für die Archäologie besonders bedeutsam, da seine gut erhaltenen Strukturen und Funde Aufschluss über die prähistorische Entwicklung in Mesopotamien bieten. Die architektonischen Überreste und die gut durchdachten Befestigungen legen nahe, dass Tell es-Sawwan nicht nur ein einfacher Siedlungsort, sondern möglicherweise ein regionales Zentrum für Handel und Handwerk war. Der Hügel markiert eine frühe Epoche, in der Gemeinschaften anfingen, ihre Siedlungen zu organisieren, zu verteidigen und eine komplexe Gesellschaftsstruktur zu entwickeln. In den 1960er Jahren wurden an diesem Ort zahlreiche Grabungen durchgeführt, die eine außergewöhnliche Vielfalt an Funden zutage förderten. Archäologen vermuten, dass die zentrale geographische Lage von Tell es-Sawwan es den Bewohnern erlaubte, weitreichende kulturelle Kontakte zu pflegen. Diese Fundstätte bietet daher nicht nur Einblicke in die Architektur und das alltägliche Leben, sondern auch in die Art und Weise, wie Menschen in dieser Region vor etwa 8000 Jahren miteinander und mit anderen Siedlungen vernetzt waren.
Grabarchitektur und Friedhof von
Tell as-Sawwan
Einblicke in Bestattungsrituale und materielle Kultur des frühen Neolithikums
Die Grabarchitektur von Tell as-Sawwan offenbaren faszinierende Einblicke in die Bestattungskultur und rituellen Praktiken dieser prähistorischen Gemeinschaft. Die meisten Gräber wurden direkt unter den Böden der Gebäude angelegt und enthielten eine beeindruckende Vielfalt an Grabbeigaben, die auf eine tiefe kulturelle Bedeutung und die Wertschätzung der Totenpflege hinweisen. Die über 130 entdeckten Gräber befanden sich größtenteils unter den Böden von Gebäuden der Siedlungsschicht I. Die Gräber waren in flachen, unregelmäßig ovalen Vertiefungen direkt in den natürlichen Untergrund eingelassen und erreichten eine Tiefe von etwa 25 bis 50 Zentimetern unter der Bodenoberfläche. Einige der Gräber waren zusätzlich mit einfachen, handgeformten Tonstücken umgeben oder ausgekleidet. Besonders auffällig ist, dass die meisten Gräber keinen Bereich unter den tragenden Mauern einnahmen, was darauf hindeutet, dass ihre Lage sorgfältig geplant und an den Raumnutzungen der Häuser ausgerichtet wurde. Ein markantes Merkmal der Bestattungen war die Hockerstellung der meisten Toten, die in dieser Körperhaltung zur Seite gelegt wurden. Viele der Verstorbenen – sowohl Kinder als auch Erwachsene – wurden in feine Matten aus Schilf eingewickelt. Diese Matten waren mit Bitumen beschichtet, das sich im Laufe der Jahrtausende gut erhalten hat und die feinen Abdrücke der Mattenstruktur bewahrte. Einzelne Funde, wie das Skelett eines Erwachsenen, das Spuren von rotem Ocker an Kopf und Körper aufwies, lassen darauf schließen, dass rote Ockerfarbe möglicherweise für rituelle Zwecke auf die Haut der Verstorbenen aufgetragen wurde.
Die Gräber enthielten zudem eine Vielzahl an kostbaren Beigaben, die nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch symbolisch aufgeladen waren. Dazu zählten fein gearbeitete Alabasterfiguren, die oftmals als Darstellungen von Muttergottheiten interpretiert werden. Diese Figuren waren kunstvoll gestaltet, mit Augen aus Muscheln und mit Bitumen versiegelten Einlagen. Die Figuren trugen teilweise Ketten aus Muschelperlen und Bitumen, was auf eine symbolische oder rituelle Bedeutung dieser Schmuckstücke hindeutet. Zusätzlich zu den Figuren fanden sich in den Gräbern zahlreiche Gefäße aus Alabaster, die von winzigen Schälchen bis hin zu großen Töpfen reichten und vermutlich für rituelle Zwecke oder als Behälter für Grabgaben dienten. Einige Gräber enthielten auch kleine Werkzeuge, wie scharfe Klingen oder Statuetten, die möglicherweise symbolisch oder praktisch mit dem Leben des Verstorbenen verbunden waren. Schmuckelemente wie Perlen aus Kupfer, Alabaster und Halbedelsteinen wie Karneol, aber auch Muschelschmuck waren ebenfalls häufige Grabbeigaben.
Alabaster-Artefakte
Die Alabaster-Artefakte von Tell es-Sawwan stellen einige der faszinierendsten und handwerklich anspruchsvollsten Funde dar, die aus dieser Epoche Mesopotamiens bekannt sind. Diese Artefakte, die überwiegend aus cremig-weißem Alabaster gefertigt sind, umfassen eine beeindruckende Vielfalt an Gegenständen, darunter Statuetten, kultische Objekte und verschiedene Gefäßtypen wie kleine Schalen, Platten, ovale Schüsseln, Tassen, Flaschen und größere Gefäße. Die besonders filigrane Bearbeitung der Alabasterstücke hebt sie deutlich von den anderen Artefakten der Siedlung ab und zeigt das hohe Niveau handwerklicher Kunstfertigkeit, das die Menschen von Tell es-Sawwan in dieser Zeitspanne entwickelt hatten. Ein großer Teil der Alabasterstatuetten wird als Darstellung von Muttergottheiten interpretiert. Diese Figuren sind oft aufwändig gestaltet: Sie tragen Ketten um den Hals, ihre Augen sind mit Muscheleinlagen versehen, die in Bitumen eingefasst sind, wodurch die Statuetten einen intensiven und lebendigen Ausdruck erhalten. Einige dieser Statuetten tragen sogar Kappen oder Kopfbedeckungen aus Bitumen, was darauf hinweist, dass die Menschen möglicherweise bestimmte spirituelle oder rituelle Vorstellungen mit diesen Figuren verbanden.
Besonders bemerkenswert ist, dass mehrere unvollständige Statuetten gefunden wurden, was darauf hindeutet, dass die Herstellung dieser Alabasterfiguren möglicherweise direkt in Tell es-Sawwan stattfand. Diese Hypothese wird durch die hohe Konzentration von Alabastergegenständen in den Gräbern der frühen Siedlungsschichten (insbesondere in Schicht I) unterstützt. Der Zweck dieser Artefakte lag vermutlich hauptsächlich in der Bestattungspraxis, da sie häufig in Gräbern als Grabbeigaben gefunden wurden und so den Verstorbenen in ihre jenseitige Reise begleiteten. Die Qualität und Vielfalt der Alabasterobjekte in Tell es-Sawwan hebt sich deutlich von der der zeitgleichen Keramik ab, die in der Region Mesopotamien meist weniger kunstvoll gestaltet war. Diese Alabasterkunstwerke repräsentieren somit eine eigene Kunstform, die nicht nur funktionalen, sondern auch religiösen oder symbolischen Zwecken diente. Sie sind ein Zeugnis für die kulturelle und spirituelle Tiefe der damaligen Gesellschaft und bieten einzigartige Einblicke in das Weltbild und die Glaubensvorstellungen der Menschen von Tell es-Sawwan.
Keramik und Kontinuität
Die Keramikfunde von Tell as-Sawwan zeigen eine bemerkenswerte Entwicklung und Kontinuität, die den Verlauf mehrerer Jahrhunderte dokumentieren und wertvolle Einblicke in die kulturelle Dynamik der Region gewähren. In den frühen Schichten I und II dominiert die sogenannte Hassuna-Ware, eine grobe und meist ungebrannte Keramik mit charakteristischen Markierungen. Diese Gefäße haben oft eine dunkle, unverbrannte Innenfarbe, was auf eine unvollständige Brenntechnik hinweist. Sie sind aus tonhaltigem Material gefertigt, das oft grobe Partikel enthält, und zeigen eine einfache, unverzierte Oberfläche in Tönen wie Hellbraun oder Beige. Ab der Schicht III tauchen erste Beispiele der bemalten Samarra-Ware auf, die im Vergleich zur Hassuna-Keramik kunstvoller und komplexer gestaltet ist. Die Samarra-Ware zeichnet sich durch feinere Verarbeitung und dekorative Elemente aus, oft mit geometrischen Mustern, die mit mineralischen Farben direkt auf die Keramik gemalt wurden. Diese bemalten Gefäße deuten auf eine Weiterentwicklung der handwerklichen Fähigkeiten der Bewohner hin, die offenbar begannen, ihre Keramik nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch ansprechend zu gestalten.
Die Überlappung der Hassuna- und Samarra-Waren in den Schichten III und IV zeigt, dass es keinen abrupten kulturellen Bruch gab. Stattdessen wurden beide Keramiktypen eine Zeit lang parallel verwendet, was auf eine allmähliche kulturelle und technologische Weiterentwicklung hinweist, bei der neue Methoden eingeführt wurden, ohne dass die alten Traditionen sofort aufgegeben wurden. Einige Fragmente weisen Anzeichen dafür auf, dass die Bemalung erst nach dem Brennen aufgetragen und dann leicht erhitzt wurde, um die Farbe zu fixieren. Diese Experimente mit unterschiedlichen Brenn- und Maltechniken unterstreichen den Innovationsgeist der Siedler und ihre Bereitschaft, neue Wege in der Keramikproduktion zu erkunden. In den späteren Schichten V dominieren schließlich die bemalten Samarra-Waren vollständig, was zeigt, dass sich diese fortschrittlichere Keramiktechnik dauerhaft durchgesetzt hat. Die nahtlose Übergangsphase von der Hassuna- zur Samarra-Keramik ohne erkennbaren Bruch deutet darauf hin, dass es keine dramatischen Bevölkerungswechsel oder äußeren Einflüsse gab, die die kulturelle Entwicklung von Tell as-Sawwan nachhaltig beeinflusst hätten. Die stete Weiterentwicklung und Anpassung innerhalb der lokalen Gemeinschaft deutet auf eine stabile, selbst bestimmte Kultur hin, die in der Lage war, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln, während sie ihre traditionellen Wurzeln respektierte.
Keramisches Neolithikum
STECKBRIEF
01
Name
Tell as-Sawwan
02
Alter
ca. 6.300 – 4.800 v.Chr
03
Ort
Tell as-Sawwan, Ruinenhügel im heutigen Irak, etwa 90 km nördlich von Bagdad am östlichen Ufer des Tigris.
04
Zeitraum der Besiedlung
Ca. 7. Jahrtausend v. Chr. (ab ca. 6300 v. Chr.), Siedlung bis ins frühe 5. Jahrtausend v. Chr.
05
Ausgrabungen
Durchgeführt von 1964 bis 1972 durch den irakischen Antikendienst. Erste Erwähnung des Fundortes durch Ernst Herzfeld im Jahr 1911.
06
Bedeutung
Einer der wichtigsten Fundorte des frühen Neolithikums in Mesopotamien. Besonders wertvoll zur Erforschung kultureller Verbindungen und technischer Entwicklungen in der Region.
07
Größe des Siedlungsareals
Etwa 230 x 110 Meter, unterteilt in drei Haupt-Hügel.
08
Befestigungsanlage
V-förmiger Graben, ca. 2,5 Meter breit und 3 Meter tief.
Dicke Mauer mit Stützpfeilern entlang der Grabeninnenseite.
Zahlreiche Schleudersteine im Graben, vermutlich als Wurfgeschosse für die Verteidigung vorbereitet.
09
Architektur
- Gebäude aus Lehmziegeln mit komplexem Grundriss, mehr als 14 Räume in einigen Bauten.
- Vorratsräume und T-förmige Häuser, mit deutlich erkennbarem Fortschritt in der Siedlungsarchitektur.
- Ebenfalls Hinweise auf religiöse Strukturen, vermutlich mit Kultbauten.
10
Gräber und Bestattungen
Über 130 Gräber, meist unter Hausböden von Ebene I.
Grabbeigaben: Statuetten (oft Darstellungen von Muttergottheiten), Alabastergefäße, Kupferobjekte, Schmuck.
Viele Skelette in Hockstellung, eingewickelt in Matten und mit Bitumen konserviert; Hinweise auf rituelle Behandlung mit rotem Ocker.
11
Keramik und Handwerk
Über 130 Gräber, meist unter Hausböden von Ebene I.
Grabbeigaben: Statuetten (oft Darstellungen von Muttergottheiten), Alabastergefäße, Kupferobjekte, Schmuck.
Viele Skelette in Hockstellung, eingewickelt in Matten und mit Bitumen konserviert; Hinweise auf rituelle Behandlung mit rotem Ocker.
12
Besonderheiten
Eine der frühesten befestigten Siedlungen im Irak.
Hochentwickeltes Verteidigungssystem und komplexe Friedhofsanlagen.
Kontinuität in architektonischen und keramischen Traditionen, was auf eine stabile Gemeinschaft ohne größere kulturelle Unterbrechungen hinweist.