Die prähistorische Evolution... ca. 9300 und 8600 v. Chr.
Tell Aswad
Im Herzen Syriens, nur einen Steinwurf von 5 Kilometern östlich des geschäftigen Flughafens von Damaskus entfernt, erhebt sich Tell Aswad majestätisch aus der Landschaft. Dieser prähistorische Siedlungshügel, dessen arabischer Name „تل أسود“ (Tall Aswad) übersetzt „Schwarzer Hügel“ bedeutet, ist ein Fenster in die faszinierende Welt des Neolithikums. Als Namensgeber und Typusfundstätte des Aswadien spielt dieser Ort eine Schlüsselrolle für unser Verständnis der neolithischen Kultur in der Region.
Chronologie und Besiedlungsphasen
Einblick in die prähistorische Besiedlung der Levante Tell Aswad
Die Geschichte von Tell Aswad reicht weit zurück in die Anfänge der menschlichen Sesshaftigkeit. Zwischen 9300 und 8600 v. Chr., in einer Zeit des Übergangs vom späten PPNA (Pre-Pottery Neolithic A) zum frühen PPNB (Pre-Pottery Neolithic B), ließen sich hier die ersten Menschen nieder.
Die Besiedlung lässt sich in drei Hauptphasen unterteilen:
- Die früheste Phase (ca. 9300-9000 v. Chr.) zeichnet sich durch einfache, einräumige Strukturen und den Beginn des Ackerbaus aus.
- In der mittleren Phase (ca. 9000-8700 v. Chr.) lässt sich eine Weiterentwicklung der Architektur und der landwirtschaftlichen Praktiken beobachten.
- Die späte Phase (ca. 8700-8600 v. Chr.) ist durch komplexere Siedlungsstrukturen und fortgeschrittene Techniken in Landwirtschaft und Handwerk gekennzeichnet.
Architektur und Siedlungsstruktur
Die archäologischen Ausgrabungen, insbesondere die Kampagnen von 2001 bis 2002, haben faszinierende Einblicke in die Architektur von Tell Aswad gewährt. Die Häuser, aus Lehm errichtet und mit Kalkputz versehen, waren wahre Meisterwerke frühzeitlicher Baukunst. Sie traten in zwei Hauptformen auf: elliptische Strukturen und rechteckige Gebäude mit abgerundeten Ecken. Mit einem beeindruckenden Durchmesser von bis zu 7 Metern boten sie großzügigen Wohnraum. Im Zentrum jedes Hauses fanden die Archäologen Hinweise auf eine tragende Struktur für das Dach. Entlang der Wände reihten sich Vorratsgefäße, während in den offenen Höfen um die Häuser Herde oder Öfen platziert waren. Interessanterweise deuten die Befunde darauf hin, dass die Bewohner ihre Häuser nur für relativ kurze Zeit nutzten. Es gibt keine Anzeichen für Reparaturen oder Neubauten an denselben Stellen. Stattdessen scheint die Siedlung über den Hügel „gewandert“ zu sein, wobei verschiedene Bereiche des Tells jeweils gleichzeitig bewohnt waren.
Materielle Kultur und Technologie
Tell Aswad bemerkenswerte handwerkliche Fähigkeiten
Die Bewohner von Tell Aswad zeigten bemerkenswerte handwerkliche Fähigkeiten. Feuerstein diente als Hauptmaterial für die Herstellung von Werkzeugen und Waffen, darunter Klingen, Schaber, Bohrer und Pfeilspitzen. Besonders interessant ist der Fund von Obsidian, der aus Anatolien importiert wurde – ein früher Beweis für weitreichende Handelsbeziehungen. Von Beginn der Besiedlung an beherrschten die Menschen verschiedene Handwerkstechniken. Korbflechterei und Weberei gehörten ebenso zu ihren Fertigkeiten wie die Kunst, Figuren aus Ton zu formen. Obwohl Tell Aswad in die vorkeramische Zeit datiert, wurden zahlreiche Tonfiguren hergestellt, die häufig Tiere, insbesondere Ziegen und Schafe, darstellten.
Subsistenzwirtschaft und Tierhaltung
Vorspiel im fruchtbaren Halbmond
Die archäozoologischen Befunde aus Tell Aswad geben Aufschluss über die Entwicklung der Tierhaltung und Ernährungsgewohnheiten. In der frühen Besiedlungsphase basierte die Ernährung hauptsächlich auf der Jagd von Wildtieren und dem Sammeln von Wildpflanzen. Im Laufe der Zeit, insbesondere seit dem mittleren PPNB, wurden domestizierte Ziegen und Schafe aus der Levante eingeführt. Dies markiert einen wichtigen Übergang zur Viehhaltung. Die Analyse der Tierknochen zeigt, dass Ziegen und Schafe hauptsächlich im Alter von ein bis zwei Jahren geschlachtet wurden, was auf eine optimierte Fleischproduktion hindeutet. Archäobotanische Untersuchungen haben zudem Überreste von kultivierten Getreidesorten wie Emmer und Einkorn sowie Hülsenfrüchten wie Linsen nachgewiesen, was die Vielfalt der Ernährung unterstreicht.
Rituelle Praktiken und Bestattungen
rituellen Praktiken des frühen Neolithikums
Tell Aswad hat einzigartige Einblicke in die rituellen Praktiken des frühen Neolithikums geliefert. Eine besonders bemerkenswerte Entdeckung war die Anordnung von vier Schädeln um einen Kinderschädel. Diese Schädel waren mit Tongesichtern übermodelliert, eine Praxis, die auch an anderen neolithischen Fundorten wie Tell Ramad, Jericho, Beisamoun und ‚Ain Ghazal beobachtet wurde. Die Bestattungspraktiken umfassten sowohl Einzel- als auch Kollektivbestattungen. Einige Gräber enthielten Beigaben wie Schmuck oder Werkzeuge, was auf Vorstellungen vom Jenseits hindeuten könnte. Die gefundenen Tonfiguren, insbesondere Tierdarstellungen, könnten ebenfalls rituelle oder symbolische Bedeutungen gehabt haben
Geschichte der archäologischen Erforschung
Vorspiel im fruchtbaren Halbmond Tell Aswad
Die archäologische Erforschung von Tell Aswad begann unter dramatischen Umständen. Im Jahr 1971 führte der geplante Bau der Tabqa-Talsperre (heute bekannt als Medinat el Thawra) zu einer Notgrabung. Diese erste Grabung markierte gleichzeitig die Rückkehr britischer Archäologen nach Syrien nach mehr als einem Jahrzehnt Abwesenheit. Erst im Jahr 2001, drei Jahrzehnte später, kehrten Forscher für umfangreichere Ausgrabungen nach Tell Aswad zurück. Diese Hauptgrabungskampagnen von 2001 bis 2002 lieferten den Großteil unseres heutigen Wissens über diesen bedeutenden neolithischen Siedlungsplatz. Nachfolgende Untersuchungen und Analysen haben das Verständnis von Tell Aswad kontinuierlich erweitert und verfeinert.
Bedeutung für die neolithische Forschung
Tel Aswad
Tell Aswad ist von zentraler Bedeutung für unser Verständnis des Neolithisierungsprozesses in der Levante. Die Fundstätte bietet einzigartige Einblicke in den Übergang von Jäger-Sammler-Gesellschaften zu sesshaften, landwirtschaftlich geprägten Gemeinschaften. Sie zeigt die Entwicklung früher architektonischer und städteplanerischer Konzepte, die Entstehung und Verbreitung von Handwerkstechniken wie Weberei sowie die Entwicklung ritueller Praktiken und möglicherweise früher Formen von Religiosität. Darüber hinaus liefert Tell Aswad wichtige Erkenntnisse über die Ausbreitung von Handelsnetzwerken im frühen Neolithikum, wie der Import von Obsidian aus Anatolien belegt. Die Fundstätte ist ein Schlüssel zum Verständnis der komplexen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen, die die neolithische Revolution in der Levante kennzeichneten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Tell Aswad einen unschätzbaren Beitrag zum Verständnis einer der wichtigsten Epochen der Menschheitsgeschichte leistet. Als Zeuge des Übergangs zu sesshaften Lebensweisen und der Entstehung früher landwirtschaftlicher Gemeinschaften bleibt Tell Aswad eine Fundgrube für Archäologen und Historiker, die die Geheimnisse unserer fernen Vergangenheit entschlüsseln wollen.
Präkeramisches Neolithikum A
STECKBRIEF
01
Name
Tell Aswad
02
Alter
Circa 9300 und 8600 v. Chr.
03
Allgemeine Informationen
- Name: Tell Aswad (arabisch: تل أسود, DMG: Tall Aswad)
- Bedeutung: „Schwarzer Hügel“
- Art der Fundstätte: Prähistorischer neolithischer Siedlungshügel
- Kulturelle Zuordnung: Typusfundstätte des Aswadien
04
Geographische Lage
- Land: Syrien
- Region: Umgebung von Damaskus
- Entfernung: Etwa 5 km östlich vom Flughafen Damaskus
05
Chronologie
- Früheste Besiedlung: ca. 9300 v. Chr. (Ende PPNA)
- Späteste Besiedlung: ca. 8600 v. Chr. (Anfang PPNB)
Hauptbesiedlungsphasen:
- Frühe Phase: ca. 9300-9000 v. Chr.
- Mittlere Phase: ca. 9000-8700 v. Chr.
- Späte Phase: ca. 8700-8600 v. Chr.
06
Architektur
Bauweise: Lehm mit Kalkputz
Hausformen: – Elliptische Strukturen Rechteckige Gebäude mit abgerundeten Ecken
Hausgröße: Bis zu 7 m Durchmesser
07
Materielle Kultur
- Werkzeuge: Hauptsächlich aus Feuerstein
- Importgüter: Obsidian aus Anatolien
- Handwerk: Korbflechterei, Weberei, Tonfiguren
08
Subsistenzwirtschaft
- Frühe Phase: Jagen und Sammeln
- Spätere Phasen: Domestizierte Ziegen und Schafe, Ackerbau
- Angebaute Pflanzen: Emmer, Einkorn, Linsen
09
Rituelle Praktiken
- Schädelkult: Übermodellierung von Schädeln mit Ton
- Bestattungen: Einzel- und Kollektivbestattungen
- Grabbeigaben: Schmuck, Werkzeuge
10
Archäologische Erforschung
- Erste Notgrabung: 1971
- Hauptgrabungskampagnen: 2001-2002